BGH: Unendliche Widerrufsfrist bei fehlender Wertersatz-Belehrung

Da die korrekte Belehrung über das dem Verbraucher zustehende Widerrufsrecht äußerst kompliziert ist, hat der Gesetzgeber schon früh Muster zur Verfügung gestellt. Diese müssen jedoch eins zu eins übernommen werden, damit man als Händler auf der sicheren Seite ist. Wer Teile des Musters weg lässt, läuft Gefahr, dass die Widerrufsfrist für den Verbraucher nie zu laufen beginnt, wie der BGH entschieden hat.

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Der dem BGH (Urteil v. 02.02.2011, VIII ZR 103/10) vorgelegte Fall hat seinen Ursprung in einem Haustürgeschäft. Die Problematik, die der BGH hier zu entscheiden hatte, hat aber auch Bedeutung für Fernabsatzverträge.

Küchenkauf an der Haustür

Am 31.05.2007 erhielten der Beklagte und seine Ehefrau unaufgeforderten Besuch von einem Vertreter und sie kauften eine Küche für 17.200 Euro. Bis zum 15.2.2008 sollten sie eine Anzahlung von 5.200 Euro leisten, den Restbetrag im Mai 2008 bei der Montage der Küche.

In dem Bestellformular war eingerahmt und vom übrigen Text abgesetzt unterhalb der Unterschriftenleiste folgender Text vorhanden:

"Widerrufsbelehrung
Widerrufsrecht

Sie können Ihre Vertragserklärung ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) oder durch Rücksendung der Ware innerhalb von zwei Wochen widerrufen.
Die Frist beginnt frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs oder der Ware.
(...)
Widerrufsfolgen

Im Falle eines wirksamen Widerrufs sind die bereits empfangenen Leistungen zurückzugewähren.

Finanzierte Geschäfte
(...)"

Der klagende Händler bestätigte den Auftrag mit Schreiben vom 20.06.2007. Am 22.11.2007 widerriefen die Beklagten mit Anwaltsschreiben ihre Vertragserklärung. Daraufhin forderte der Händler einen Schadensersatz nach seinen AGB in Höhe von 30% des Kaufpreises sowie die Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten. Deswegen verklagte der Händler die Käufer.

OLG Frankfurt: Händler hat Anspruch auf Schadensersatz

Das LG Kassel wies die Klage ab, wogegen der Händler Berufung beim OLG Frankfurt einlegte. Dieses sprach dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 30% des Kaufpreises nach den AGB des Klägers zu.

Zur Begründung führte es aus:

"Zwischen den Parteien sei ein Vertrag über die Lieferung näher bezeichneter Küchenmöbel nebst Montage zu Stande gekommen. Die Beklagten hätten ihre Vertragserklärungen nicht wirksam widerrufen. Das Anwaltsschreiben vom 22. 11. 2007 habe nicht die Widerrufsfrist von zwei Wochen gewahrt. Die von der Klägerin erteilte Widerrufsbelehrung genüge den gesetzlichen Anforderungen."

In der Belehrung wurde zwar nur darauf hingewiesen, dass bereits empfangene Leistungen zurückzugewähren sind, allerdings nicht, dass auch gezogene Nutzungen herauszugeben sind. Allerdings war das OLG Frankfurt der Auffassung, dass dies die Belehrung nicht unwirksam mache, da sich eine Belehrung nur darauf erstrecken müsse, was nach der konkreten Vertragsgestaltung überhaupt in Frage komme.

"Der Beklagte habe zwar eine Anzahlung zu leisten gehabt, allerdings erst acht Monate nach Ablauf der Widerrufsfrist. Schon deshalb habe sich die Frage, ob im Falle eines Widerrufs Nutzungen herauszugeben seien, nicht stellen können. Dafür, dass der Beklagte die Anzahlung bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist geleistet hätte, gebe es keinen Anhaltspunkt. Ein solches völlig untypisches Verhalten habe die Klägerin bei der Abfassung der Belehrung außer Acht lassen dürfen."

Frist beginnt "frühestens"...?

