Als Ergebnis der Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz und der Konsultation über die Fernabsatzrichtlinie (FARL) hat die Europäische Kommission am 8.10.2008 einen Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher (VRRL-E) vorgelegt. Als Nachfolgerichtlinie der FARL hat der VRRL-E erhebliche Auswirkungen auf den Onlinehandel.
In unserer vierteiligen Serie informieren wir Sie umfassend über die geplanten Neuregelungen.
Update 23.06.2011: Einheitliches Widerrufsrecht in Europa beschlossen
In den ersten beiden Teilen dieser Serie hatten wir bereits über die Entstehungsgeschichte und den Anwendungsbereich des neuen Richtlinienentwurfes, sowie über die Definitionen und Informationspflichten für alle Verbraucherverträge berichtet.
Lesen Sie heute in Teil 3 über: Dauer und Beginn der Widerrufsfrist, Fristverlängerung bei Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht, Ausübung des Widerrufsrechtes, Rückabwicklung des widerrufenen Vertrages und Ausnahmen vom Widerrufsrecht.
Der VRRL-E sieht in Art. 12 Abs. 1 eine europaweit einheitliche Widerrufsfrist von vierzehn Tagen vor. Derzeit variieren die Widerrufsfristen in den 27 Mitgliedsstaaten zwischen 7 Werktagen, 8 Tagen, 10 Tagen, 10 Werktagen, 14 Tagen und 15 Tagen.
Die Neuregelung macht eine einheitliche Belehrung möglich, die sich an alle Verbraucher Europas richtet.
Betrifft der Fernabsatzvertrag den Kauf von Waren, so beginnt die Widerrufsfrist an dem Tag zu laufen, an dem der Verbraucher oder ein vom Verbraucher benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, in den Besitz der einzelnen bestellten Waren gelangt. (Art. 12 Abs. 2 VRRL-E). Bei Dienstleistungen ist – wie bislang – der Vertragsschluss fristauslösend.
Eine Verknüpfung des Beginns der Widerrufsfrist und der Erfüllung der Informationspflichten wie bislang im deutschen Recht sieht die Richtlinie nicht vor. Vielmehr gilt einheitlich eine Verlängerung der Frist auf drei Monate bei Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht. Hat der Gewerbetreibende den Verbraucher unter Verstoß gegen die Artikel 9 Buchstabe b, 10 Absatz 1 und 11 Absatz 4 nicht über sein Widerrufsrecht aufgeklärt, so läuft die Widerrufsfrist drei Monate nach dem Tag ab, an dem der Gewerbetreibende seinen anderen vertraglichen Verpflichtungen in vollem Umfang nachgekommen ist.
Wegen des Vollharmonisierungsgrundsatzes dürften die in Deutschland derzeit geregelten Fristverlängerungen auf einen Monat (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB), sechs Monate (§ 312e Abs. 3 S. 2 bzw. § 312d Abs. 2 S. 1 i.V.m. 355 Abs. 3 S. 1 BGB) oder auf unbestimmte Zeit (§ 355 Abs. 3 S. 3 BGB) ab Inkrafttreten der Richtlinie nicht aufrecht erhalten werden.
Unklar ist allerdings noch das Verhältnis zu der Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 2 VRRL-E, wonach sich die Sanktionen bei Verletzung von Informationspflichten nach innerstaatlichem Recht bestimmen. Nach Erwägensgrund 27 will der europäische Gesetzgeber auch in zeitlicher Hinsicht Rechtssicherheit gewährleisten, so dass eine Begrenzung der Frist auf drei Monate in Fällen eingeführt wird, in denen der Gewerbetreibende seine vertraglichen Pflichten in vollem Umfang erfüllt hat.
Es sollte davon ausgegangen werden, dass der Gewerbetreibende seinen Pflichten in vollem Umfang nachgekommen ist, wenn er die vom Verbraucher bestellten Waren geliefert oder die bestellten Dienstleistungen vollständig erbracht hat, so der europäische Gesetzgeber. Dies spricht dagegen, dass die nationalen Rechte längere Fristen aufrecht erhalten können.
