Immer wieder gibt es Streit um Äußerungen in sozialen Netzwerken und Bewertungsportalen. Dies betrifft sowohl die gängigen Plattformen und allgemeine Blogs und Foren als auch spezielle gerade für den Zweck der Meinungsäußerung eingerichtete Bewertungsportale. Das KG Berlin hat nun über einen Fall entschieden, in dem ein Reisebüro und Bewertungsportal mit Sitz in der Schweiz wegen negativer Kommentare über ein Berliner Hostel verklagt wurde. Die Entscheidung wird in diesem Beitrag zum Anlass genommen, die grundlegenden Unterschiede bei der Haftung von Portal-Betreibern nach deutschem und schweizerischem Recht aufzuzeigen.
Lesen Sie mehr dazu in einem Gastbeitrag von RA Bühlmann und RA Schirmbacher.
Unsere Gastautoren RA Lukas Bühlmann und RA Martin Schirmbacher sind ausgewiesene Experten auf dem Bereich Cross-Border-Handel. Sie analysieren hierzu Entscheidungen der nationalen Gerichte auf ihre Auswirkungen für den internationalen Handel und informieren regelmäßig in unserem Blog und auf Veranstaltungen, wie zum Beispiel bei „E-Commerce Cross-Border – Der Preis ist heiß“ zu diesem Thema.
Die Klägerin in dem Verfahren vor dem KG Berlin (Urt. v. 16.4.2013, 5 U 63/12) betreibt in Berlin in der Nähe des Ostbahnhofs ein Hostel und störte sich an einer Vielzahl von Kommentaren, die durch eine Nutzerin bei dem bekannten Reisebüro und Bewertungsportal Holidaycheck auf deren .de-Domain abgegeben wurden. In diesen Bewertungen hieß es u.a., dass das Zimmer nicht sauber und mit Bettwanzen befallen gewesen und dass die Fernseher „anno 91“ seien.
Das Prozedere bei neuen Bewertungen bei dem Portalbetreiber sieht ein automatisiertes Prüfungsverfahren vor, das um eine „manuellen Tiefenrecherche“ erweitert wird, wenn eingesetzte Wortfilter anschlagen. In diesem Fall werden die Bewertungen manuell durch Mitarbeiter der Beklagten durchgeführt. So geschah dies auch mit der Bewertung einer Nutzerin, die zu der gerichtlichen Auseinandersetzung geführt hat.
Auf eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung des Hotels hin, nahm Holidaycheck die fraglichen Bewertungen raus, gab jedoch keine Unterlassungserklärung ab.
Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich aus Art. 5 Nr. 3 des Lugano-Übereinkommens. Hiernach richtet sich die Zuständigkeit von Gerichten im Falle einer schädigenden Handlung nach dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Dass Holidaycheck seinen Sitz in der Schweiz hat, ist für die Zuständigkeit Berliner Gerichte irrelevant, weil die Äußerungen über ein Berliner Hotel unter einer ersichtlich auch auf deutsche Kundschaft ausgerichteten .de-Domain erfolgt ist. Der Schaden tritt damit jedenfalls auch in Deutschland ein.
Im umgekehrten Fall, d.h. bei einer Website-Betreiberin mit Sitz in Deutschland, deren Portal auch auf Schweizer Kunden ausgerichtet ist und ein Hotel in der Schweiz bewertet wird, ergäbe sich gestützt auf die gleiche Rechtsvorschrift ohne Weiteres eine Zuständigkeit Schweizer Gerichte.
Die Berliner Gerichte haben im vorliegenden Fall zu Recht deutsches Wettbewerbsrecht angewendet, obwohl der Sitz des Plattformbetreibers in der Schweiz liegt. Maßgeblich für die Anknüpfung ist die Rom-II-Verordnung. Danach ist in dem speziellen Fall, dass in einem Wettbewerbsverhältnis nur ein Wettbewerber überhaupt betroffen ist, der Ort maßgeblich, wo der Schaden eintritt (Art. 6 Abs. 2, Art. 4 Rom-II-VO).
Insofern gilt hier – was nicht zwingend ist – das Gleiche wie bei der Frage der Gerichtszuständigkeit. Maßgeblich ist wiederum, dass die fraglichen Äußerungen in einem Portal getätigt wurden, dass sich auch an Deutsche richtet, so dass ein Schaden auch in Deutschland eintritt.
