Vor kurzer Zeit berichteten wir über einen Abmahner aus Zwickau, der sowohl vor dem Landgericht Leipzig als auch vor dem Landgericht Gera mit der Geltendmachung seiner Unterlassungsansprüche gescheitert war, weil die Gerichte von Rechtsmissbrauch ausgingen. Jetzt hat das OLG Jena eines dieser Urteile bestätigt.
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Ein aus Internetforen bekannter Anwalt und sein Mandant mahnten massenhaft ab und scheiterten mit ihren Anträgen vor den Landgerichten in Leipzig und Gera wegen Rechtsmissbrauchs.
Gegen das Urteil 1 HKO 62/10 vom LG Gera legte der Abmahner Berufung ein. Am 06.10.2010 urteilte das OLG Jena (Az: 2 U 386/10) und bestätigte das Urteil aus Gera.
Das Gericht äußert sich zunächst grundsätzlich zum Tatbestand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 8 Abs. 4 UWG.
"§ 8 Abs. 4 UWG stellt eine dem Systemschutz des deutschen Wettbewerbsrechts dienende Begrenzung der Befugnisse der Gläubiger wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche dar.
Von einem Missbrauch ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs die Verfolgung sachfremder Ziele ist. Dies muss nicht das alleinige Ziel sein, ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen.
Das Vorliegen des Missbrauchs ist jeweils im Einzelfall unter Abwägung der gesamten Umstände des Falles zu beurteilen."
So sind z.B. Motive und Zwecke der Geltendmachung der Ansprüche, aber auch das Verhalten des Abmahners bei der Verfolgung der Ansprüche zu beachten.
Außerdem hält das Gericht fest, dass der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs von Amts wegen zu prüfen ist.
"Die Frage des Rechtsmissbrauchs ist im Wege des Freibeweises jederzeit von Amts wegen zu prüfen. Zwar muss der Verfügungsbeklagte Tatsachen vortragen und notfalls beweisen, die für das rechtsmissbräuchliche Verhalten der Verfügungsklägerin sprechen."
Dies war dem Verfügungsbeklagten in dem vorliegenden Fall gelungen, sodass die Verfügungsklägerin eine sog. sekundäre Beweislast trifft.
"In dieser Situation hätte es der Verfügungsklägerin oblegen, diese Umstände bzw. Indizien zu entkräften. Dies ist ihr jedoch nicht gelungen. Vielmehr bleibt eine ganze Reihe von Umständen bestehen, die in ihrer Gesamtschau für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Verfügungsklägerin im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG sprechen."
Danach setzte sich das Gericht umfangreich mit den einzelnen Indizien auseinander.
Die Verfügungsklägerin hatte innerhalb von neun Monaten 65 Verfahren vor dem LG Leipzig anhängig gemacht. Beim LG Gera wurden in einem Zeitraum von drei Monaten 13 wettbewerbsrechtliche Verfahren anhängig.
"Da die Verfügungsklägerin trotz der berechtigten Aufforderung des Landgerichts keine konkreten Angaben zur Zahl der von ihr ausgesprochenen Abmahnungen bzw. anhängig gemachten Verfahren gemacht hat, ist davon auszugehen, dass die Verfügungsklägerin in weit mehr als in den 78 gerichtlichen Verfahren zugrunde liegenden Fällen Abmahnungen ausgesprochen hat."
Das Gericht erkennt jedoch an, dass allein die Anzahl von Abmahnungen kein ausreichendes Indiz für Rechtsmissbrauch ist.
"Jedoch spricht die hohe Zahl der Abmahnungen in der Zusammenschau mit den weiteren Indizien dafür, dass die Verfügungsklägerin bei der Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen überwiegend von sachfremden Motiven geleitet wird und nachvollziehbare wirtschaftliche oder wettbewerbspolitische Gründe demgegenüber keine entscheidende Rolle spielen."
Der Abmahner und sein Anwalt rügten fehlerhafte Widerrufsbelehrungen bzw. AGB im Internet, überwiegend bei eBay. Damit stand für das Gericht fest, dass der Abmahner und sein Anwalt auf einem Feld tätig geworden sind, auf dem sich vermeintliche Wettbewerbsverstöße ohne Schwierigkeiten und ohne großen Aufwand in hoher Zahl finden lassen.
"Ein derartig spezialisiertes Vorgehen spricht für Rechtsmissbrauch. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Wettbewerbsposition der Verfügungsklägerin ist demgegenüber nicht ersichtlich. Die in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben der Verfügungsklägerin, dass ihr Umsatz nach Ausspruch der Abmahnungen gestiegen sei, ist vollkommen spekulativ. Vielmehr ist gerichtsbekannt, dass Kaufentscheidungen im Internet weit überwiegend aufgrund des angebotenen Preises und des zur Verfügung gestellten Services, nicht aber aufgrund der zugrunde gelegten Geschäftsbedingungen und der Widerrufsbelehrungen getroffen werden."
Außerdem standen die getätigten Abmahnungen in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zum Umfang des Geschäftsbetriebes der Verfügungsklägerin. Dies hatten bereits die Vorinstanzen ausführlich entschieden.