Art. 14 VRRL-E regelt ausführlich die Ausübung des Widerrufsrechts. Anders als bislang nach deutschen Recht ist ein Widerruf durch bloße Rücksendung der Ware (§ 355 Abs. 1 S. 2, § 356 BGB) nicht mehr möglich. Vielmehr muss der Verbraucher den Widerruf auf einem dauerhaften Datenträger erklären (wie unter geltendem Recht der – alternative – Widerruf in Textform), und zwar entweder in einer an den Gewerbetreibenden gerichteten Erklärung, die er selbst formuliert, oder indem er das Standard-Widerrufsformular des Anhangs I Teil B verwendet. Die Mitgliedstaaten legen für dieses Standard-Widerrufsformular keine weiteren Formvorschriften fest.
Das Standard-Formular geht allerdings im Onlinehandel völlig an der Realität vorbei. Hier wäre eine Standard-Belehrung wünschenswert gewesen, die den Unternehmer vor Abmahnungen schützt, nicht jedoch ein Widerrufsformular, das der Verbraucher ohnehin nicht nutzen wird.
Entgegen Erwägensgrund 28 wird die Einführung eines harmonisierten Standard-Formulars für den Widerruf des Verbrauchers das Widerrufsverfahren nicht vereinfachen oder für Rechtssicherheit sorgen. Denn dem Verbraucher sollen gerade möglichst wenig formelle Auflagen gemacht werden, ein schlichtes Rückzahlungsbegehren bei Rücksendung der Ware sollte genügen.
Zu erheblichen Beweisproblemen dürfte die in Art. 14 Abs. 2 vorgesehene Möglichkeit, ein Online-Formular für den Widerruf zu nutzen, führen. Bei im Internet geschlossenen Fernabsatzverträgen kann der Gewerbetreibende demnach dem Verbraucher zusätzlich zu den in Absatz 1 genannten Möglichkeiten auch erlauben, das Standard-Widerrufsformular auf der Website des Gewerbetreibenden elektronisch auszufüllen und abzuschicken. In diesem Fall hat der Gewerbetreibende dem Verbraucher unverzüglich per E-Mail eine Bestätigung über den Eingang seines Widerrufs zu übermitteln.
Vielfach werden solche Formulare nicht mehr vorhanden sein oder nicht funktionieren, nämlich dann, wenn der Verbraucher an einen unseriösen Händler geraten ist, vor dem das Widerrufsrecht gerade schützen will. Aber auch lautere Unternehmer werden versucht sein, den Widerruf des Verbrauchers im virtuellen Nirvana verschwinden zu lassen, da kein Unternehmer sich den Widerruf wünscht.
Die Begründung in Erwägensgrund 29, dass erfahrungsgemäß viele Verbraucher und Gewerbetreibende die Kommunikation über die Website des Gewerbetreibenden vorziehen, offenbart, dass hier keine mit den Gefahren des Internets vertrauten Autoren am Werk waren.
Begrüßenswert sind die klaren Regelungen zu den Wirkungen des Widerrufs (Art. 15), Pflichten des Gewerbetreibenden im Widerrufsfall (16) und Pflichten des Verbrauchers im Widerrufsfall (Art. 17). Primär enden mit der Ausübung des Widerrufsrechts die Verpflichtungen der Vertragsparteien zur Erfüllung des Fernabsatz-Vertrags (Art. 15 a) VRRL-E). Der Gewerbetreibende hat jede Zahlung, die er vom Verbraucher erhalten hat, binnen dreißig Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem die Mitteilung über den Widerruf bei ihm eingegangen ist. Die bislang im deutschen Recht nicht umgesetzte 30-Tage-Frist wird per Vollharmonisierung nun noch einmal verbindlich festgeschrieben.
Aus Erwägensgrund 30 ergibt sich, dass zu den zurück zu erstattenden Zahlungen auch die „Hinsendekosten“ gehören, d.h. Zahlungen für Aufwendungen des Gewerbetreibenden im Zusammenhang mit der Lieferung der Waren an den Verbraucher. Damit dürfte sich die Frage, wie Art. 6 Abs. 2 FARL zu diesem Aspekt auszulegen ist, durch einen eindeutig zu Tage getretenen Willen des europäischen Gesetzgebers erledigt haben.
Neu ist das ausdrücklich geregelte Zurückbehaltungsrecht des Gewerbetreibenden hinsichtlich des Kaufpreises für den Fall, dass er die Ware noch nicht zurück erhalten hat. Bei Kaufverträgen braucht der Gewerbetreibende die Rückzahlung erst zu leisten, wenn er die Waren wieder zurückerhalten oder abgeholt hat bzw. wenn der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren zurückgeschickt hat, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist. (Art. 16 Abs. 2 VRRL-E).
