Abmahnungen sind immer wieder ärgerlich für Online-Händler. Aber es lohnt sich, gegen diese Abmahnungen vorzugehen. Das zeigt auch ein Fall, den das OLG Hamm aktuell zu entscheiden hatte. Dort versandte ein Massenabmahner 43 Abmahnungen in 7 Tagen. Da zeigte das Gericht dem Abmahner die rote Karte und entschied: Das ist Rechtsmissbrauch.
Vor dem Landgericht Essen erreichte die Abmahnerin eine einstweilige Verfügung gegen eine abgemahnte Konkurrentin. Das nahm diese jedoch nicht hin und legte Berufung beim OLG Hamm (Urt. v. 15.9.2015, 4 U 105/15) ein und hatte damit Erfolg.
Die Abmahnerin führte zunächst gegen ein Unternehmen ein wettbewerbsrechtliches Verfahren vor dem LG Hagen. Es ging dort um die Bewerbung von Briefkästen mit Begriffen wie "umweltfreundlich produziert" oder "geprüfte Qualität". In dem Verfahren gab es eine mündliche Verhandlung, in der das Gericht einen Hinweis erteilte, dass es diese Bezeichnungen für wettbewerbswidrig halte.
Einen Tag danach führte die Abmahnerin "Marktsichtungen" durch. Anschließend beauftragte die Abmahnerin ihren Anwalt damit, 50 Händler, die die Briefkästen mit diesen Slogans bewarben, abmahnen zu lassen.
Der Anwalt erstellte zunächst eine Vorschussrechnung an die Abmahnerin in Höhe von 37.500 Euro, die diese auch bezahlte. Und dann ging es los.
Dem Senat des OLG Hamm lagen alleine 16 Abmahnungen vor, die alle mit dem gleichen Datum (23.6.2015) versehen waren, als Gegenstandswerte waren in den Abmahnungen Werte zwischen 15.000 und 30.000 Euro angegeben.
Am 29.6.2015 - das hatte die Abmahnerin selbst zugegeben - waren dann bereits 43 Abmahnungen verschickt worden, bis zum 2.8.2015 erhöhte sich die Zahl auf 71. Bis zur Verhandlung vor dem OLG Hamm waren es schon 200.
Dieses Verhalten der Massenabmahnerin wertete das Gericht als Rechtmissbrauch, weshalb ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unzulässig abgewiesen wurde.
Allerdings - das stellt das Gericht noch einmal klar - reicht für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht allein die hohe Anzahl an Abmahnungen.
"Eine – im vorliegenden Fall allein schon für den Monat Juni 2015 zu bejahende – umfangreiche Abmahntätigkeit kann allerdings für sich allein betrachtet in der Regel keinen Missbrauch belegen, wenn zugleich umfangreiche Wettbewerbsverstöße in Betracht kommen.
Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die die Missbräuchlichkeit der Anspruchsgeltendmachung begründen können.
Solche Umstände liegen insbesondere dann vor, wenn die Abmahntätigkeit sich derart verselbstständigt hat, dass sie in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu der (eigentlichen) gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht.
Ein wirtschaftlich vernünftiges Verhältnis zwischen der Abmahntätigkeit und der eigentlichen gewerblichen Betätigung der Verfügungsklägerin bestand bereits zum Zeitpunkt des Ausspruches der Abmahnung gegenüber der Verfügungsbeklagten nicht mehr."
Es ging nur ums massenhafte Abmahnen und Abkassieren. So könnte man die Motive der Abmahnerin zusammenfassen.
"Die Durchführung der Besprechung am 04.06.2015 – einem Feiertag –, der E-Mail-Schriftwechsel zwischen der Verfügungsklägerin und ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 05./08.06.2015, die nicht nach einzelnen Anspruchsgegnern aufgeschlüsselte Vorschussrechnung vom 12.06.2015 und nicht zuletzt der Versand von insgesamt 43 Abmahnungen zwischen dem 23.06.2015 und dem 29.06.2015 – mithin in einem Zeitraum von lediglich sieben Tagen, in dem vernünftigerweise nicht mit dem Eingang einer auch nur ansatzweise nennenswerten Anzahl strafbewehrter Unterlassungserklärungen gerechnet werden konnte – machen deutlich, dass es im Juni 2015 das Bestreben der Verfügungsklägerin und der von ihr beauftragten Rechtsanwälte war, möglichst rasch und möglichst in großer Zahl Abmahnungen gegen Unternehmen, die „C“-Briefkästen vertreiben, auszusprechen.
