Bundesrat empfiehlt Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes

BundesratDie Bundesregierung hat vor kurzer Zeit einen Entwurf zur Änderung des UWG vorgelegt. Mit diesem sollen überwiegend klarstellende Anpassungen des Gesetzes vorgenommen werden. Der Bundesrat hat am Freitag den Gesetzentwurf beraten und bittet nun um eine Prüfung, ob der fliegende Gerichtsstand im weiteren Gesetzgebungsverfahren abgeschafft werden kann.

Lesen Sie mehr zum Beschluss des Bundesrates.

Immer wieder ist die Abschaffung des sog. fliegenden Gerichtsstandes Thema.

Was versteht man unter "fliegender Gerichtsstand"?

Die Frage, vor welchem Gericht man jemanden verklagen muss (also der Gerichtstand), ist elementar wichtig. Denn wird eine Klage am falschen Ort erhoben, kann dies zur Unzulässigkeit führen, der Kläger würde dann mit Kosten belastet werden.

Das UWG regelt den Gerichtsstand für Klagen im Wettbewerbsrecht in § 14 UWG.

Dort heißt es, dass grundsätzlich das Gericht zuständig ist, in dessen Gerichtsbezirk der Beklagte seine Niederlassung bzw. - wenn er keine Niederlassung hat - seinen Wohnsitz hat.

Absatz 2 erweitert diesen Gerichtstand aber noch und dies ist insbesondere für Online-Händler von Bedeutung. Denn gemäß § 14 Abs. 2 UWG ist außerdem nur das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.

Bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht in einem Online-Shop ist das dann grundsätzlich JEDES Landgericht in Deutschland, weil der Online-Shop an jedem Ort abgerufen werden kann und damit auch die Verletzungshandlung an jedem Ort der Bundesrepublik begangen wird. Dies ist seit Jahren in der Rechtsprechung unumstritten.

Nur in sehr seltenen Fällen schränken Gerichte den fliegenden Gerichtsstand ein.

Warum soll der fliegende Gerichtsstand abgeschafft werden?

Schon als sich das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken in der parlamentarischen Beratung befand, forderte der Bundesrat dazu auf, den fliegenden Gerichtsstand abzuschaffen. Damit hatte er aber keinen Erfolg.

Nun ergreift der Bundesrat erneut die Chance. So heißt es zur Begründung in der Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BR-Drs. 26/15) von Freitag:

"DerBundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die Möglichkeit des "fliegendenGerichtsstands (§ 14 Absatz 2 UWG) aufgehoben oder eingeschränkt werden kann.

Begründung:

Die Regelung des § 14 Absatz 2 UWG ermöglicht es bislang, im Onlinehandel Gerichtsstände so auszuwählen, dass die Erfolgsaussichten verbessert und die Kosten für die Beklagten ohne sachlichen Grund erhöht werden. Die Regelung ist damit eine wichtige Ursache für die Durchsetzung ungerechtfertigter Abmahnforderungen ("Abmahnmissbrauch"), unter denen gerade kleine und mittlere Handelsunternehmen im Onlinehandel besonders leiden. Damit wird die Entwicklung der kleinen und mittleren Unternehmen im Onlinehandel behindert.

Die Regelung stellt eine Durchbrechung des auf Grund allgemeiner Gerechtigkeitserwägungen geltenden Prinzips, nachdem die Klage am Wohn- und Geschäftssitz des Beklagten zu erheben ist, dar und führt zu Nachteilen für den Beklagten, welche nicht mit Praktikabilitätserwägungen begründet werden können.

Bei Wettbewerbsverstößen im Internet gibt es keinen physischen Ort der schädigenden Handlung. Dies kann aber kein Argument sein, den Gerichtsort ins Belieben des Klägers zu stellen."

Unklar an dieser Begründung bleibt, wie der Bundesrat darauf kommt, dass durch den fliegenden Gerichtsstand die Kosten für den Abgemahnten (bzw. später den Beklagten) erhöht werden. Mit Zahlen wird diese Annahme jedenfalls nicht weiter belegt. Diese Annahme liegt auch nicht ohne weiteres auf der Hand.

Wie läuft das Verfahren nach einer Abmahnung?

Reagiert der abgemahnte Unternehmer auf eine Abmahnung nicht, ist der nächste Schritt in aller Regel zunächst die einstweilige Verfügung. Diese ergeht ohne mündl. Verhandlung. Daher spielt es in diesem Schritt noch keine Rolle, welches Gericht angerufen wird, da hier die Kosten zunächst einmal gleich sind.

Unterschiede können sich lediglich durch unterschiedliche Streitwerte ergeben, diese ändern sich aber nicht durch Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes.

Legt der Abgemahnte gegen diese einstweilige Verfügung Widersprucch ein, dann kommt es zu mündlichen Verhandlung. Hier könnten womöglich unterschiedliche Fahrtkosten entstehen, je nachdem, an welchem Gericht geklagt und von welchem Ort der Anwalt des Abgemahnten anreisen muss.