Damit gilt für die Entscheidung insgesamt deutsches Recht. Das Gericht hat ausdrücklich festgehalten, dass sich auf die Haftungsprivilegien für Internetanbieter nach deutschem Recht selbstverständlich auch ein Unternehmen aus der Schweiz berufen kann.
Kehrt man den Sachverhalt um, gilt nichts anderes: zuständige Schweizer Gerichte würden demgegenüber regelmäßig Schweizer Recht anwenden, wenn die Klage eines Schweizer Hotels aufgrund von negativen Bewertungen auf einem deutschen Portal mit (zusätzlicher) Ausrichtung auf die Schweiz streitgegenständlich wären. Denn in diesem Fall würden schädigende Auswirkungen in der Schweiz vorliegen (vgl. Art. 136 IPRG) und deren Eintritt wird für den Portalbetreiber in der Regel auch vorhersehbar sein (vgl. Art. 139 Abs. 1 lit. a IPRG).
Betreiber von Portalen, die sowohl auf Schweizer als auch auf deutsche Nutzer ausgerichtet sind und eine Bewertung von Hotels beider Länder ermöglichen, müssen deshalb immer auch von der Anwendbarkeit beider Rechtsordnungen ausgehen.
Dabei erweist sich das Schweizer Recht als deutlich strenger: In der Schweiz kann ein Internet-Provider nicht von Haftungsprivilegien profitieren. Die Haftung richtet sich vielmehr nach den üblichen medienrechtlichen Grundsätzen der Haftung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen und des unlauteren Wettbewerbs.
Unlauterer Wettbewerb kann sich im Zusammenhang mit Bewertungsportalen insbesondere aus einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG-CH ergeben. Danach ist es unzulässig, andere, ihre Waren, Werke, Leistungen, deren Preise oder ihre Geschäftsverhältnisse durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äußerungen herabzusetzen. Klagen, die sich auf diese Bestimmung stützen, können nicht nur gegen den Verfasser einer Bewertung gerichtet werden, sondern auch gegen den Portal-Betreiber als „Gehilfen“.
Darüber hinaus kann sich eine Haftung der Portal-Betreiber auch aus Art. 28 ZGB ergeben. Sofern eine natürliche oder juristische Person durch eine Äußerung auf einem Bewertungsportal in ihrer Persönlichkeit, d.h. namentlich in ihrer Ehre verletzt wird, ohne dass dies durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist, kann sie „gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt,“ gerichtlich vorgehen. Dies führt insgesamt zu einer weitgehenden und strengen Mitwirkungshaftung.
Das Schweizer Bundesgericht hat erst kürzlich entschieden, dass ein Blog-Hoster gerichtlich zur Beseitigung eines ehrverletzenden Blog-Beitrags verpflichtet werden kann, auch wenn dieser nicht von der Unzulässigkeit des Beitrags wusste oder hätte wissen müssen (Urteil vom 14.1.2013, 5A_792/2011).
Anders als nach deutschem Recht ist eine vorgängige Abmahnung für die Haftung eines Providers somit nicht erforderlich. Die bloß untergeordnete Mitwirkung an einer ehrverletzenden Veröffentlichung genügt, um nach Schweizer Recht eine Haftung zu begründen. Wo die Grenzen einer haftungsbegründenden Mitwirkung dabei im Online-Kontext liegen, ist allerdings noch unklar.
Der erwähnte Entscheid des Bundesgerichts hatte anders als im Fall vor dem KG Berlin nur eine Beseitigungsklage und nicht eine Klage auf (zukünftige) Unterlassung zum Gegenstand. Aus dem Urteil geht deshalb nicht ausdrücklich hervor, welche Anforderungen gelten, wenn von einem Portal-Betreiber nicht „bloß“ die Beseitigung eines Beitrags verlangt wird, sondern darüber hinaus auch die Unterlassung bzw. Verhinderung von entsprechenden zukünftigen Rechtsverletzungen.
Klagt ein Betroffener auf Unterlassung, muss unseres Erachtens grundsätzlich berücksichtigt werden, ob die Verhinderung der konkreten Rechtsverletzungen, z.B. durch den Einsatz von Filter-Methoden, für den Portalbetreiber zumutbar ist.
