Das deutsche Umsatzsteuerrecht kennt eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht, die Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen: Die Kleinunternehmer-Regelung. Diese gilt jedoch nur für Umsätze, die in Deutschland getätigt werden. Hat der Unternehmer dagegen Umsätze im Ausland getätigt, muss er sich dort unter Umständen bei den Finanzbehörden anmelden.
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Im Ausgangsverfahren ging es um eine deutsche Staatsangehörige, welche in Österreich eine Wohnung vermietete. Auf diese Mieteinnahmen führte sie in Österreich keine Umsatzsteuer ab.
Zwar ging es in dem Verfahren um Einnahmen aus Vermietung, das Urteil ist jedoch auch von Bedeutung für Online-Händler, welche nach deutschem Recht unter die Kleinunternehmerregelung fallen.
Sie war der Auffassung, dass sie unter § 6 Abs. 1 Ziffer 27 öUStG fiele. Dieser lautete:
Nach dieser Norm waren die Umsätze von Kleinunternehmern steuerfrei. Nach österreichischem Recht war Kleinunternehmer ein Unternehmer, der im Inland einen Wohnsitz oder Sitz hat und dessen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Ziffer 1 und 2 im Veranlagungszeitraum 22.000 Euro [ab 2007: 30.000 Euro] nicht übersteigen.
Das in Österreich zuständige Finanzamt war aber der Meinung, dass die österreichische Kleinunternehmerregelung für die Vermieterin gar nicht einschlägig sein kann, da diese keinen Wohnsitz in Österreich hatte. Insgesamt setzte das Finanzamt daher in Steuerbescheiden rund 650,00 Euro an abzuführender Umsatzsteuer fest.
Gegen diese Bescheide legte die Vermietern Berufung bei der zuständigen Stelle ein und erklärte außerdem, keine weiteren Umsätze innerhalb der europäischen Union getätigt zu haben.
"Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, die vom Finanzamt erlassenen Steuerbescheide stünden im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht, das wiederum mit den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang stehe, und weist darauf hin, dass eine Person, die – im Unterschied zu Frau Schmelz – einen Wohnsitz in Österreich habe, als Kleinunternehmer von der Umsatzsteuer befreit werden könnte."
Das Gericht hatte daher Zweifel, ob diese Regelung mit dem europäischen Diskriminierungsverbot in Einklang stünde.
Das Gericht (Urteil v. 26.10.2010, C-97/09) fragte sich daher, ob bei der Bewertung als Kleinunternehmer nur den im jeweiligen Mitgliedstaat erzielten Umsatz erfasst oder ob der im gesamten Unionsgebiet erzielte Umsatz zu berücksichtigen ist.
Das Gericht stellte daher folgende Fragen an den EuGH (zusammengefasst):
1. Verstößt die Wortfolge „sowie die Lieferungen von Gegenständen bzw. die Dienstleistungen, die von einem Steuerpflichtigen, der nicht im Inland ansässig ist, bewirkt bzw. erbracht werden“ [...] gegen den EG?Vertrag, insbesondere gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG), gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EG), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG) oder gegen unionsrechtliche Grundrechte (den unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz) [...]?
2. Verstößt die Wortfolge „die Lieferungen von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch einen Steuerpflichtigen, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird“ [...] gegen den EG?Vertrag, insbesondere gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG), gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EG), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG) oder gegen unionsrechtliche Grundrechte (den unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz) [...]?
3. Falls Frage 1 bejaht wird: Ist die Wortfolge „sowie die Lieferungen von Gegenständen bzw. die Dienstleistungen, die von einem Steuerpflichtigen, der nicht im Inland ansässig ist, bewirkt bzw. erbracht werden“ [...] ungültig?
4. Falls Frage 2 bejaht wird: Ist die Wortfolge „die Lieferungen von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch einen Steuerpflichtigen, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird“ [...] ungültig?
5. Falls Frage 3 bejaht wird: Ist unter „Jahresumsatz“ [...] der in einem Jahr im jeweiligen Mitgliedstaat, für den die Kleinunternehmerregelung in Anspruch genommen wird, erzielte Umsatz oder der in einem Jahr im gesamten Unionsgebiet erzielte Umsatz des Unternehmers zu verstehen?
6. Falls Frage 4 bejaht wird: Ist unter „Jahresumsatz“ [...] der in einem Jahr im jeweiligen Mitgliedstaat, für den die Kleinunternehmerregelung in Anspruch genommen wird, erzielte Umsatz oder der in einem Jahr im gesamten Unionsgebiet erzielte Umsatz des Unternehmers zu verstehen?
Mit diesen Fragen, die nach Ansicht des EuGH miteinander zusammenhängen und deshalb gemeinsam zu prüfen waren, wollte das vorlegende Gericht also wissen, ob die Art. 24 Abs. 3 und 28 i der Sechsten Richtlinie sowie Art. 283 Abs. 1 Buchstabe c der Mehrwertsteuerrichtlinie, sowie sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnen, den in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Kleinunternehmen eine Mehrwertsteuerbefreiung mit Verlust des Vorsteuerabzugs zu gewähren, diese Möglichkeit aber hinsichtlich der in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Kleinunternehmen ausschließen, mit den Art. 12 EG, 43 EG und 49 EG sowie mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sind.
Außerdem möchte das vorlegende Gericht den Begriff des "Jahresumsatzes" näher erläutert haben.
Das Gericht bestimmte zunächst die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit als diejenigen Freiheiten, an denen die Regelungen der jeweiligen Richtlinie zu prüfen sind.
