Jeder Online-Händler kennt das Problem: Der Paketzusteller liefert eine Sendung (angeblich) beim Nachbarn ab, diese kommt aber tatsächlich nie beim eigentlichen Besteller an. Da der Händler die Transportgefahr trägt, ist er in solchen Fällen dazu verpflichtet, dem Kunden den Kaufpreis zu erstatten. Diese Haftungsfalle für Online-Händler hat das LG Köln nun als unbedenklich eingestuft.
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UPDATE: OLG Köln sieht Nachbarschaftsklauseln als unzulässig an!
Die Idee hinter der sog. Ersatzzustellung (Zustellung beim Nachbarn oder Hausbewohnern) ist an sich gar nicht so schlecht. Damit soll dem eigentlichen Empfänger der Erhalt der Sendung vereinfacht werden, wenn er beim Zustellversuch nicht zu Hause ist. Er muss dann am Abend einfach beim Nachbarn klingeln und das Paket nicht beim nächsten Service-Center innerhalb der Öffnungszeiten abholen.
Wenn man sich mit den Nachbarn gut versteht, ist gegen diese Art der Zustellung auch nichts einzuwenden. Wer allerdings ist denn alles "Nachbar"? Zählt die Familie im obersten Stockwerk eines Hochhauses noch zu den "Nachbarn", wenn man selbst im Erdgeschoss lebt?
Die meisten Versanddienstleister haben entsprechende Klauseln zur Ersatzzustellung in ihren AGB vereinbart. So hatte das LG Köln (U. v. 18.08.2010, 26 O 260/08) die Wirksamkeit der folgenden Klausel aus § 4.3 der "AGB Paket/Express National" zu beurteilen:
"X darf Sendungen, die nicht in der in Absatz 2 genannten Weise abgeliefert werden können, an einen Ersatzempfänger abliefern. [...] Ersatzempfänger sind
1. Angehörige des Empfängers oder des Ehegatten, oder
2. andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen, sowie dessen Hausbewohner und Nachbarn, sofern den Umständen nach angenommen werden kann, dass
sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind."
Ein Verbraucherschutzverein hielt diese Klauseln wir unwirksam und verklagte das Logistikunternehmen auf Unterlassung.
Das LG Köln sah jedoch keinen Grund zur Beanstandung dieser Klauseln. Diese Formulierungen benachteiligten den Verbraucher weder unangemessen noch verstießen sie gegen das Transparenzgebot.
Bereits im Jahr 2007 stufte das OLG Düsseldorf (I-18 U 163/06) ähnliche Klauseln als unwirksam ein. Zur Begründung führte das Gericht damals aus:
"Das folgt bereits aus ihrer fehlenden Klarheit und Verständlichkeit (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Wer genau unter die "Nachbarn" in diesem Sinne fallen soll, ist nicht erkennbar.
Alltagssprachlich wird als Nachbar regelmäßig der Bewohner des angrenzenden (Einfamilienhaus-) Grundstücks bezeichnet. In ländlichen Verhältnissen wird die "Nachbarschaft" traditionell darüber hinaus gefasst... Auf der anderen Seite gelten in städtischen Miets- und Mehrfamilienhäusern nur die Bewohner einer anderen Wohnung im selben Haus als Nachbarn, in sehr großen Wohnanlagen sogar nur die Bewohner der nahegelegenen - insbesondere auf derselben Etage befindlichen - Wohnungen, aber nicht die Bewohner der angrenzenden Häuser und schon gar nicht der Inhaber eines dort betriebenen Geschäfts.
Zudem benachteiligt die Klausel, gleich wie eng oder weit man sie versteht, den Absender inhaltlich unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB).
Auch der Nachbar im engsten Sinne, der Bewohner des angrenzenden Einfamilienhausgrundstücks oder der neben der eigenen gelegenen Miet- bzw. Eigentumswohnung, ist ein Dritter, den der frachtbriefmäßige Empfänger sich nicht aussuchen konnte und mit dem ihn keineswegs zwingend eine persönliche Beziehung oder ein besonderes Vertrauensverhältnis verbindet; vielmehr ist es sowohl allgemein als auch speziell gerichtsbekannt, dass Nachbarn untereinander nicht selten gleichgültig oder sogar verfeindet sind. Nach Wahl des Frachtführers an einen solchen Dritten statt an den Empfänger zuzustellen, missachtet die berechtigten Interessen des Vertragspartners in grober Weise."
Dieser Auffassung widersprach nun das Landgericht in Köln.
"Dieser Wertung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen.
Dies gilt jedenfalls für den Bereich der Zustellung von Postpaketen, da im Hinblick auf das Massengeschäft Paketzustellung davon auszugehen ist, dass die Zustellung an Ersatzempfänger in Person von Nachbarn und Hausbewohnern Ausdruck einer anerkannten Verkehrsübung und der Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs ist."
