Nutzt der Verbraucher Ware, bevor er im Wege seiner Gewährleistungsansprüche vom Vertrag zurücktritt, steht dem Händler ein Wertersatzanspruch für diese Nutzung zu. Er muss also nicht den vollen Kaufpreis an den Verbraucher erstatten. Das AG Steinfurt hat sich nun zur Höhe dieses Anspruches geäußert.
Wie viel muss der Kunde für 15 Wochen Nutzung zahlen?
Dem Händler steht im Gewährleistungsrecht ein Wertersatzanspruch für die Nutzung der Ware zu, wenn der Verbraucher im Rahmen seiner Gewährleistungsrechte vom Vertrag zurücktritt. Dies hat der BGH im September 2009 entschieden.
Defekter Computer
Vor dem AG Steinfurt (Urteil v. 12.10.2011, 4 C 168/10) stritten sich ein Verbraucher und ein Händler um die Rückzahlung des Kaufpreises für ein Notebook in Höhe von 699 Euro.
Der Verbraucher hatte dieses mit vorinstallierter Software im August 2009 gekauft. Bereits einige Tage nach dem Kauf meldete sich der Verbraucher beim Händler und monierte Mängel.
Schon nach kurzer Betriebsdauer stürze der Rechner ab und zeigte einen “blue screen”.
Versuch der Nachbesserung
Bis zum Februar 2010 versuchte der Händler insgesamt viermal den Fehler zu finden, sandte das Notebook hierzu gar an den Hersteller. Aber auch dieser konnte aber keine Fehler an der Hardware feststellen, installierte jedes Mal das Betriebssystem neu.
Der Fehler wurde jedoch weder gefunden noch behoben.
Rücktritt vom Vertrag
Schließlich trat der Verbraucher vom Vertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Notebooks.
Dies verweigerte der Händler.
“Er behauptet, dass das Notebook im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs, also der Übergabe mangelfrei gewesen sei. Weder ein Fehler der Hardware noch ein BIOS-Fehler habe sich bestätigt. Seiner Ansicht nach, sei das Auftreten des Fehlers vielmehr auf die Verwendung der vom Kläger selbst aufgespielten Software zurückzuführen.”
Der Händler war außerdem der Ansicht, dass der Verbraucher selbst nach Updates im Internet suchen könne, falls der Fehler aufgrund von Standard-Treibersoftware auftrete.
“In diesem Zusammenhang macht er geltend, dass der Fehler seitens des Sachverständigen erst bei einem erheblichen Aufwand reproduzierbar gewesen sei, also bei normaler Nutzung nicht auftrete. Außerdem könne das Auftreten des Fehlers durch bloßes Einschalten der Treibersoftware vermieden und durch Aufspielen des entsprechenden updates auf relativ einfachem Wege behoben werden.
Dass regelmäßige updates der mitgelieferten Standardsoftware zur Pflege des Notebooks notwendig seien, müsse jedem Nutzer bekannt sein und deren Vornahme unterliege dessen eigenem Verantwortungsbereich.”
Mangel bei Übergabe
Die Klage, so das Gericht, sei überwiegend begründet. Der Mangel war auf die Grafikkarte und deren Treiber zurückzuführen. Dieser Mangel lag auch bereits bei Gefahrübergang vor.
Dies ergab das Gutachten eines Sachverständigen.
“Der Sachverständige hat insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2011 ausgeführt, dass der harte Absturz zwar bei einfacheren Anwendungen wie z.B. einer Textverarbeitung vermutlich nicht auftreten wird, aber bei jeglichen Anwendungen, die die Grafikkarte fordern.
In diesem Zusammenhang ist bereits zu berücksichtigen, dass auf dem Notebook die Version Windows Vista installiert war, die schon für sich genommen nach den Angaben des Sachverständigen wesentlich komplexere Grafikverhältnisse aufweist.
Auch war auf dem Notebook zumindest ein Programm zur Videowiedergabe vorinstalliert, bei dessen Anwendung nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten des Fehlers zu rechnen ist.”