Die Niederlassungsfreiheit war hier jedoch nicht einschlägig, da die Vermieterin die an diese Freiheit gesetzten Voraussetzungen nicht erfüllte.
Allerdings fällt die Vermietungstätigkeit unter die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG.
Das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 12 EG ist dagegen nicht einschlägig, da dieses nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn kein spezielles Diskriminierungsverbot in den Verträgen vorhanden ist. Art. 49 EG enthält aber eine solche spezielle Regelung.
Sodann prüfte das Gericht, ob die Dienstleistungsfreiheit durch die entsprechenden Normen der Mehrwertsteuerrichtlinie beschränkt wird.
"Nach Art. 49 EU verbotene Beschränkungen liegen insbesondere dann vor, wenn die für grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeiten geltenden Steuervorschriften weniger günstig sind als diejenigen, die für eine innerhalb der Grenzen des Mitgliedstaates ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit gelten."
Die Vorschriften der Mehrwertsteuerrichtlinie eröffnen die Möglichkeit der Ungleichbehandlung von Kleinunternehmern mit Sitz im Inland und denen, die ihren Sitz im Ausland haben.
"Folglich können, wenn ein Mitgliedstaat die Mehrwertsteuerbefreiung für Kleinunternehmen vorsieht, die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Kleinunternehmen ihre Dienstleistungen gegebenenfalls unter günstigeren Bedingungen anbieten als die außerhalb dieses Gebiets ansässigen Kleinunternehmen, da die Mitgliedstaaten diese Steuerbefreiung nach den genannten Bestimmungen nicht auf die letztgenannten Unternehmen ausdehnen dürfen.
Aus der [...] getroffenen Feststellung ergibt sich im vorliegenden Fall, dass der Ausschluss der außerhalb Österreichs ansässigen Kleinunternehmen von der Mehrwertsteuerbefreiung es für diese Unternehmen weniger attraktiv macht, in Österreich Dienstleistungen zu erbringen. Er führt daher zu einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs."
Da hier eine entsprechende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vorlag, musste das Gericht prüfen, ob diese evtl. gerechtfertigt sein könnte.
Die Regierungen von Deutschland, Österreich und Griechenland waren im Verfahren der Meinung, dass diese Unterscheidung wegen der Gewährleistung der Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen gerechtfertigt sei.
"Diese Kontrollen könnten nur vom Mitgliedstaat, in dem das Kleinunternehmen ansässig sei, wirksam durchgeführt werden."
Und die Wirksamkeit der Steueraufsicht ist ein wichtiger Grund des Allgemeininteresses, der eine solche Ungleichbehandlung rechtfertige. Außerdem habe der Staat, in dem das Kleinunternehmen seinen Sitz hat, keine Daten über die Umsätze dieses Unternehmens, welche es an den anderen Mitgliedstaat zur Kontrolle übermitteln könne.
"So hat die deutsche Regierung im Ausgangsverfahren erklärt, dass das Kleinunternehmen von [der Vermieterin] in Deutschland keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer habe und dass Deutschland über keine Daten zu seinen Umsätzen verfüge."
Der Aufwand bei anderweitiger Beurteilung würde dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung bei Kleinunternehmen zuwider laufen, denn die dann einzuführenden Umsatzabfragen, Amtshilfeersuchen etc. wären sehr zeit- und arbeitsintensiv.
"Hinzu kommt, dass mit der Beschränkung der Mehrwertsteuerbefreiung auf die Steuerpflichtigen, die in dem Mitgliedstaat, der eine solche Befreiung eingeführt hat, ansässig sind, verhindert werden kann, dass Steuerpflichtige, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, ohne dort ansässig zu sein, der Besteuerung ihrer Tätigkeiten unter dem Deckmantel der dort geltenden Befreiungen ganz oder zum großen Teil entgehen könnten, auch wenn diese Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit den Umfang der Geschäftstätigkeit eines Kleinunternehmens objektiv überschreiten würden, was mit dem Erfordernis, durch die Ausnahme vom Grundsatz der Besteuerung, die eine solche Befreiungsregelung darstellt, nur Kleinunternehmen zu fördern, nicht zu vereinbaren wäre."
Daher nahm der Gerichtshof an, dass die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gerechtfertigt und auch verhältnismäßig ist.
Schließlich urteilte der Gerichtshof, dass unter "Jahresumsatz" derjenige Umsatz zu verstehen ist, den ein Unternehmen in einem Jahr in dem Mitgliedstaat erzielt, in dem es ansässig ist.
Das bedeutet, dass für die Beurteilung der Kleinunternehmereigenschaft eines in Deutschland ansässigen Unternehmens nur die Umsätze gezählt werden, die in Deutschland getätigt werden. Eventuelle im Ausland getätigte Umsätze werden nicht dazu gezählt, müssen dann aber ggf. in dem jeweiligen Land extra versteuert werden.
Wenn Sie nach deutschem Recht Kleinunternehmer sind, gilt dieser Status ausschließlich in Deutschland. Verkaufen Sie darüber hinaus auch Waren oder Dienstleistungen ins Ausland, muss eine Anmeldung bei den Finanzbehörden der jeweiligen Länder geprüft werden. Eine pauschale Aussage zur Anmeldepflicht kann hier nicht getroffen werden, da die Regelungen dazu in jedem Staat anders sind.
Setzen Sie sich am besten mit Ihrem Steuerberater in Verbindung, der Ihnen diese Frage sicher beantworten kann. (mr)