Referentenentwurf: Neue Regeln zum Streitwert bei Abmahnungen

Der vor Kurzem veröffentlichte Referentenentwurf eröffnet die Möglichkeit, bei erheblicher Gefährung der wirtschaftlichen Lage eine Partei hinsichtlich der Kosten des Verfahrens zu begünstigen. Außerdem soll für bestimmte Verstöße ein Regelstreitwert von 1.000 Euro eingeführt werden. Ob diese Regelungen wirksam vor Abmahnungen schützen können, darf jedoch bezweifelt werden.

Lesen Sie, weshalb Abmahnungen damit nicht eingedämmt werden können.

Derzeit ist in § 12 Abs. 4 UWG geregelt, dass bei der Bemessung des Streitwertes bestimmte Umstände zu berücksichtigen sind. Wörtlich heißt es:

"Bei der Bemessung des Streitwerts für Ansprüche nach § 8 Absatz 1 ist es wertmindernd zu berücksichtigen, wenn die Sache nach Art und Umfang einfach gelagert ist oder wenn die Belastung einer der Parteien mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert angesichts ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse nicht tragbar erscheint."

Diese Regelung soll nun aus dem UWG gestrichen und durch eine neue ersetzt werden.

Vorgeschlagener Wortlaut

Ein neuer § 12 Abs. 4 und 5 UWG scheint eine einfachere Möglichkeit für den Abgemahnten zu eröffnen, den Streitwert in wettbewerbsrechtlichen Verfahren zu senken.

„(4) Macht eine Partei in Rechtsstreitigkeiten, in denen durch Klage ein Anspruch aus einem der in diesem Gesetz geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird, glaubhaft, dass die Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, so kann das Gericht auf ihren Antrag anordnen, dass die Verpflichtung dieser Partei zur Zahlung von Gerichtskosten sich nach einem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts bemisst. Die Anordnung hat zur Folge, dass

1. die begünstigte Partei die Gebühren ihres Rechtsanwalts ebenfalls nur nach diesem Teil des Streitwerts zu entrichten hat,

2. die begünstigte Partei, soweit ihr Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden oder soweit sie diese übernimmt, die von dem Gegner entrichteten Gerichtsgebühren und die Gebühren seines Rechtsanwalts nur nach dem Teil des Streitwerts zu erstatten hat und

3. der Rechtsanwalt der begünstigten Partei, soweit die außergerichtlichen Kosten dem Gegner auferlegt oder von ihm übernommen werden, seine Gebühren von dem Gegner nach dem für diesen geltenden Streitwert beitreiben kann.

(5) Der Antrag nach Absatz 4 kann vor der Geschäftsstelle des Gerichts zur Niederschrift erklärt werden. Er ist vor der Verhandlung zur Hauptsache anzubringen. Danach ist er nur zulässig, wenn der angenommene oder festgesetzte Streitwert später durch das Gericht heraufgesetzt wird. Vor der Entscheidung über den Antrag ist der Gegner zu hören.“

Diese Regelung findet sich auch im Markengesetz, im Patentgesetz, im Gebrauchsmustergesetz und im Geschmacksmustergesetz.

Strengere Voraussetungen

Die derzeitige Möglichkeit der Streitwertherabsetzung muss das Gericht von Amts wegen berücksichtigen. Das heißt, bereits bei Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne vorherige mündliche Verhandlung, ist das Gericht daran gebunden.

Da der bisherige § 12 Abs. 4 UWG wegfällt, richtet sich die Bemessung des Streitwertes allgemein nach § 3 ZPO i.V.m. einem neuen § 51 GKG (Gerichtskostengesetz). Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Streitwertbegünstigung nur auf Antrag

Die neu eingeführte Streitwertbegünstigung kommt aber nur zum Tragen, wenn der Abgemahnte dies beantragt. Da einstweilige Verfügungen im Regelfall ohne mündliche Verhandlung geschlossen werden, wird der Abgemahnte also gezwungen, gegen die Verfügung Widerspruch einzulegen, damit er überhaupt einen Antrag stellen kann.

Auf diesen Antrag hin hat das Gericht dann die Möglichkeit anzuordnen, dass der Antragsgegner die Gebühren für den eigenen Anwalt und die Gerichtskosten im Falle des Unterlegens nicht nach dem vollen Streitwert zu entrichten hat, sondern nur nach einem Teil.

Zurück in die Vergangenheit?

Interessant an dem jetzigen Entwurf ist, dass der Wortlaut, wie er im Referentenentwurf vorgeschlagen wird, bis 2004 bereits im UWG enthalten war. § 23b UWG a.F. hatte den gleichen Wortlaut wie der jetzt vorgeschlagene § 12 Abs. 4 und 5 UWG-E.

