EU plant europaweit einheitliche Verbraucherrechte für den Onlinehandel

EU plant einheitliche VerbraucherrechteAls Ergebnis der Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz und der Konsultation über die Fernabsatzrichtlinie (FARL) hat die Europäische Kommission heute am 8.10.2008 einen Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher (VRRL-E) vorgelegt. Als Nachfolgerichtlinie der FARL hat der VRRL-E erhebliche Auswirkungen auf den Onlinehandel.

In unserer vierteiligen Serie informieren wir Sie umfassend über die geplanten Neuregelungen.

Update 23.6.2011: Richtlinie vom Europaparlament beschlossen.

Lesen Sie heute in Teil 1 über: Entstehungsgeschichte, Zusammenfassung von vier Richtlinien, Problem: Rechtszersplitterung, Lösung: Vollharmonisierung, Regelungszwecke und Anwendungsbereich.

Entstehungsgeschichte

Die Europäische Kommission hat am 8. Februar 2007 das Grünbuch zur Überprüfung des Verbraucheracquis  veröffentlicht. Zum Grünbuch äußerten sich die verschiedensten Akteure – Unternehmen, Verbraucher, das Europäische Parlament, Mitgliedstaaten, Juristen aus  Wissenschaft und Praxis. Zudem wurde eine öffentliche Konsultation speziell zur FARL durchgeführt.

Die Kommission erhielt 307 Stellungnahmen zum Grünbuch und 84 Stellungnahmen zur FARL aus allen betroffenen Kreisen und führte zusätzlich noch Ende 2007 eine ganztägige Konferenz, Befragungen mittels zweier umfangreicher Fragebögen, sowie zuletzt im Februar 2008 Workshops mit Vertretern aus Wirtschafts- und Verbraucherkreisen durch. Ergebnis dieses Prozesses ist der VRRL-E.

Zusammenfassung von vier Richtlinien

In diesem Entwurf werden vier Richtlinien, nämlich die Richtlinie 85/577/EWG über außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, die Richtlinie 97/7/EG über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz sowie die Richtlinie 1999/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter zu einem einzigen horizontalen Rechtsinstrument zusammengeführt, das die gemeinsamen Aspekte systematisch regelt und das geltende Recht durch Beseitigung von Unstimmigkeiten und Regelungslücken vereinfacht und aktualisiert.

Kapitel I enthält die einheitlichen Definitionen für Begriffe wie  „Verbraucher“ und „Gewerbetreibender“ (bislang „Unternehmer“) sowie den Grundsatz der vollständigen Harmonisierung. In Kapitel II ist festgelegt, worüber Gewerbetreibende ihre Kunden vor dem Abschluss aller Arten von Verbraucherverträgen informieren müssen. Ferner wird eine Informationspflicht für Vermittler begründet, die Verträge im Auftrag von Verbrauchern abschließen.

Das Kapitel III, das nur für Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge gilt, sieht besondere Informationspflichten vor; ferner wird das Widerrufsrecht (Frist, Ausübung und Wirkungen) einheitlich geregelt. Außerdem wird darin auf ein standardisiertes Widerrufsformular verwiesen, das in Anhang I Teil B festgelegt ist. In Kapitel IV werden die Bestimmungen der Richtlinie 99/44/EG („Verbrauchsgüterkaufrichtlinie“) klargestellt.

Das Kapitel V entspricht weitgehend dem Regelungsgehalt der Richtlinie 93/13/EWG. Es gilt für missbräuchliche Vertragsklauseln. Um für Rechtssicherheit zu sorgen, enthält die Richtlinie zwei Listen missbräuchlicher Klauseln. In der Liste des Anhangs II sind diejenigen Klauseln aufgeführt, die in jedem Fall als missbräuchlich gelten. Anhang III enthält eine Liste mit Klauseln, deren Missbräuchlichkeit angenommen wird, sofern der Gewerbetreibende nicht das Gegenteil beweisen kann.

Problem: Rechtszersplitterung

Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Verbraucherverträge weisen ausgeprägte Unterschiede auf, die zu merklichen Wettbewerbsverzerrungen und Hindernissen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts führen können. (Erwägensgrund 6)

So variieren allein die Widerrufsfristen in den 27 Mitgliedsstaaten zwischen 7 Werktagen, 8 Tagen, 10 Tagen, 10 Werktagen, 14 Tagen und 15 Tagen.  Dies macht eine korrekte Belehrung, die sich an alle Verbraucher Europas richtet, so gut wie unmöglich.