Das OLG Frankfurt führte weiter aus, dass auch die Formulierung, dass die Frist "frühestens" mit Erhalt dieser Belehrung beginne, nicht gegen das Deutlichkeitsgebot verstoße, da diese Formulierung der im Jahr 2007 gültigen Musterwiderrufsbelehrung aus der BGB-InfoV entsprach.

"Einen anderen Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn als den Erhalt der Belehrung gebe es nicht. Die Überlegung, die Widerrufsfrist könne erst mit Anzahlung oder gar Lieferung der Küche beginnen, verbiete sich, weil es in der Widerrufsbelehrung hierauf keinen Hinweis gebe."

Im Ergebnis stellte das OLG fest:

"Mit der verfristeten Ausübung des Widerrufs und der Ablehnung der Vertragserfüllung habe der Beklagte seine Pflichten aus dem Vertragsverhältnis verletzt, so dass die Klägerin?gem. Nr. 9 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen Schadensersatz in Höhe von 30% des vereinbarten Preises verlangen könne; diese Regelung verstoße nicht gegen § 309 Nummer 5 BGB. Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten schulde der Beklagte, weil er in Verzug geraten sei."

BGH hebt Urteil auf

Der BGH entschied, dass die Beurteilung des OLG der rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält. Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch nicht zu, weil die Beklagten ihre Vertragserklärung fristgerecht widerrufen haben. Die Widerrufsfrist von zwei Wochen hatte zum Zeitpunkt des Widerrufes noch nicht zu laufen begonnen, da die Beklagten nicht ordnungsgemäß belehrt worden waren.

Frist beginnt nicht "frühestens"

Bereits hinsichtlich der Belehrung über die Widerrufsfrist genügte die verwendete Belehrung nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der BGH (Urteil v. 09.12.2009, VIII ZR 219/08) hatte bereits im Jahr 2009 entschieden, dass die Formulierung "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" den Verbraucher über den maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist nicht richtig belehrt.

"Der Verbraucher kann der Verwendung des Wortes "frühestens" zwar entnehmen, dass der Beginn des Fristlaufs noch von weiteren Voraussetzungen abhängt, wird jedoch darüber im Unklaren gelassen, um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt. Das gilt auch im vorliegenden Fall."

Fristbeginn bleibt unklar

Entgegen der Auffassung des OLG meinte der BGH, dass es durchaus andere Anknüpfungspunkte für den Fristbeginn gäbe als nur den Erhalt der Belehrung:

"Nach dem ersten Satz der Belehrung sollte der Widerruf nämlich nicht nur in Textform, sondern auch durch „Rücksendung der Ware“ erfolgen können; dementsprechend heißt es im dritten Satz der Belehrung, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerrufs „oder der Ware“ genüge.

Auf Grund dieser weiteren Hinweise legt die Formulierung über den Fristbeginn im zweiten Satz der Belehrung für den Verbraucher das Missverständnis nahe, dass die Widerrufsfrist zwar „frühestens“ mit Erhalt der Belehrung beginne, möglicherweise aber auch erst mit Lieferung der Ware, im vorliegenden Fall also der Küchenmöbel.

Auf die Lieferung der Ware kommt es jedoch für den Fristbeginn bei dem hier vorliegenden Haustürgeschäft (§ 312 BGB) – anders als bei einem Fernabsatzvertrag (§ 312?d Absatz II BGB) – gem. § 355 Absatz II BGB nicht an."

Unvollständige Rechtsfolgen-Belehrung

Auch die Belehrung über die Rechtsfolgen nach Ausübung des Widerrufes war nicht vollständig. Der Hinweis auf die Herausgabepflicht evtl. gezogener Nutzungen (also z.B. Zinsen) war nach Ansicht des BGH nicht entbehrlich.

"Ein solcher Hinweis war nicht deshalb entbehrlich, weil nach der konkreten Vertragsgestaltung (...) alle Leistungen - auch die Anzahlung des Beklagten - erst nach Ablauf der Widerrufsfrist zu erbringen gewesen wären und deshalb eine Herausgabe von Nutzungen nicht habe in Betracht kommen können. Letzteres trifft nicht zu.