In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1487, Seite 15) zur Einführung des UWG im Jahr 2004 wird der Wegfall der Streitwertbegünstigung des § 23b UWG a.F. wie folgt begründet:

"Die Vorschrift des § 23b UWG a. F., die eine Sonderregelung zur Streitwertbemessung in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten enthielt, kann entfallen, da sie neben der Regelung des § 23a UWG a. F., die weitgehend unverändert in § 12 Abs. 4 übernommen wird, keinen nennenswerten eigenständigen Anwendungsbereich hat."

Diese alte Regelung ohne "nennenswerten eigenständigen Anwendungsbereich" wird also wieder eingefügt. Der für Abgemahnte wesentlich günstigere § 12 Abs. 4 UWG aber abgeschafft.

Existenzgefährdung durch Prozesskosten

Voraussetzung ist, dass die wirtschaftliche Lage einer Partei durch die Kosten nach dem vollen Streitwert erheblich gefährdet sein muss.

Die Begründung des Entwurfs vergleicht die neue Regelung explizit mit denen in den anderen Gesetzen zum gewerblichen Rechtsschutz.

Dieser Vergleich legt es aber nahe, dass ein entsprechender Antrag in Unterlassungsprozessen nach dem UWG selten Erfolg haben wird.

Im Marken- oder Patentrecht geht es häufig um Streitwerte von 1 Million Euro und mehr. Dies verursacht bereits ein Prozesskostenrisiko von über 40.000 Euro.

Bei Abmahnungen nach UWG bewegen sich die Gerichte mittlerweile bei Streitwerten um 15.000 Euro oft noch weit darunter, sodass das Prozesskostenrisiko bei ca. 4.000 Euro liegt.

Zugegeben, das ist für viele Händler ein hoher Betrag, aber wohl nicht oft existenzbedrohend im Sinne dieser Regelung. Die schon heute vorgesehene Streitwertminderung ist nach Meinung in der Literatur bei Streitwerten bis zu 10.000 Euro von vornherein ausgeschlossen. Nichts anderes wird wahrscheinlich für die Streitwertbegünstigung gelten.

In der Kommentierung zu der gleichen Vorschrift im MarkenG heißt es:

"Allein die schlechte finanzielle Lage der beantragenden Partei rechtfertigt noch keine Streitwertbegünstigung (OLG Karlsruhe WRP 1981, 660; OLG Stuttgart WRP 1982, 489; KG WRP 1984, 20). [...]

Wenn eine Kreditaufnahme nach den konkreten Umständen zuzumuten ist, dann fehlt es an einer erheblichen Gefährdung der wirtschaftlichen Lage." (Fezer, Markenrecht, 4. Auflage 2009, § 142 Rn. 8 MarkenG)

Fast identisch findet sich diese Kommentierung auch zum § 23b UWG a.F.

Da mit dem Entwurf exakt der gleiche Wortlaut eingefügt werden soll, ist nicht davon auszugehen, dass sich für die Neuregelung eine andere Literaturmeinung herausbilden wird.

Aufrgund der gesunkenen Streitwerte in den letzten Jahren, würde diese neue Vorschrift also nur sehr selten zur Anwendung kommen.

Glaubhaftmachung der Existenzbedrohung

Darüber hinaus muss man die Existenzbedrohung glaubhaft machen.

Das bedeutet, dass man im Zweifel im Prozess seine Bücher offen legen muss und der Abmahner so auch noch einen detaillierten Einblick in die wirtschaftliche Lage des Abgemahnten erhält.

Neue Gerichtskosten

Neben der neuen Vorschrift zur Streitwertbegrenzung soll im Gerichtskostengesetz ein Regelstreitwert für manche Streitigkeiten nach UWG von 1.000 Euro eingeführt werden. Nach der Entwurfsbegründung wird der Abgemahnte allerdings niemals in den Genuss dieses geringen Streitwertes kommen.

Die geplante Neuregelung findet sich in § 51 GKG und soll lautet:

"(2) In Verfahren über Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(3) Ist die Bedeutung der Sache für den Beklagten erheblich geringer zu bewerten als der nach Absatz 2 ermittelte Streitwert, ist dieser angemessen zu mindern. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts hinsichtlich des Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs keine genügenden Anhaltspunkte, ist insoweit ein Streitwert von 1.000 Euro anzunehmen, auch wenn diese Ansprüche nebeneinander geltend gemacht werden."

Zunächst wird in der Entwurfsbegründung ausgeführt, dass nun die Bemessung des Streitwertes danach bestimmt, welche Bedeutung die Sache für den Kläger hat. Bisher geschehe dies aus dem "freien Ermessen" des § 3 ZPO.