Zwar erkannte das Gericht, dass es gerade bei neuer Software zu “Kinderkrankheiten” kommen könne.
“Allerdings kann dies nach Ansicht des Gerichts nicht dazu führen, das Risiko der Fehlerfeststellung und -behebung dem Verbraucher aufzubürden.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass zwar bei bekannter Fehlerursache das Herunterladen eines updates auch für einen mäßig versierten PC-Nutzer zu bewerkstelligen sein mag. Auf das Finden der Fehlerursache trifft dies demgegenüber nicht zu.”
Im vorliegenden Fall benötigte selbst der Sachverständige erheblichen Zeitaufwand, um den Fehler zu reproduzieren. Der Hersteller hatte bei seinen Diagnosen lediglich das Betriebssystem neu installiert und damit den fehlerhaften Treiber erneut auf den PC aufgespielt.
“Auch der Beklagte selbst hatte ausreichend Gelegenheit für eine Fehlersuche, hat ihn aber nicht ausmachen können. Weder die Herstellerfirma noch der Beklagte scheinen das Vorhandensein etwaiger updates für die aufgespielte Software geprüft zu haben.
Da eine solche Treibersoftware speziell für die Grafikkartenfamilie produziert wird, ist die Nachlieferung von entsprechenden updates jedoch ihrem Risikobereich zuzurechnen und nicht etwa demjenigen des Verbrauchers.”
Wertersatzanspruch
Grundsätzlich hatte der Verbraucher also einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises. Allerdings nutzte er das Notebook vor dem Rücktritt vom Vertrag, sodass dem Händler ein angemessener Wertersatz zustand.
Zur Berechnung des Wertersatzes setzte das Gericht eine durchschnittliche Nutzungsdauer von Notebooks in dieser Preisklasse von sechs Jahren an. Der Verbraucher nutzte das Notebook insgesamt 15 Wochen.
Für jede Woche der Nutzung gestand das Gericht dem Händler einen Wertersatz in Höhe von 2,24 Euro (699 Euro / 312 Wochen) zu. Das ergibt einen Gesamtwertersatzanspruch in Höhe von 31, 61 Euro. Der Verbraucher erhielt also 665,39 Euro gegen Rückgabe des Notebooks erstattet.
Fazit
Der Wertersatz machte im hier entschiedenen Fall also ungefähr 4,5% vom Kaufpreis aus. Zwar kann man die Wertersatzansprüche im Widerrufs- und Gewährleistungsrecht nicht direkt miteinander gleichsetzen, aber dieses Urteil bietet auch Anhaltspunkte für den Wertersatz im Widerrufsfall.
In der Praxis verlangen Händler oft für Ware, die innerhalb der Widerrufsfrist genutzt wurde, pauschal 15 oder mehr Prozent als Wertersatz. Zum einen ist eine solche pauschale Geltendmachung gar nicht möglich, da die konkrete Höhe des Wertersatzes immer nachgewiesen werden muss. Zum anderen zeigt die Entscheidung, dass Wertersatz in dieser Höhe zumindest für PCs wesentlich zu hoch angesetzt ist.
Nach der vom AG Steinfurt zugrunde gelegten Berechnung könnte der Händler also für eine zweiwöchige Nutzung einen Wertersatz in Höhe von 4,48 Euro geltend machen, sofern der Verbraucher die Ware in einer Art und Weise genutzt hat, die über das Prüfen der Eigenschaften und Funktionsfähigkeit hinausgeht.
Übrigens: Wird im Zuge der Gewährleistung die mangelhafte durch eine mangelfreie Sache ersetzt, steht dem Unternehmer kein Wertersatzanspruch für die Nutzung der mangelhaften Sache zu. (mr)
Lesen Sie mehr zum Thema Wertersatz:
- EuGH: Wer zahlt für Aus- und Einbau beim Austausch defekter Ware?