Unternehmen, die ihre Waren oder Dienstleistungen grenzüberschreitend anbieten wollen, müssen höhere Kosten für die Einhaltung der Rechtsvorschriften aufwenden. Die Rechtszersplitterung untergräbt auch das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt. (Erwägensgrund 7). Das grenzüberschreitende Potenzial des Versandhandels, das zu den wichtigsten greifbaren Ergebnissen des Binnenmarkts gehören sollte, wird von den Verbrauchern nicht in vollem Umfang ausgeschöpft.

Im Vergleich zu dem erheblichen Wachstum, das in den letzten Jahren im inländischen Versandhandel verzeichnet werden konnte, gab es im grenzüberschreitenden Versandhandel nur ein geringes Wachstum. (Erwägensgrund 5)

Besonders stark zeigt sich die Diskrepanz zwischen den Wachstumsraten des Inlands- und des Auslandshandels beim Internethandel, bei dem das weitere Wachstumspotenzial groß ist. Eine in allen 27 Mitgliedstaaten durchgeführte rechtsvergleichende Untersuchung der Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherrecht hat den Nachweis erbracht, dass die Rechtszersplitterung auf den häufigen Rückgriff der Mitgliedstaaten auf die Mindestharmonisierungsbestimmungen in den überprüften Richtlinien zurückzuführen ist.

Lösung: Vollharmonisierung

Konsequenz aus den Erkenntnissen der Kommission zur Rechtszersplitterung und entscheidende Neuerung der Richtlinie ist der sog. Vollharmonisierungsansatz. Mit dem VRRL-E wird das Mindestharmonisierungskonzept aufgegeben (Erwägensgrund 2), auf dem die vier geltenden Richtlinien basieren (wonach die Mitgliedstaaten strengere innerstaatliche Rechtsvorschriften beibehalten oder einführen können); er beruht vielmehr auf einem Konzept der vollständigen Harmonisierung (d.h. die Mitgliedstaaten dürfen keine Rechtsvorschriften beibehalten oder einführen, die von denen der Richtlinie abweichen).

Das Problem der Rechtszersplitterung könne von den einzelnen Mitgliedstaaten nicht gelöst werden, da gerade deren unkoordinierter Rückgriff auf die Mindestharmonisierungsbestimmungen der geltenden Richtlinien die Ursache des Problems der Rechtszersplitterung sei.

Nur ein koordiniertes Vorgehen der Gemeinschaft könne das Problem lösen und so einen Beitrag zur Vollendung des Binnenmarkts leisten. Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Aspekte der einschlägigen Regelung werde die Rechtssicherheit für Verbraucher wie Unternehmen erheblich erhöhen. (Erwägensgrund 8)

Angesichts der besseren Geschäftsmöglichkeiten, die sich in vielen Mitgliedstaaten bieten, sollten kleine und mittlere Unternehmen (auch Einzelunternehmer) oder Vertreter von Unternehmen, die im Direkthandel tätig sind, in stärkerem Maße bereit sein, in Grenzregionen nach neuen Geschäftsmöglichkeiten Ausschau zu halten.

Deshalb werden die vollständige Harmonisierung der Verbraucherinformation und des Widerrufsrechts in Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, zum besseren Funktionieren des Binnenmarkts für Geschäfte zwischen Unternehmen und Verbrauchern beitragen. (Erwägensgrund 5)

Vor diesem Hintergrund regelt Art. 4 VRRL-E das Vollharmonisierungsprinzip:

„Die Mitgliedstaaten dürfen keine von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften aufrechterhalten oder einführen; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.“

Regelungszwecke

Zweck des VRRL-E ist es, durch vollständige Harmonisierung der für den Binnenmarkt relevanten wesentlichen Aspekte des Verbrauchervertragsrechts einen Beitrag zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts für Geschäfte zwischen Unternehmen und Verbrauchern zu leisten und ein gleichmäßig hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. (Art. 1)

Durch den Vorschlag soll eine einheitliche Regelung eingeführt werden, die gemeinschaftsweit für ein gleichmäßig hohes Verbraucherschutzniveau sorgt und es Gewerbetreibenden ermöglicht, ihre Waren an Verbraucher in 27 Mitgliedstaaten zu verkaufen, und zwar genau so, wie sie es zu Hause tun, also mit denselben allgemeinen Geschäftsbedingungen und demselben Informationsmaterial. Der Vorschlag würde die Kosten, die für sie mit der Einhaltung von Rechtsvorschriften verbunden sind, erheblich verringern und gleichzeitig den Verbrauchern umfassenden Schutz gewähren.

Anwendungsbereich

Der neue VRRL-E soll für die in der Richtlinie geregelte Verträge zwischen Verbrauchern und Gewerbetreibenden gelten.