Das ist korrekt, aber bereits heute ist anerkannt, dass bei der Streitwertbemessung ausschließlich das wirtschaftliche Klägerinteresse an der Anspruchsdurchsetzung maßgeblich ist.

Streitwertminderung

Nach Absatz 3 kann dann dieser nach Absatz 2 ermittelte Streitwert doch wieder gemindert werden, wenn die Sache für den Beklagten erheblich geringer zu bewerten ist. Hier wird also wieder eine Streitwertminderung eingeführt, die gleichzeitig aus § 12 Abs. 4 UWG gestrichen werden soll.

Es tritt also wieder die Situation ein, die mit der Reform des UWG 2004 abgeschafft wurde: Die Regelung zur Streitwertbegünstigung hat erneut keinen eigenständigen Anwendungsbereicht.

Aber diese neue Streitwertminderung stellt nicht darauf ab, dass die Sache einfach gelagert ist. Vielmehr sind hier die Interessen des Beklagten zu berücksichtigen. Diese sind aber ohne Anhörung des Beklagten im einstweiligen Verfügungsverfahren gar nicht bekannt.

Regelstreitwert

Wann der Regelstreitwert von 1.000 Euro gelten soll, lässt sich dem Entwurfstext nicht genau entnehmen.

Die Ausführungen in der Entwurfsbegründung offenbaren aber, dass dieser überwiegend dann gelten soll, wenn die Abmahnung unberechtigt erfolgte.

Denn in der Begründung heißt es:

"Ein Streitwert von 1 000 Euro ist anzunehmen, wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Streitwerts bietet. Dieser Auffangwert ist als starre Größe einer Differenzierung nach oben oder nach unten je nach Lage des Falles nicht zugänglich.

Er wird insbesondere in den Fällen zur Anwendung kommen, in denen ein Verstoß gegen Marktverhaltensregeln im Sinn des § 4 Nummer 11 UWG außerhalb des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vorliegt, die Verzerrung des Wettbewerbs aber eher unwahrscheinlich ist, da sich ein vernünftiger Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch den Verstoß in seiner Entscheidung über den Kauf einer Ware oder die Inanspruchnahme einer Dienstleistung nicht beeinflussen lassen wird."

Besonders interessant ist hier der zweite Teil der Ausführungen. Denn dieser führt im Ergebnis dazu, dass das Prozesskostenrisiko für den Abmahner sinkt.

Bagatellverstöße

Denn wenn ein Verstoß i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG vorliegt, der die Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst, liegt ein sog. Bagatellverstoß i.S.d. § 3 Abs. 2 UWG  vor und der Abmahner verliert den Prozess. Denn in diesen Fällen erfolgte die Abmahnung unberechtigt.

Muss dann der Streitwert aber auf 1.000 Euro durch das Gericht festgesetzt werden, wird die unberechtigte Abmahnung inkl. anschließendem Prozess für den Abmahner relativ "preiswert".

Die Entwurfsbegründung führt hier ausdrücklich Verstöße gegen die Impressumspflicht auf. Solche können aber niemals Bagatelle sein. Denn derartige Verstöße beeinflussen die Entscheidung des Verbrauchers bereits per gesetzlicher Definition immer wesentlich.

Auch die ebenfalls in der Begründung erwähnten unzulässigen AGB-Klauseln können in aller Regel keinen Bagatellverstoß darstellen. So stellt es beispielsweise keine Bagatelle dar, wenn man die Gewährleistungsrechte des Verbrauchers durch AGB unzulässig einschränkt, wie bereits durch den BGH (U. v. 31.3.2010, I ZR 34/08 "Gewährleistungsausschluss im Internet") geklärt wurde.

Der deutsche Gesetzgeber hat in diesem Bereich außerdem keine Regelungskompetenz, diese Verstöße als Bagatellen einzustufen. Zwingende europarechtliche Vorgaben verhindern dies.

Da durch die UWG-Reform 2008 die Anwendbarkeit der Bagatellklausel auf sehr wenige Fälle beschränkt wurde, wird gleiches auch für die Anwendbarkeit des "Regelstreitwertes für Bagatell-Abmahnungen" gelten, sollte er so tatsächlich Eingang in das Gesetz finden.

Fazit

Das Ziel, das Abmahnwesen in Deutschland mit Blick auf Massenabmahnungen begrenzen zu wollen, ist sehr begrüßenswert. Die im jetzigen Entwurf vorgesehenen Regelungen hinsichtlich der Streitwerte laufen aber überwiegend ins Leere, da ihr Anwendungsbereich in der wettbewerbsrechtlichen Praxis äußerst gering ist. Die Neueinführung alter Regeln, die aufgrund ihrer faktischen Nicht-Anwendung abgeschafft wurden, wird das Problem von Abmahnungen jedenfalls nicht eindämmen. (mr)

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18.04.12