Jedenfalls bestand das Bestreben, möglichst rasch die (zumindest) 50 Abmahnungen zu erstellen und zu versenden, die sich aus dem E-Mail-Schriftwechsel vom 05./08.06.2015 ergaben (darunter auch die hier zu beurteilende Abmahnung an die Verfügungsbeklagte), und zwar ohne Rücksicht auf etwaige Rückäußerungen der Abgemahnten.
Dies ließe es gerechtfertigt erscheinen, den folgenden Vergleichsbetrachtungen sogar das Kostenrisiko für (zumindest) 50 Abmahnungen zugrunde zulegen.
Zu Gunsten der Verfügungsklägerin legt der Senat indes nur das Kostenrisiko für die zwischen dem 23.06.2015 und dem 29.06.2015 ausgesprochenen 43 Abmahnungen zugrunde, die vor dem Eingang der ersten strafbewehrten Unterlassungserklärungen versandt wurden.
Wiederum zu Gunsten der Verfügungsklägerin geht der Senat bei der Berechnung dieses Kostenrisikos nur von einem Gegenstands-/Streitwert von 20.000,00 € aus, mithin von einem Wert am unteren Ende der von der Verfügungsklägerin in ihren Abmahnungen benannten Bandbreite von Gegenstandswerten."
Für die zunächst ausgesprochenen 43 Abmahnungen hat das Gericht eine Kostenlast für die Abmahnerin von rund 42.000 Euro.
Weiter geht das Gericht in seiner Prognose für die Kostenlast davon aus, dass ein Teil der Abmahnungen in gerichtlichen Verfahren enden wird. Das Gericht geht dabei davon aus, dass ein Drittel der Abmahnungen durch Verfahren über nur eine Instanz und ein weiteres Drittel sogar über zwei Instanzen ausgefochten wird.
Das erste Drittel würde Kosten - so die Berechnung des Gerichts - von mindestens weiteren rund 67.000 Euro verursachen, das zweite Drittel sogar Kosten von mindestens rund 145.000 Euro.
Das Gesamtkostenrisiko für die Abmahnerin liegt als bei rund 255.000 Euro.
Dieses Risiko wurde noch einmal dadurch erhöht, so das Gericht weiter, dass die Abmahnerin damit rechnen musste, dass die Abgemahnten erfolgreich den Einwand des Rechtsmissbrauchs erheben werden. In diesen Fällen ist die Abmahnerin dann nach § 8 Abs. 4 UWG zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten der Abgemahnten verpflichtet, wodurch zu dem Risiko weitere 42.000 Euro hinzuzurechnen sind.
Das Risiko steigt damit auf rund 300.000 Euro.
Dieses Kostenrisiko steht in einem krassen Missverhältnis zu der wirtschaftlichen Tätigkeit der Abmahnerin.
Die Abmahnerin rechnete mit einem Umsatz aus Briefkästenverkäufen für das Jahr 2015 von insgesamt 500.000 Euro. Der (erwartete) Umsatz ist nach zutreffender Ansicht des Gerichts aber als Vergleichswert untauglich.
"Als Vergleichsgröße zu dem mit der Abmahntätigkeit eingegangenen Kostenrisiko ist der – in dem konkret in Rede stehenden Marktsegment – erzielte Umsatz grundsätzlich nicht geeignet. Der Umsatz sagt allenfalls mittelbar etwas über die Fähigkeit eines Unternehmens aus, das mit einer umfangreichen Abmahntätigkeit verbundene Kostenrisiko finanziell tragen zu können.
Denn aus dem Umsatz muss zuvörderst der mit der (eigentlichen) wirtschaftlichen Betätigung in Verbindung stehende Betriebsaufwand finanziert werden. Insofern erweist sich die Information der Verfügungsklägerin, sie werde im Jahre 2015 einen Nettoumsatz mit Briefkästen von mehr als 500.000,00 Euro erzielen, als im Wesentlichen bedeutungslos.