Das Gericht ging aufgrund der geringen Umsatz- und Gewinnzahlen bei weit darüber liegendem Prozesskostenrisiko davon aus, dass es zwischen dem Abmahnanwalt und dem Abmahner eine Kostenfreistellungsvereinbarung gab, also der Abmahner den eigenen Anwalt nicht bezahlen musste
Der Abmahner versuchte, diese Vermutung zu widerlegen und legte zwei Anwaltsrechnungen und Kontoauszüge, welche die Bezahlung belegen sollten vor.
"Aus ihnen [den Rechnungen - Anm. d. Red.] ergibt sich nicht, dass die Verfügungsklägerin regelmäßig Prozesskosten, die die Abmahntätigkeit betreffen, in Rechnung gestellt bekommt und ausgleicht. Es handelt sich bei den beiden vorgelegten Rechnungen um eine rechtsanwaltliche Tätigkeit, die bereits im September 2009 erbracht wurde.
Überzeugende Gründe, warum dabei nicht nur Gebühren aus einem (im Vergleich zur Abmahnung) abweichend angenommenen Streitwert geltend gemacht wurden, sondern auch, warum die Rechnung erst fast ein Jahr später, nämlich vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat, bezahlt wurde, sind nicht vorgebracht worden."
Das Gericht sah die angesetzten Streitwerte in den Abmahnungen als weit überhöht an und äußert sich ausführlich zu den Streitwerten bei Wettbewerbsverstößen. Das Gericht sieht hier den Anwalt in der Pflicht, korrekte Streitwerte anzusetzen.
"Dies ist Indiz für ein (rechtsmissbräuchliches) Gebührenerzielungsinteresse. Dem umfangreich auf dem Gebiet wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen tätigen Rechtsanwalt müssen die Grundsätze zur Streitwertfestsetzung an den Orten, an denen er Verfahren anhängig macht, bekannt sein.
Im Fall des Fehlens von Widerrufsbelehrungen geht der Senat regelmäßig von einem Streitwert von maximal € 3.500 aus, bei bloß fehlerhafter Widerrufsbelehrung lediglich von € 1.500. Das gilt auch für fehlerhafte Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wobei der Streitwert in Einzelfällen (z.B. Impressumspflichten: € 1.000) auch niedriger sein kann.
Jedenfalls ist der veröffentlichten Rechtsprechung zu entnehmen, dass der Senat nie Streitwerte von über € 5.000 zugrunde legt. Daran hält der Senat auch für den Fall fest, dass mehrere Klauseln fehlerhaft sind. Eine Addierung von Werten einzelner Anträge kommt dabei nicht in Betracht, vielmehr muss in Fällen wie dem vorliegenden, bei denen ein höheres wirtschaftliches Interesse der Verfügungsklägerin nicht plausibel ist, stets eine "Deckelung" bei € 5.000 stattfinden.
Die Verfügungsklägerin hat demgegenüber - durch die Vorlage von Abmahnungen glaubhaft gemacht - außergerichtlich ihren Abmahnungen Streitwerte von bis zu € 60.000 zugrunde gelegt. Dies indiziert ihr rechtsmissbräuchliches Vorgehen im Gebührenerzielungsinteresse."
Das Gericht distanziert sich in der Frage der überhöhten Streitwerte explizit von seiner alten Rechtsprechung, nach der ein überhöhter Streitwert nicht für Rechtsmissbrauch sprach und reagiert damit auf die zahlreiche Kritik aus der Literatur.
"Der Senat greift insoweit die Kritik, die an seiner in Magazindienst 2008, 936 veröffentlichten Entscheidung geübt wurde, auf und bejaht Rechtsmissbräuchlichkeit bei der Zugrundelegung von Streitwerten in Abmahnungen, die ein Vielfaches über dem liegen, was nach Ansicht des Senats angemessen ist."
Ein weiteres Indiz war auch für das OLG Jena die Tatsache, dass teilweise bei Abmahnungen an Gegner X eine Unterlassungserklärung für Gegner Y beigelegt war. Zwar wäre dieser Fehler für sich genommen noch kein Hinweis auf Rechtsmissbrauch, in der Gesamtschau der Umstände verstärkt diese Tatsache jedoch die Annahme, dass die Verfügungsklägerin rechtsmissbräuchlich gehandelt hat.
Der Senat kommt
"bei einer gebotenen Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass die Verfügungsklägerin in einem Rahmen, der ihre Möglichkeiten übersteigt, unter Geltendmachung von weit überhöhten Streitwerten rechtsmissbräuchlich wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend macht."
Es ist erfreulich, dass das OLG Jena seine Rechtsprechung in Bezug auf überhöhte Streitwerte ändert und diese nun ebenfalls als starkes Indiz für einen Rechtsmissbrauch annimmt. Es bleibt abzuwarten, ob das OLG Dresden, bei dem die Berufungen gegen die Entscheidungen des LG Leipzig anhängig sind, ebenfalls von einem Rechtsmissbrauch ausgeht. Wir werden Sie weiter über diese Fälle informieren. (mr)
Wir danken der Kanzlei Weiß & Partner für die Übersendung dieses Urteil.