Dadurch wird gewährleistet, dass der Verbraucher die Ware überhaupt zurückschickt und dass der Gewerbetreibende sie auf Beschädigungen und Gebrauchsspuren untersuchen kann.
Neu ist auch eine Frist zur Rücksendung der Ware für den Verbraucher. Die 30-Tage-Frist galt schon bislang nur für Zahlungsverpflichtungen. Hat bei Kaufverträgen der Verbraucher oder auf dessen Wunsch ein Dritter vor dem Ablauf der Widerrufsfrist den Besitz an den Waren erlangt, so hat der Verbraucher gemäß Art. 17 Abs. 1 VRRL-E die Waren binnen vierzehn Tagen ab dem Tag, an dem er dem Gewerbetreibenden seinen Widerruf mitteilt, an den Gewerbetreibenden oder eine von diesem zur Entgegennahme ermächtigten Person zurückzusenden oder zu übergeben, es sei denn, der Gewerbetreibende hat angeboten, die Waren selbst abzuholen.
Damit ein Gewerbetreibender einem Verbraucher, der die Ware nicht zurückgegeben hat, den Preis nicht erstatten muss, soll der Verbraucher verpflichtet werden, die Ware spätestens vierzehn Tage nach dem Tag zurückzusenden (Erwägensgrund 32).
Als Ausgleich dafür, dass der Unternehmer die Hinsendekosten trägt, soll der Verbraucher nach Art. 17 Abs. 1 VRRL-E stets die Rücksendekosten zu tragen. Diese Regelung gilt zwar bislang schon in den meisten Mitgliedsstaaten, wegen des Mindestharmonisierungsprinzips der FARL haben Staaten wie Deutschland und Finnland jedoch abweichende Regelungen erlassen und im Regelfall dem Unternehmer die Rücksendekosten auferlegt. Wegen des Vollharmonisierungsprinzips dürften solche nationalen Vorschriften zulasten des Unternehmers nicht weiter aufrecht erhalten werden.
Der bislang im deutschen Recht strittige Wertersatzanspruch des Gewerbetreibenden gegen den Verbraucher für die Nutzung der Ware während der Widerrufsfrist wird ausdrücklich in der Richtlinie festgeschrieben.
Nach Art. 17 Abs. 2 VRRL-E haftet der Verbraucher für einen etwaigen Wertverlust der Waren jedoch nur, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Eigenschaften und des Funktionierens der Waren nicht notwendigen Umgang mit ihnen zurückzuführen ist. Er haftet ferner nicht für den Wertverlust, wenn er vom Gewerbetreibenden nicht gemäß Artikel 9 Buchstabe b über sein Widerrufsrecht aufgeklärt wurde.
Der Gesetzgeber meint, wenn der Verbraucher Art und Funktionsweise einer Ware feststellen will, sollte er mit ihr so umgehen oder sie so ausprobieren, wie er das in einem Geschäft tun dürfte. So sollte der Verbraucher beispielsweise ein Kleidungsstück nur anprobieren, nicht jedoch tragen dürfen. (Erwägensgrund 31).
Unklar bleibt – wie bislang – jedoch die genaue Abgrenzung zwischen Prüfung, Ingebrauchnahme und Nutzung sowie die Frage, was genau in einem „Geschäft“ mit Waren getan werden darf, zumal es ganz verschiedene Arten von Geschäften gibt.
Mehr als enttäuschend ist die Neuregelung der Ausnahmen vom Widerrufsrecht im Fernabsatz. Zu diesem besonders kritischen Bereich ist eine Vielzahl von Stellungnahmen von Handelsverbänden eingegangen, die sich eine Erweiterung oder zumindest Klarstellung der bislang geltenden Ausnahmen vom Widerrufsrecht gewünscht hatten.
Viele Interessenvertreter der Wirtschaft sprechen sich dafür aus, dass eine zusätzliche Ausnahme vom Widerrufsrecht für solche Artikel eingeführt wird, die aus Hygiene-, Gesundheits- oder Sicherheitsgründen nach einer Nutzung nicht wieder verkauft werden können. Genannt werden exemplarisch Unterwäsche und Badetextilien, Hygieneartikel, angebrochene Parfümflaschen, Arzneimittel, Lebensmittel, unabhängig vom Haltbarkeitdatum oder Piercingschmuck.