Zum einen war der Beklagte berechtigt, die Anzahlung bereits vor dem festgestellten Fälligkeitstermin und damit auch vor Ablauf der Widerrufsfrist zu entrichten. Dies ergibt sich nicht nur aus § 271 Abs. 2 BGB, sondern auch aus der Formulierung im Bestellformular ("bis zum 15.2.2008"). Ob ein solches Verhalten des Beklagten nahelag, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes unerheblich."

Händler kann sich nicht auf Muster berufen

Der Kläger war der Auffassung, dass seine Belehrung korrekt sei, da er das damals gültige Muster aus der BGB-InfoV verwendet. Der BGH sah dies jedoch anders.

"Die Berufung auf die [gesetzliche Privilegierung der Musterbelehrungen - Anm. d. Red.] ist der Klägerin verwehrt, weil sie gegenüber dem Beklagten für die Widerrufsbelehrung kein Formular verwendet hat, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der damaligen Fassung vollständig entspricht.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Auffassung der Revision zutrifft, dass das in Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV geregelte Muster für die Widerrufsbelehrung [...] nichtig sei, weil die damalige Fassung der Musterbelehrung den Bestimmungen des BGB nicht entsprochen habe."

Die vom Händler verwendete Belehrung entsprach aber nicht dem Muster, da bereits der Hinweis auf die Herausgabe von gezogenen Nutzungen fehlte. Auf den (damaligen) Gestaltungshinweis 5 konnte sich der Händler nicht berufen, da dieser ausschließlich bei Verträgen über Teilzeit-Wohnrechte angewendet werden durfte.

Auch auf den damaligen Gestaltungshinweis 4 (Weglassen der kompletten Rechtsfolgen-Belehrung, wenn die beiderseitigen Leistungen erst nach Ablauf der Widerrufsfrist erbracht werden) konnte sich der Händler nicht berufen. Dies schon deswegen nicht, weil er dann auch hätte vollständig auf den Hinweis verzichten müssen. Ein teilweiser Verzicht ist von diesem Gestaltungshinweis nicht erfasst gewesen.

Fazit

Der BGH hat nun erneut klar gestellt, dass sich auf die gesetzliche Privilegierung nur berufen kann, wer das Muster (bei korrekter Anwendung der Gestaltungshinweise) eins zu eins übernimmt. Weicht man inhaltlich vom Muster ab, und sei es nur durch das Weglassen der Zwischenüberschriften (BGH, Urteil v. 1.12.2010, VIII ZR 82/10), greift diese Privilegierung nicht mehr und die vom Händler verwendete Belehrung muss an den Maßstäben des Gesetzes gemessen werden.

Eine selbst erstellte Belehrung wird aber oft an der Hürde des Transparenzgebotes scheitern. Dies hat zur Folge, dass der Verbraucher seine Bestellung auch noch nach Jahren widerrufen kann und außerdem, dass Mitbewerber diese Belehrungen abmahnen können.

Die Verwendung der Muster ist daher dringend zu empfehlen.

Update: Auch III. Senat des BGH folgt dieser Auffassung

Mit Urteil vom 1. März 2012 ist auch der III. Senat des BGH (III ZR 83/11) dieser Auffassung gefolgt: Weicht der Unternehmer vom gesetzlichen Muster ab, kann er sich nicht auf die Privilegierung berufen. Enthält die dann verwendete Belehrung wesentliche Fehler, führt dies dazu, dass die Widerrufsfrist nie zu laufen beginnt.

Neues Widerrufsrecht 2011

Am 04.08.2011 trat das neue Widerrufsrecht in Kraft, mit dem das EuGH-Urteil in Sachen Messner umgesetzt wurde. Jeder Shopbetreiber sollte die neuen Muster einsetzen, um Abmahnungen zu vermeiden. Fertige Muster für den Einsatz in Ihrem Shop finden sie in unserem kostenlosen Whitepaper.

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16.06.11