Verbraucher

„Verbraucher“ ist gemäß Art. 2 (1) VRRL-E jede natürliche Person, die im Zusammenhang mit unter diese Richtlinie fallenden Verträgen zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Anders als derzeit nach deutschem Recht (§ 13 BGB), das wegen des Vollharmonisierungsprinzip entsprechend zu ändern wäre, ist also für den Ausschluss der Verbrauchereigenschaft kein Zweck erforderlich, der der „selbständigen“ beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden könnte, so dass künftig Arbeitnehmer keine Verbraucher mehr sein können.

Gewerbetreibender

§ 14 BGB spricht bislang nicht vom „Gewerbetreibenden“, sondern vom „Unternehmer“. Dieser Begriff wird im VVRL-E aufgegeben. Gemäß Art. 2 (2) VRRL-E ist „Gewerbetreibender“ jede natürliche oder juristische Person, die im Zusammenhang mit unter diese Richtlinie fallenden Verträgen zu Zwecken handelt, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, sowie jede Person, die im Namen oder im Auftrag eines Gewerbetreibenden handelt.

Kein organisiertes Fernabsatzsystem

Anders als bislang nach deutschem Recht (§ 312b Abs. 1 S. 1 BGB) ist für einen Fernabsatzvertrag nach Art. 2 (6) VRRL-E kein „für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem“ erforderlich. Vielmehr zählt als „Fernabsatzvertrag“ jeden Kauf- oder Dienstleistungsvertrag, im Hinblick auf dessen Abschluss der Gewerbetreibende ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet.

Die Verbraucher sollen nicht deshalb ungeschützt sein, weil der Gewerbetreibende nur gelegentlich im Versandhandel tätig ist oder weil er ein organisiertes, von einem Dritten betriebenes System wie etwa eine Online-Plattform nutzt. (Erwägensgrund 13).

Das Problem, dass Unternehmer durch den Einsatz von Boten oder Abholung der Ware im Ladenlokal die Geltung des Fernabsatzrechts zu umgehen versuchen, geht der VVRL-E allerdings nicht an.

Ausnahme für touristische Dienstleistungen

Bestimmte Verträge sind vom sachlichen Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts ausgenommen. So gelten die Art. 8 bis 19 (Vorschriften für Fernabsatzverträge) nicht für Fernabsatzverträge über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung, Beförderung, Mietwagen, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Freizeitgestaltung, sofern diese Verträge einen bestimmten Erfüllungszeitpunkt oder –zeitraum vorsehen. (wie schon derzeit geregelt in § 312b Abs. 4 Nr. 6 BGB)

Update: Verbraucherrechte-Richtlinie verabschiedet

Am Donnerstag, 23.06.2011, hat das Europaparlament die Richtlinie über Verbraucherrechte verabschiedet. Der verabschiedete Text weicht dabei erheblich vom ursprünglichen Kommissionsvorschlag ab.

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Inhalt dieses Dokumentes:

  1. Entstehungsgeschichte
  2. Zusammenfassung von vier Richtlinien
  3. Problem: Rechtszersplitterung
  4. Lösung: Vollharmonisierung
  5. Regelungszwecke
  6. Anwendungsbereich
    a) Verbraucher
    b) Gewerbetreibender
    c) Kein organisiertes Fernabsatzsystem
    d) Ausnahme für touristische Dienstleistungen
  7. Definitionen
    a) Textform
    b) Versteigerung
    c) Öffentliche Versteigerung
    d) Vermittler
  8. Informationspflichten für alle Verbraucherverträge
  9. Reduzierung der Menge der Informationen
    a) Weggefallene Informationen
    b) Erleichterungen bei Versandkostenangaben
    c) Keine Fristverlängerung bei Pflichtverletzung
  10. Erleichterte Informationspflichten im Fernabsatz
    a) Weniger Informationen
    b) Zweistufigkeit
    c) „Sprechende Links“ genügen
    d) Bestätigung in Textform
  11. Dauer und Beginn der Widerrufsfrist
  12. Fristverlängerung bei Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht
  13. Ausübung des Widerrufsrechtes
    a) Standard-Widerrufs-Formular
    b) Widerruf über Website
  14. Rückabwicklung des widerrufenen Vertrages
    a) Unternehmer trägt Hinsendekosten
    b) Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers
    c) Rücksendefrist für den Verbraucher
    d) Verbraucher trägt Rücksendekosten
    e) Verbraucher haftet für Wertverlust
  15. Ausnahmen vom Widerrufsrecht
    a) Keine Regelung für Hygieneprodukte und Arzneimittel
    b) Streichung der Ausnahme „zur Rücksendung nicht geeignet“
    c) Weitgehend unveränderter Ausnahmenkatalog
    d) Neues Lobbyistenwerk
  16. Weitere wichtige Änderungen
  17. Fazit

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08.10.08