Die Entscheidung des Bundesgerichts kann allerdings auch so interpretiert werden, dass solche Verhältnismäßigkeitsüberlegungen gerade keine Rolle spielen sollen. Portal-Betreibern könnten in diesem Falle aufgrund ihrer „bloßen“ Mitwirkung an einer Rechtsverletzung und unabhängig von einer vorgängigen Abmahnung direkt verklagt werden. Dies bedeutet letztlich, dass allen Beteiligten weitreichende Pflichten zur Kontrolle bzw. Filterung der Inhalte auferlegt werden.
Da jedoch bereits Gerichts- und Anwaltskosten bezahlt werden müssen, wenn einer „bloße“ Beseitigungsklage stattgegeben wird, sind Portal-Betreiber nach Schweizer Recht faktisch ohnehin gezwungen, die Inhalte vorab einer Prüfung zu unterziehen, sofern sie dieses Risiko nicht auf sich nehmen wollen.
Im Fall vor dem Berliner Kammergericht hat sich das Hotel auf § 4 Nr. 8 des deutschen UWG berufen, wonach unlauter handelt, wer über die Dienstleistungen eines Mitbewerbers Tatsachen behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind.
Das KG hat entschieden, dass die ersichtlich fremden Kommentare auf Holidaycheck weder eine eigene Behauptung des Plattformbetreibers sind noch in der Veröffentlichung eine Verbreitung im Sinne des Gesetzes zu sehen sei.
Eine eigene Anschwärzung sei nicht zu erkennen, insbesondere sei die Tatsache, dass aus den Bewertungen ein Durchschnittswert bestimmt werde, dafür nicht ausreichend. Eine Identifikation mit den klar als fremde Bewertungen gekennzeichneten Kommentaren sei nicht zu erkennen.
Spannender ist, dass das Gericht in der Veröffentlichung der Kommentare kein Verbreiten im Sinne von § 4 Nr. 8 UWG sieht. Verbreiten sei ein Verhalten, das bewusst die Möglichkeit der Kenntnisnahme von der anderweit aufgestellten Tatsachenbehauptung verschafft, ohne dass sich der Handelnde mit ihr identifiziert. Dazu sei, so das Gericht, ein aktives Tun des Handelnden Voraussetzung. Daran fehle es jedenfalls dann, wenn die Kommentare automatisch veröffentlicht werden.
Doch auch wenn zunächst eine Filtersoftware des Betreibers über die Kommentare laufe und anschließend individuell durch einen Mitarbeiter freigegeben wird, liege hierin kein Verbreiten. Wer lediglich verschiedene Standpunkte zu einem bestimmten Thema zusammen- und gegenüberstellt, verbreite grundsätzlich nicht.
Da in den maßgeblichen Schweizer Vorschriften auf andere Kriterien abgestellt wird, spielt die Frage, ob ein „Verbreiten“ vorliegt, für die Beurteilung im Schweizer Recht keine Rolle.
Ein Unterlassungsanspruch stehe der Klägerin allerdings auch deshalb nicht zu, weil für Holidaycheck das Haftungsprivileg, für fremde Informationen nicht verantwortlich zu sein, gilt (§ 10 TMG).
Interessanterweise interpretiert das Kammergericht die neuen Entscheidungen des I. Zivilsenats des BGH dabei dahingehend, dass die Haftungsprivilegierung der §§ 7 ff. TMG auch bei Unterlassungsansprüchen zur Anwendung kommt.
Das Privileg gelte dabei auch dann, wenn sich Bewertungsportal und Reisebürotätigkeit bei Holidaycheck vermischten. Anders wäre dies, wenn die Betreiberin ihre neutrale Stellung zwischen Verfassern und Lesern derart verlässt, dass sie eine aktive Rolle übernimmt, die ihr Kenntnis von Daten und eine Kontrolle über sie verschaffen könnten. Diese Grenze sei jedoch nicht überschritten. Auch nach schweizerischem Recht führt ein „Zueigenmachen“ von unzulässigen Äußerungen zu einer direkten Haftung.
Auch der Einsatz von Wortfiltern sei nicht geeignet, der Betreiberin das Haftungsprivileg zu entziehen. Zwar könne es im Einzelfall dazu kommen, dass der Betreiberin einzelne Kommentare vorab bekannt sind, doch entfalle dadurch die Haftungserleichterung. Unter Umständen sei die Beklagte sogar zum Einsatz von Filtersoftware verpflichtet. Dies könne nicht dazu führen, dass sie für alle Inhalte, die sie nach einer automatischen Vorabprüfung freigeschaltet habe, wie für selbst eingestellte Inhalte haften müsse. Eine solche Sichtweise würde die EU-rechtlich gebotene Privilegierung vollständig aushöhlen.