Das Gericht geht hier von der ursprünglichen Idee aus, dass die Nachbarschaftszustellung dem Interesse des Empfängers gerecht werde, weil dieser dann nicht zum nächsten Service-Center gehen müsste, um sein Paket zu erhalten, sondern einfach nur beim Nachbarn klingeln müsse.
Dass es in Einzelfällen zu Missbrauchen kommen mag, ändere an dieser Einschätzung der Kammer jedoch nicht. Zumal der Zusteller jedes Mal nach den AGB auch eine Abwägung vornehmen müsse.
"§ 4 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Hs. 2 AGB erfordert zudem eine Abwägung des Zustellers in jedem Einzelfall, da es danach darauf ankommt, ob den Umständen nach angenommen werden kann, dass Nachbarn oder Hausbewohner zur Annahme der Sendung berechtigt sind."
Dass sich ein Zusteller im Alltag tatsächlich Gedanken darüber macht, ob er ein Paket bei Nachbar X oder Y abgeben kann, darf zumindest einmal bezweifelt werden. Eine solche vom Gericht unterstellte Abwägung der Interessen wird aber in der Realität nicht vorgenommen werden.
Das LG Köln geht entgegen dem OLG Düsseldorf davon aus, dass ein Großteil der auch städtischen Bevölkerung bemüht sein wird,
"im Hinblick auf ein geordnetes Zusammenleben ein möglichst gutes Verhältnis zu Nachbarn und Hausbewohnern zu pflegen."
Das mag zwar richtig sein, aber woher soll der Zusteller wissen, dass sich der Empfänger mit Nachbar X super versteht und mit Nachbar Y tief zerstritten?
Das OLG Düsseldorf entschied in seinem Urteil, dass die entsprechende Nachbarschaftsklausel schon deswegen unwirksam ist, weil unklar ist, wer unter "Nachbar" noch zu verstehen sei. Hierin sah das LG Köln aber kein Problem.
"Der Begriff "Nachbar" ist jedoch nach Auffassung der Kammer jedenfalls unter Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Sprachgebrauchs des täglichen Lebens hinreichend bestimmt. Gleiches gilt für den Begriff "Hausbewohner". Beide Termini sind sowohl im Bereich von Ein- als auch Mehrfamilienhäusern hinreichend klar und verständlich. Im Hinblick auf Mehrfamilienhäuser decken sich die Begriffe, da sowohl unter "Nachbar" als auch unter "Hausbewohner" allein die in demselben Haus wohnenden bzw. geschäftstreibenden Personen zu verstehen sind. Bewohner und Geschäftstreibende der angrenzenden Häuser fallen insoweit nicht unter den Nachbarbegriff."
Das bedeutet als, dass die Klausel die Abgabe beim "Nachbarn" im 12. Stock auch gestatte, wenn der tatsächliche Empfänger im Erdgeschoss lebt - oder umgekehrt.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass es bei Paketzustellung ständig zu Problemen kommt. Wobei der Fall, dass ein beim Nachbarn abgegebenes Paket verloren geht, wohl einer der häufigsten ist.
Für den Händler ist das insoweit äußerst problematisch, dass er zwar nicht erneut liefern muss. Allerdings ist er zur Erstattung des Kaufpreises an den Verbraucher verpflichtet.
Diesen Zeitpunkt kann der Händler im Falle einer Nachbarschaftszustellung aber nicht nachweisen oder überprüfen, da lediglich die Abgabe an den Nachbarn dokumentiert wird.
Übrigens: Auch erst mit Übergabe der Ware an den Besteller beginnt die Widerrufsfrist zu laufen. Ist der Fristbeginn streitig, trägt gemäß § 355 Abs. 3 BGB der Unternehmer die Beweislast. Den Beweis kann der Unternehmer aber im Falle einer Nachbarschaftszustellung nur schwer erbringen.
Häufig findet man auf den Adressaufklebern auf den Paketen noch die Telefonnummer des Empfängers. Hier ist die Zulässigkeit dieses Aufdruckens aus Datenschutzgründen schon zweifelhaft, weil den Zusteller die Telefonnummer des Kunden nichts angeht. Noch problematischer wird das Ganze, wenn das Paket dann beim Nachbarn abgegeben wird und dieser die aufgedruckte Telefonnummer zum Stalking verwendet.
Sowohl Kunden als auch Online-Händler können diesen Klauseln der Paketdienstleister widersprechen. Sie sollten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, wenn Sie auch schon entsprechende Probleme wegen der Abgabe von Lieferungen bei im Zweifel fremden Personen hatten. (mr)
UPDATE:
Das OLG Köln (Urteil v. 02.03.2011, 6 U 165/10) stufte die verwendeten Klauseln als rechtswidrig ein. Zwar sei eine Nachbarschaftszustellung grundsätzlich zulässig, allerdings nur unter Bedingung, dass der Empfänger auch hierüber benachrichtigt werde.
Eine solche Pflicht zur Benachrichtigung enthalten aber die angegriffenen Klauseln gerade nicht.