Nahezu alle Paketversender bestimmen in ihren AGB, dass Pakete auch beim Nachbarn abgegeben werden dürfen. Doch was passiert, wenn ein Paket bei unbekannten oder weit entfernten Nachbarn abgegeben wird und auf Nimmerwiedersehen verschwindet? Die Paketversender lehnen jede Haftung ab. Das Problem für Onlinehändler: wenn an Verbraucher geliefert wird, zählt die tatsächliche Ablieferung der Ware und nicht die Übergabe an den Versender. Doch sind die Paketversender-AGB überhaupt wirksam? Der "ARD Ratgeber Recht" fand heraus: Nein.
Lesen Sie mehr über die Unwirksamkeit von sogenannten Ersatzzustellungklauseln.
Wenn der Postmann vergeblich klingelt, wird das Paket häufig einem Nachbarn in die Hand gedrückt. Macht sich dieser aber mit dem Paket aus dem Staub, verweigern die Transportunternehmen jegliche Haftung. Zu Unrecht, wie Experten meinen.
In den AGB nahezu aller Paketversender (z.B. § 4 Abs. 3 DHL-AGB, § 2.5.3 GLS-AGB, § 2.4 Hermes-Logistik-AGB etc.) sind Klauseln enthalten, wonach der Versender angeblich seine Pflichten gegenüber dem Absender erfüllt, wenn an einen "Nachbarn" zugestellt wird, wie z.B.:
"DHL darf Sendungen... einem Ersatzempfänger aushändigen... Ersatzempfänger sind... 2. andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen, sowie dessen Hausbewohner und Nachbarn, sofern den Umständen nach angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind..." oder
"Der Versender ist einverstanden, dass Pakete - nach erfolglosem Zustellversuch bei dem Empfänger - bei einer im Haushalt oder Geschäft des Empfängers anwesenden Person, bei einem Nachbarn des Empfängers oder in einem nahe gelegenen GLS Germany Paket Shop mit befreiender Wirkung zugestellt werden dürfen (alternative Zustellung), sofern nach den konkreten Umständen keine begründeten Zweifel bestehen, dass die alternative Zustellung den Interessen des Versenders oder Empfängers widerspricht. Nachbar ist eine Person, die im gleichen oder nächstgelegenen Gebäude wohnt oder arbeitet. Der Versender hat die Möglichkeit, die alternative Zustellung auszuschließen." oder
"Der absendende Auftraggeber ist damit einverstanden, dass die Übergabe auch an eine andere Person erfolgen darf, von der den Umständen nach angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendung berechtigt ist. Hierzu zählen insbesondere in den Räumen des Adressaten (Empfänger) anwesende Mitglieder und Angestellte des Haushaltes des Empfängers sowie unmittelbare Nachbarn des Adressaten. ..."
Im Verhältnis Verkäufer/Käufer zählt im Verbrauchsgüterkauf jedoch die tatsächliche Ablieferung an den Kunden selbst (vgl. § 474 Abs. 2 BGB), nicht an irgendeinen Nachbarn. D.h. der Verkäufer ist bei einem Paketverlust verpflichtet, den bereits gezahlten Kaufpreis zurück zu erstatten bzw. noch einmal an den Käufer zu liefern, wenn das Paket nicht wieder auftaucht. Auch die fernabsatzrechtliche Widerrufsfrist beginnt noch nicht zu laufen.
Daher stellt sich die Frage, ob solche Klauseln überhaupt wirksam sind. Das OLG Düsseldorf (Urteil v. 14.3.2007 - I-18 U 163/06) entschied bereits vor einiger Zeit, dass solche Klauseln unwirksam sind, weil sie intransparent seien und die Interessen des Absenders in unzulässiger Weise missachten:
"Das folgt bereits aus ihrer fehlenden Klarheit und Verständlichkeit (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Wer genau unter die "Nachbarn" in diesem Sinne fallen soll, ist nicht erkennbar. ...