- BGH zur Nutzungsersatzpflicht beim Rücktritt vom Kaufvertrag
- BGH: Kein Wertersatz für die Nutzung mangelhafter Ware im Fall der Ersatzlieferung
- EuGH: Kein Ersatz für die Nutzung bei Austausch defekter Ware
- AG Rotenburg: Widerrufsware darf als neu verkauft werden
Hier wurde ja nur die NUTZUNG geltend gemacht. Was ist mit dem Schaden den ein Händler hat? Ein Notebook das zurückkommt muss überprüft und zurückgesetzt werden und wird einer Endkontrolle unterzogen. Dazu die Konfektionierung. Der effektive Aufwand kann da locker mit einer Stunde angesetzt werden. Also sollte ein Wertersatz bei einem Notebook sofern es aktiviert und genutzt wurde auch diese 40 Euro enthalten. Im Laden sind die Geräte oft gesperrt, so dass eine “Nutzung” mit eigenem Benutzernamen und Software gar nicht möglich sondern nur das Gerät als solchen betrachtet werden kann. Wenn man diese Prüfmöglichkeiten auf Online-Kunden übertragt muss man auch einen solchen Wertersatz zulassen.
@Michael
Wieso sollte der Händler einen Schaden haben? Er hat doch die defekte Ware geliefert. Warum soll der Verbraucher für einen Fehler, der auf der Seite des Verkäufers liegt, Schadensersatz zahlen müssen? Umgekehrt dagegen kann der Käufer im Falle der Lieferung mangelhafter Sachen noch weitere Schadensersatzansprüche geltend machen, weil er das Gerät nicht nutzen konnte. Der Fall, den das Gericht hier entschieden hat, war ein “Offline-Fall”. In Sachen Gewährleistung wird stationärer und online Handel absolut gleich behandelt.
Es geht mir nicht um diesen Fall sondern generell um Rücksendungen technischer Geräte die nicht direkt wieder nach der Konfektionierung in den Verkauf können sondern geprüft und zurückgesetzt werden müssen. Ist ja auch bei Tablets, Handys und Kameras so. Selbst Speicherkarten müssen sicher formatiert werden damit diese wieder bedenkenlos in den Verkauf können. Noch beschwert sich kein Kunde deswegen aber ich habe auch noch keine Urteile dazu gesehen.
Ich denke unter “Prüfung wie im Ladengeschäft” ist zu verstehen, dass der Kunde die Ware prüfen könnte, wie er mit einem Ausstellungsstück im Laden auch könnte. Das hat auch der Wasserbetten-Fall gezeigt. Es geht eben nicht um das konkrete Kaufexemplar (also z. B. in OVP versiegelte Kamera oder auf Pallette befindliches verpacktes Wasserbett) sondern darum wie der Kunde die gleiche Ware (nicht die selbe) in einem Ladengeschäft prüfen könnte. Bei einer Kamera mit Speicherkarte liegen dort normalerweise Probeexemplare aus, mit denen man Testfotos machen kann. Dies muss der Fernabsatzkäufer auch zuhause können. Wenn er dafür die OVP öffnen oder Software installieren muss, ist das letzten Endes Risiko und Problem des Verkäufers.
@Torsten Kracke
Die “Prüfung wie im Ladengeschäft” bezieht sich aber zum einen nur auf den Widerrufsfall (das hier besprochene Urteil aber gerade nicht). Zum anderen hat der BGH in dem von Ihnen angesprochenen Wasserbett-Urteil klar entschieden, dass der Vergleich mit dem Ladengeschäft – der sich im Übrigen ausschließlich in der Musterbelehrung findet, aber nicht in den gesetzlichen Anspruchsgrundlagen – nicht der einzige Maßstab zur Beurteilung ist, wie umfangreich der Verbraucher eine Ware Testen kann. Außerdem bleibt bei diesem Vergleich immer die Frage offen, von welcher Art Ladengeschäft überhaupt die Rede ist. Denn in einem Discounter hat der Verbraucher wesentlich weniger “Probiermöglichkeiten”, als in einem gut eingerichteten Fachgeschäft.