Solche Produkte können derzeit nicht mit hinreichender Gewissheit unter die Ausnahme für die Waren, die „aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht zur Rücksendung geeignet“ sind, subsumiert werden.
Denkbar wäre aus Sicht der Wirtschaft alternativ zu einer konkreten Erweiterung des Ausnahmekataloges auch die Einführung einer generellen Ausnahme in Art. 6 FARL für solche Fälle, in denen die Ware aufgrund ihres Zustands zum Weiterverkauf ungeeignet ist. Vorgeschlagen wird zudem eine generelle Ausnahme für geringwertige Transaktionen.
Statt sich dem Problem zu stellen und eine politische Entscheidung zu treffen hat die Kommission beschlossen, die praktisch bedeutsamste Ausnahme für die Waren, die „aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht zur Rücksendung geeignet“ sind ersatzlos zu streichen. Zur Begründung heißt es, der Händler könne Wertersatz verlangen, wenn die Ware durch Eingriffshandlungen des Verbrauchers wertlos geworden sei.
Diese Sichtweise verkennt allerdings, dass damit der Verbraucher aber schlechter gestellt wäre, als wenn er von vornherein darüber informiert worden wäre, dass ein bestimmter Nutzungsumfang zum Ausschluss des Widerrufsrechts führen kann.
Die Schlechterstellung ergibt sich aus der Tatsache, dass der Verbraucher die Ware bei Kenntnis ggf. weiter verwendet hätte oder er – wenn er die Ware an den Unternehmer zurückgesandt hätte und erst dann erfährt, dass er den Kaufpreis nicht zurückerhält – eventuell einen Anspruch auf Herausgabe des wertlos gewordenen Gegenstands geltend machen muss.
Es bleibt zu hoffen, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments dieses Problem erkennen und die Ausnahme wieder in die Richtlinie aufnehmen und idealerweise weiter konkretisieren.
Im Einzelnen soll nach Art. 19 VRRL-E das Widerrufsrecht bei folgenden Verträgen ausgeschlossen sein, wenn:
Die Ausnahmen d) und h) zeigen einmal mehr, dass der Ausnahmekatalog keiner gerechten Systematik folgt, sondern nichts weiter als Lobbyistenwerk ist.
Warum eBay-Versteigerungen ausgenommen sein sollen, Kaufverträge über Arzneimittel, Friteusen, Deoroller oder Dildos, die in Onlineshops erworben und während der Widerrufsfrist genutzt werden jedoch nicht, lässt sich nur so erklären, dass eBay gute Lobbyarbeit geleistet hat.
Geradezu skandalös ist es, dass Verträge über Wein vom Widerrufsrecht ausgenommen werden, wenn der Wein später als 30 Tage geliefert wird.
Dies kann sich der Verfasser nur so erklären, dass der EU-Beamte, der die Richtlinie geschrieben hat, von der Weinhändlerlobby eine Kiste Wein geschickt bekommen und diese vor Abfassen des Richtlinienentwurfs ausgetrunken hat. Im nüchternen Zustand wäre man nicht auf die Idee gekommen, eine solch offensichtliche Lobby-Klausel allen Ernstes vorzuschlagen, ohne die anderen bestehenden Ausnahmen gründlich zu überarbeiten, wie es dringend geboten gewesen wäre.
Die bislang in § 312b Abs. 3 Nr. 5 verankerte „Pizza-Klausel“ findet sich nun in Art. 19 Abs. 2 a) VRRL-E. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen bei a) Verträgen über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, die der Verbraucher zuvor unter Einsatz von Fernkommunikationsmittel ausgewählt hat und die der Gewerbetreibende, der solche Waren in der Regel in seinen eigenen Geschäftsräumen verkauft, direkt dort abliefert, wo der Verbraucher wohnt, sich aufhält oder arbeitet.
Das Europaparlament hat am 23.06.2011 die Verbraucherrechterichtlinie beschlossen. Der verabschiedete Text stellt einen Kompromiss aus den Vorstellungen des Rates und des Parlamentes dar. Dieses hatte noch im März umfangreiche Änderungen gefordert.
Unter anderem wird nun die Widerrufsfrist auf 14 Tage in allen Mitgliedstaaten der EU vereinheitlicht.
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