Als Vergleichsgrößen sind vielmehr Kennzahlen aus dem Bereich des Betriebsvermögens (Eigenkapitals) heranzuziehen, und zwar in erster Linie der Gewinn (soweit er in dem entsprechenden Marktsegment erzielt wird) und hilfsweise – bei einer Betrachtung zu Gunsten des Abmahnenden – das Eigenkapital (soweit es mit der Geschäftstätigkeit in dem in Rede stehenden Marktsegment erwirtschaftet wurde)."
Und diese Zahlen sahen gar nicht gut aus für die Abmahnerin:
"Jahresabschlusskennzahlen für die Verfügungsklägerin liegen dem Senat lediglich für die Kalenderjahre 2012 und 2013 vor. Im Jahre 2012 erzielte die Verfügungsklägerin einen Jahresüberschuss von 5.873,09 Euro und verfügte zum Jahresende über ein Eigenkapital (=Betriebsvermögen) von 294.193,77 Euro. Im Jahre 2013 erzielte die Verfügungsklägerin (bei einem Jahresumsatz von mehr als 1,6 Millionen Euro) einen Überschuss von (lediglich) 5.491,20 Euro und verfügte zum Jahresende über ein Eigenkapital von 299.684,97 Euro."
Damit hätte die Abmahnerin im worst case fast ihr komplettes Eigenkapital aufbrauchen müssen, um das Kostenrisiko abzudecken. Das sei kein Verhalten eines vernünftig handelnden Kaufmanns, so das Gericht weiter.
"Das Kostenrisiko aus der Abmahntätigkeit beträgt jeweils ca. das 50-fache des erzielten Jahresgewinns, die zu prognostizierenden Kosten würden das im Betrieb vorhandene Eigenkapital (nahezu) vollständig aufzehren. Ein derart hohes Kostenrisiko würde ein vernünftig handelnder Kaufmann grundsätzlich nicht eingehen."
Das Gericht ließ sich auch nicht von Argumenten der Abmahnerin überzeugen, sie könne die Abmahntätigkeiten durch Einsparungen an anderer Stelle finanzieren, wie z.B. dadurch, dass ihr Geschäftsführer bei künftigen Geschäftsreisen nicht mehr Business- sondern EconomyClass fliegen würde.
"Ein vernünftig handelnder Kaufmann in der wirtschaftlichen Situation der Verfügungsklägerin – zumal bei ohnehin steigendem Absatz in dem betreffenden Marktsegment – hätte sein Kostenrisiko durch ein gestaffeltes und zeitlich gestrecktes Vorgehen bei der Abmahnung von Mitbewerbern minimiert und nicht eine derart umfangreiche Abmahntätigkeit innerhalb kürzester Zeit wie die Verfügungsklägerin entfaltet.
Im Falle der Verfügungsklägerin ergibt die Gesamtwürdigung aller hier erörterten Umstände hingegen, dass diese nach der Erteilung des gerichtlichen Hinweises in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Hagen am 03.06.2015 im ausschließlichen oder zumindest ganz überwiegenden Gebührenerzielungsinteresse bestrebt war, möglichst viele Vertreiber der in Rede stehenden Briefkästen abzumahnen, bevor die beanstandeten Kennzeichnungsverstöße von dem Herstellerunternehmen und den Vertreibern – sei es freiwillig, sei es aufgrund gerichtlichen Zwanges – abgestellt werden."
Das Urteil des OLG Hamm bestätigt das Ergebnis der Umfrage von Trusted Shops "Abmahnungen im Online-Handel 2015". Die Umfrage ergab, dass es sich für Abgemahnte lohnt, gegen eine Abmahnung vorzugehen. Rund zwei Drittel der Teilnehmer der Studie, die sich gegen eine Abmahnung wehrten, hatten damit Erfolg. Es ist daher wichtig, sich unbedingt rechtlich beraten zu lassen, wenn man eine Abmahnung erhalten hat.
[hubspotform whitepaper="true" title="Studien-Ergebnisse herunterladen: Abmahnungen im Online-Handel 2016" image_path="" image_text="Abmahnungen im Online-Handel sind noch immer ein großes Problem. Und es hat sich verschärt: Im letzten Jahr wurde mehr abgemahnt und Abmahnungen wurden teurer. Das hat unsere Studie ergeben. Laden Sie sich jetzt die Ergebnisse im Detail herunter." copy_text="" portal_id="603347" form_id="15581791-f9ae-42db-8e70-a30313d87dee" css=""]
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