Ich gebe Ihnen Recht, dass die Installation einer zum Betrieb der Hardware zwingend notwendigen Software in den Risikobereich des Händlers fällt. Hierfür kann er keinen fernabsatzrechtlichen Wertersatz geltend machen.
Sensationell – Amtsgericht Steinfurt mit einem bahnbrechendem Urteil. Wäre mal interessant zu hören, zu wieviel Sozialstunden der gleiche Richter in der Verhandlung vorher den Jugendlichen, der seine Mofa frisiert hat verurteilt hat.
Ich glaube dem Shopbetreiber-Blog gehen so langsam die Themen aus, wenn hier schon Amtsgerichtsurteile in aller breite kommentiert werden…
Hinsichtlich der Berechnung von Wertersatz wird man nur sehr selten Urteile von Landgerichten oder gar noch höheren Instanzen finden. Gerade in dem hier besprochenem Urteil war mit der Entscheidung des Amtsgerichtes auch “Schluss”, da der notwendige Streitwert für eine Berufung (600 Euro) nicht erreicht wurde bzw. die Berufung durch das Gericht auch nicht zugelassen wurde. Im Übrigen ist es auch nicht neu, dass wir hier Entscheidungen von Amtsgerichten vorstellen:
AG München: Einmaliger E-Mail-Kontakt stellt keine Einwilligung in E-Mail-Werbung dar
Gebrauchter Rasierer berechtigt Händler zu 100% Wertersatz
Ständige Rechtsprechung: Selbst konfigurierter PC mit installierter Software kann zurückgegeben werden
Erlischt das Widerrufsrecht bei DSL-Verträgen?
AG Hamburg: Newsletter-Einwilligung nur durch „Double Opt-In“ beweisbar
Abmahner muss Schadensersatz zahlen!
Amtsgericht: Vom Kunden konfigurierter PC mit installierter Software kann zurück gegeben werden
AG München: Dynamische IP-Adressen unterliegen nicht dem Datenschutz
AG Fürth: Quelle muss Fernseher zu versehentlich ausgezeichnetem Niedrigpreis liefern
AG Bonn: Anspruch auf Erstattung der Kosten des Abgemahnten bei unberechtigter Abmahnung
AG Rotenburg: Widerrufsware darf als neu verkauft werden
Werbung mit “Originalware” bei eBay ist zulässig
6.000 Euro Streitwert für e-Mail-Werbung ohne Einwilligung
AG München zum Vertragsschluss im Internet
Drei Probleme beim Umgang mit dem Widerruf
AG Berlin-Mitte: Wertersatz für Nutzung auch nach EuGH-Urteil noch möglich
5.000 Euro Ordnungsgeld wegen unerlaubter E-Mail-Werbung
Andere Entscheidungen von Amtsgerichten führten gar zu Gesetzesänderungen. Man denke nur an die seit August 2011 geltenden Regelungen zum Wertersatz. Die Messner-Entscheidung des EuGH beruhte auf einer Vorlage des AG Lahr.
Und was sagt das EU Recht zu diesem Urteil des AG Steinfurt? Ich denke kein Wertersatz und keine Berechnung.
Könnten Sie Ihre Frage bitte etwas präzisieren, Lutz?
Es geht hier nicht um meinen Shop, sondern um ein Notebook, das ich über Amazon/Cybernerd erworben habe. Gleich nach dem ersten Update (Erstnutzung) ließ sich Win 10 nicht mehr starten.
Ich habe das Gerät zurückgesandt. Der Verkäufer macht nun einen Wertersatz von 20% geltend, da das Gerät Kratzer auf der Rückseite aufweisen soll. Ich bin mir sicher, dass diese Kratzer nicht von mir stammen. Wer muss nun den Beweis führen, wann die Gebrauchsspuren erstmals auftraten? Ist die Festsetzung des Wertersatzes überhaupt pauschal zulässig? Wie soll ich mich verhalten?