Alltagssprachlich wird als Nachbar regelmäßig der Bewohner des angrenzenden (Einfamilienhaus-) Grundstücks bezeichnet. In ländlichen Verhältnissen wird die "Nachbarschaft" traditionell darüber hinaus gefasst... Auf der anderen Seite gelten in städtischen Miets- und Mehrfamilienhäusern nur die Bewohner einer anderen Wohnung im selben Haus als Nachbarn, in sehr großen Wohnanlagen sogar nur die Bewohner der nahegelegenen - insbesondere auf derselben Etage befindlichen - Wohnungen, aber nicht die Bewohner der angrenzenden Häuser und schon gar nicht der Inhaber eines dort betriebenen Geschäfts.
Zudem benachteiligt die Klausel, gleich wie eng oder weit man sie versteht, den Absender inhaltlich unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB).
Auch der Nachbar im engsten Sinne, der Bewohner des angrenzenden Einfamilienhausgrundstücks oder der neben der eigenen gelegenen Miet- bzw. Eigentumswohnung, ist ein Dritter, den der frachtbriefmäßige Empfänger sich nicht aussuchen konnte und mit dem ihn keineswegs zwingend eine persönliche Beziehung oder ein besonderes Vertrauensverhältnis verbindet; vielmehr ist es sowohl allgemein als auch speziell gerichtsbekannt, dass Nachbarn untereinander nicht selten gleichgültig oder sogar verfeindet sind. Nach Wahl des Frachtführers an einen solchen Dritten statt an den Empfänger zuzustellen, missachtet die berechtigten Interessen des Vertragspartners in grober Weise."
Auch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen macht derzeit gegen die Geschäftsbedingungen mobil, wie der ARD Ratgeber Recht berichtet. Dem Marktführer DHL flatterte Ende Juli eine Abmahnung ins Haus. Bislang wich die Posttochter jedoch keinen Zentimeter von ihren Bedingungen ab.
„Wir gehen nicht davon aus, dass sich DHL freiwillig beugen wird“, meint Verbraucherschützerin Iwona Gromek.
Sie rechnet damit, dass die Angelegenheit vor Gericht entschieden wird.
Der "ARD Ratgeber Recht" berichtete am 13.9.2008 über einen Fall, in dem eine Mutter ihrer Tochter ein Paket zuschickte, das 3 Stockwerke höher abgegeben wurde und dann verschwand. Mit Verweis auf Ziffer 2.4. AGB lehnt das Unternehmen eine Haftung kategorisch ab. Zu Unrecht, wie ARD-Ratgeber Recht bei genauem Hinsehen feststellte. Denn die Klausel erlaubt Hermes die Abgabe nur an „unmittelbare“ Nachbarn des Adressaten.
Ein kleiner Unterschied mit großer Wirkung, erklärte Rechtsanwalt Carsten Föhlisch, Autor hier im Shopbetreiber-Blog im ARD Ratgeber Recht:
„In unmittelbarer Nachbarschaft liegen die direkt angrenzenden Wohnungen, aber ganz sicher nicht eine Wohnung drei Stockwerke über dem Adressaten“, so Föhlisch. „Gemessen an seinen eigenen AGB hätte das Unternehmen daher hier den Schaden ersetzen müssen.“
Rechtsanwalt Carsten Föhlisch sieht daher die Unternehmen in der Pflicht:
„Eine Möglichkeit wäre doch, dem Absender die Wahl zu lassen, ob eine Abgabe beim Nachbarn erfolgen darf oder nicht. Das wäre eine zulässige Gestaltung“, so der Experte für Versandrecht gegenüber dem ARD Ratgeber Recht.
Demnach könnte der Absender gemäß § 425 HGB gegen den Versender wegen eines sogenannten Transportverlustes vorgehen, es besteht aber auch die Möglichkeit, dass der Empfänger die Absenderrechte geltend macht (§ 421 Abs. 1 S. 2 HGB). Solange es nur ein Urteil des OLG Düsseldorf gibt und unklar ist, was aus der Abmahnung der VZ NRW wird, werden die Versender aber sicherlich nicht "freiwillig" Schadensersatz leisten.
Links