Beim Unternehmer entstehen in der Regel keine Fahrtkosten, da in Wettbewerbsprozessen der Unternehmer oder Geschäftsführer normalerweise nicht persönlich am Prozess teilnimmt.

Ein Beispiel:

Ein Unternehmer aus Aurich wird abgemahnt und das gerichtliche Verfahren wird später vor den Gerichten in Hamburg geführt. Der Unternehmer arbeitet schon lange mit einem im Wettbewerbsrecht fähigen Anwalt aus Hamburg zusammen.

Natürlich mandatiert er ihn auch für dieses Verfahren.

Fahtkosten: Es fallen keine Fahrtkosten an.

Wird der fliegende Gerichtsstand jetzt abgeschafft, muss der Unternehmer aus Aurich zwingend vor dem LG Aurich verklagt werden. Aurich ist allerdings sehr schwer zu erreichen, da die Stadt keinen Personenbahnhof hat. In einem Fall entschied das Gericht (Beschluss v. 22.1.2013, 6 O 38/13) sogar, dass die Wahl des Gerichtsstands Aurich auf Rechtsmissbrauch schließen lasse.

Zukünftig müsste der Anwalt aus Hamburg nun also umständlich nach Aurich reisen. Das würde nicht nur Fahrtkosten, sondern auch gesetzliche Gebühren für die Kanzleiabwesenheit des Anwaltes mit sich bringen.

Zusätzliche Kosten: Abwesenheitsgeld für den Anwalt, Reisekosten, die evtl. auch eine Übernachtung mit einschließen, je nachdem, um welche Uhrzeit der Gerichtstermin beginnt.

Es mag sicherlich auch Fälle geben, in denen Reisekosten etc. durch die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes nicht entstehen. Im Wettbewerbsrecht spezialisierte Anwälte sitzen jedoch nicht an abgelegenen Gerichtsorten, sondern es gibt Konzentrationen an den heute bekannten und häufig angerufenen Wettbewerbsgerichten.

Die GRUR (Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtschutz und Urheberrecht) hat hierzu eine Studie veröffentlicht, aus der sich ergbit, dass 82% aller Wettbewerbsprozess in den Bundesländern NRW, Hessen und Bayern stattfinden. Ich glaube nicht, dass sich an diesen Zahlen seit der letzten Erhebung wesentliche Änderungen ergeben haben.

Indiz für Rechtsmissbrauch

Mit der Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes würde auch ein wichtiges Indiz für die Annahme von Rechtsmissbrauch abgeschafft werden: Es ist seit vielen Jahren anerkannt, dass eine grundlose Ausnutzung des fliegenden Gerichtsstandes ein gewichtiges Indiz für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen liegen kann.

Falsch ist auch, dass mit dem fliegenden Gerichtsstand im UWG das "auf Grund allgemeiner Gerechtigkeitserwäg
ungen geltenden Prinzip" durchbrochen wird, dass Klagen immer am Wohn- bzw. Geschäftssitz des Beklagten erhoben werden müssen.

Bereits in § 32 ZPO steht eine entsprechende Regelung für unerlaubte Handlungen (und letztlich sind auch Wettbewerbsverstöße unerlaubte Handlungen). Das UWG durchbricht also kein Prinzip, sondern schreibt dieses nur logischerweise fort.

Existieren heute bereits Möglichkeiten?

Ja, es existieren heute schon Möglichkeiten, den Missbrauch des fliegenden Gerichtsstandes einzuschränken. Leider bleiben diese aber (fast) ungenutzt. Grund hierfür ist, dass die Landesregierungen in den Bundesländern nicht von ihren Möglichkeiten Gebrauch machen.

Diese können nämlich für die Bezirke mehrerer Landgerichte eines von ihnen als Gericht für Wettbewerbsstreitsachen bestimmen. Von dieser Möglichkeit haben bisher aber nur Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen Gebrauch gemacht. Alle anderen Bundesländer wünschen sich offenbar keine Konzentration an einzelnen Gerichtsstandorten.

Fazit

Der Gesetzgeber sollte sich Gedanken machen, wie man den Rechtsmissbrauch bei Abmahnungen eindämmen kann. Dabei helfen aber keine symbolpolitischen Maßnahmen wie die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes. Sachlich begründen lässt sich diese Forderung jedenfalls nicht.

Wichtigere wäre, gerade für Online-Händler, eine Reduzierung der Informationspflichten. Hierfür sollte sich die Regierung auf EU-Ebene stark machen. Sinnvoll wäre sicher auch eine Begrenzung der Kosten einer Abmahnung, sodass hier nur ähnliche Pauschalen zu zahlen wären, wie bei einer Abmahnung durch die Verbraucherverbände oder Wettbewerbszentrale. (mr)

11.03.15