Es genüge demnach, wenn der Plattformbetreiber nach einer entsprechenden Notifikation die rechtswidrigen Inhalte beseitige oder sperre. Im Schweizer Recht wäre es demgegenüber für den Betreiber gerade nicht ausreichend, einen rechtsverletzenden Beitrag erst auf eine Abmahnung hin zu entfernen. Vielmehr könnte ein Betroffener auch direkt gerichtlich vorgehen. Der Portal-Betreiber hätte auch in diesem Fall grundsätzlich die Gerichts- und Anwaltskosten zu tragen.
Schließlich stellte das Kammergericht klar, dass die Beklagte zwar eine besondere Gefahrenlage schaffe, wenn sie Dritten die Möglichkeit einräumt, sich in anonymer Weise wertend über ein Unternehmen zu äußern. Darin liege aber keine Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht. Zwar erwachsen aus der Verkehrspflicht bestimmte Prüfungspflichten. Diese dürften aber nicht überspannt werden.
Die Grenze des Zumutbaren ist jedenfalls dann erreicht, wenn keine Merkmale vorhanden sind, die sich zur Eingabe in einem Wortfilter eignen. Das berechtigte Interesse der Beklagten an Schutz vor unwahren geschäftsschädigenden Handlungen, könne nicht zu einer Verpflichtung führen, jede Bewertung vor Veröffentlichung im Detail auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Eine über die präventive Kontrolle von Schmähkritik hinaus gehende Untersuchungspflicht könne dem Betreiber eines Hotelbewertungsportals nicht zugemutet werden.
Ein solches sachgemäßes Ergebnis wäre auch im Schweizer Recht wünschenswert. Aufgrund der aktuellen Ausgestaltung der medienrechtlichen Haftung besteht in der Schweiz aber faktisch gerade eine darüber hinaus gehende Pflicht zur Vorabkontrolle von Inhalten, sofern sich der Betreiber nicht direkten Beseitigungsansprüchen ausgesetzt sehen will.
Für Betreiber von Bewertungsportalen mit Sitz in der Schweiz enthält die ungewöhnlich sorgfältig und ausführlich begründete Entscheidung des KG Berlin drei Kernpunkte:
Darüber hinaus zeigt der Vergleich mit der Rechtslage in der Schweiz, dass deutsche Portal-Betreiber, die sich auf die Schweiz ausrichten, ebenfalls vor Schweizer Gerichten in Anspruch genommen werden können. Dabei wird regelmäßig auch das aus Sicht der Portal-Betreiber wesentlich strengere Schweizer Recht zur Anwendung gelangen. Soll das Risiko solcher Prozesse vermieden werden, müssen deutsche Portal-Betreiber faktisch vorab, also vor dem Erhalt einer Abmahnung, ihre Inhalte überprüfen und gegebenenfalls rechtsverletzende Inhalte entfernen.
Unter anderem um das Thema des Cross-Border Angebotes von Dienstleistungen geht es in zwei gemeinsam von HÄRTING Rechtsanwälte, Bühlmann Rechtsanwälte AG, bvh und vsv durchgeführten kostenlosen Veranstaltungen am 21.8 in Zürich und 3.9 in Berlin. Weitere Informationen zu den Events, die unter dem Titel: „E-Commerce Cross-Border – Der Preis ist heiß“ stehen, finden Sie hier.
RA Lukas Bühlmann
Lukas Bühlmann ist Rechtsanwalt und Inhaber der Züricher Kanzlei Bühlmann Rechtsanwälte AG und berät Unternehmen vorwiegend in den Bereichen Vertrieb, E-Commerce, Werbung und Wettbewerb sowie Produktrecht. Er unterstützt seine Mandanten insbesondere bei der rechtssicheren Ausgestaltung ihrer Online-Geschäftskonzepte und des Vertriebs über Webshops. Weitere Informationen zu Bühlmann Rechtsanwälte finden Sie unter www.br-legal.ch.
RA Dr. Martin Schirmbacher
Martin Schirmbacher ist Fachanwalt für IT-Recht und seit Jahren in der auf Medien und Technologie spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei HÄRTING Rechtsanwälte (www.haerting.de) tätig. Er prüft dort unter anderem Online-Geschäftskonzepte seiner Mandanten und zeigt Wege zur rechtssicheren Ausgestaltung der Geschäftsidee.