Ein Monat statt zwei Wochen Widerrufsfrist auch bei Onlineshops?

Immer wieder Verwirrung um das WiderrufsrechtDie Rechtsprechung zu einem angeblich einmonatigen Widerrufsrecht bei Verkäufen über eBay hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die meisten Gerichte nehmen hier an, dass wegen des technischen Ablaufs des Vertragsschlusses der § 355 Abs. 2 S. 2 BGB greife. Da im Augenblick der Bestellung durch den Kunden bereits der Vertrag geschlossen ist, kommt eine E-Mail mit der Widerrufsbelehrung in Textform erst "nach Vertragsschluss", so dass sich die Frist auf einen Monat verlängere. Aber wie sieht es mit der Widerrufsfrist bei "normalen" Onlineshops aus?

Lesen Sie hier, was dran ist an der angeblichen Monatsfrist auch bei Onlineshops.

In letzter Zeit häuften sich bei uns die Anfragen zu diesem Thema. So werden Online-Händler von ihren Kunden auf die Fristlänge angesprochen, wie uns vor kurzem ein Händler mitteilte:

"Immer wieder versuchen uns Kunden zu belehren, dass in ganz normalen Onlineshops ein Rückgaberecht bzw. Widerrufsrecht von einem Monat statt der 2 Wochen gelte. Ich war der festen Ansicht, dass sei nur für eBay ein Thema. Liege ich da falsch ? Wie ist es denn nun wirklich?"

Auch ein Anwaltskollege trat an mich heran und meinte, Onlineshops, die über ein zweiwöchiges Recht belehren, könnten abgemahnt werden. Er führte eine Testbestellung in einem Shop durch und erhielt daraufhin eine E-Mail mit folgendem Text:

"Lieferung erfolgt nach Zahlungseingang. Zahlung bitte innerhalb von 7 Werktagen auf folgendes Konto: ... Mit dieser E-Mail ist der Kaufvertrag geschlossen. Vielen Dank für Ihren Einkauf. ... Widerrufsrecht ....." (es folgt die vollständige Belehrung in der gleichen E-Mail)

Der Anwalt schrieb mir nun dazu:

"Der Shopbetreiber hat sich für Vorkasse entschieden. Um eine zweite Auftragsbestätigungs-Mail zu vermeiden, nimmt er in der Bestätigungsmail das Angebot des Kunden an und konstatiert, dass hiermit der Kaufvertrag geschlossen ist. Dann aber hat er den Kunden nicht vor Vertragsabschluss in Textform über das Widerrufsrecht belehrt, sondern erst danach. Demzufolge beträgt die Widerrufsfrist nicht zwei Wochen, sondern einen Monat."

Grund genug für uns, der Sache noch einmal auf den Grund zu gehen und herauszufinden, wie es "wirklich" ist.

Die Frage, ob die Widerrufsfrist zwei Wochen oder einen Monat beträgt, hängt davon ab, wie der Vertrag geschlossen wird. Paragraph 355 Abs. 2 S. 2 BGB bestimmt, dass sich die Frist auf einen Monat verlängert, wenn die Textform Belehrung erst "nach Vertragsschluss" mitgeteilt wird:

"Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die ihm entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels seine Rechte deutlich macht, in Textform mitgeteilt worden ist, die auch Namen und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, und einen Hinweis auf den Fristbeginn und die Regelung des Absatzes 1 Satz 2 enthält. Wird die Belehrung nach Vertragsschluss mitgeteilt, beträgt die Frist abweichend von Absatz 1 Satz 2 einen Monat."

Hier gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten:

  • Möglichkeit 1: Das Warenangebot ist unverbindlich, der Kunde gibt mit seiner Bestellung ein verbindliches Kaufangebot ab. Dieses Kaufangebot wird nicht automatisch mit der ersten Bestätigungsmail („Eingangsbestätigung“ oder „Zugangsbestätigung“), sondern erst durch eine zweite Mail („Auftragsbestätigung“) oder Auslieferung der Ware binnen kurzer Zeit angenommen.
  • Möglichkeit 2: Das Warenangebot ist unverbindlich, der Kunde gibt mit seiner Bestellung ein verbindliches Kaufangebot ab. Dieses Kaufangebot wird automatisch mit der ersten Bestätigungsmail („Auftragsbestätigung“) angenommen.
  • Möglichkeit 3: Das Warenangebot ist ein verbindliches Kaufangebot, das durch die Kundenbestellung angenommen wird (so z.B. bei eBay oder beim Download). 

Bei Kaufverträgen, die über die Plattform eBay geschlossen werden, erfolgt die Textform-Belehrung stets nach Vertragsschluss. Denn bei eBay ist bereits das Warenangebot ein verbindliches Vertragsangebot, das durch die Bestellung (Höchstgebot) des Kunden angenommen wird, so dass in diesem Moment der Vertrag geschlossen ist. Eine E-Mail (Textform) mit der Widerrufsbelehrung kann jedoch erst nach diesem Vorgang verschickt werden. Herunterladbare Texte genügen nach ständiger Rechtsprechung nicht im Textformerfordernis.

In einem Onlineshop kann der Vertragsschluss jedoch verschieden gestaltet werden. In der Regel handelt es sich bei dem Warenangebot hier noch nicht um ein verbindliches Vertragsangebot, sondern um eine so genannte invitatio ad offerendum. In diesem Fall unterbreitet der Kunde mit seiner Bestellung zunächst ein verbindliches Vertragsangebot. Der Händler kann dieses dann annehmen oder nicht, und erst in diesem Moment ist der Vertrag geschlossen.

Teilt der Händler dann in der Zugangs Bestätigung E-Mail oder in der Auftragsbestätigung E-Mail an die Widerrufsbelehrung in Textform mit, erfolgt diese Mitteilung nicht nach Vertragsschluss, sondern vor Vertragsschluss oder bei Vertragsschluss. Daher greift die Vorschrift des Paragraphen 355 Abs. 2 S. 2 BGB schon nach dem Wortlaut nicht, so dass es bei der Zweiwochenfrist verbleibt.

Allerdings kann der Vertragsschluss auch in einem Onlineshop so gestaltet werden wie bei eBay, das heißt auch hier ist denkbar, dass bereits das Warenangebot ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrages ist, das der Kunde durch Bestellung annimmt. Der Vertrag ist z.B. auch geschlossen, wenn die Bestellung des Kunden automatisch schon durch eine Bildschirm-Bestätigung angenommen wird. In diesem Fall könnte dann die Belehrung auch erst nach Vertragsschluss erfolgen, so dass eine Monatsfrist gilt. Gleiches gilt, wenn in der Bestätigung E-Mail die Widerrufsbelehrung in Textform nicht enthalten ist. Auch dann wird erst nach Vertragsschluss belehrt.

Es gibt auch vereinzelt Rechtsauffassungen dahingehend, dass die Vorschrift des Paragraphen 355 Abs. 2 S. 2 BGB so auszulegen ist, dass die Textform-Belehrung "vor Abgabe der Vertragserklärung" des Kunden erfolgen muss. Dies hätte dann zur Folge, dass auch bei normalen Shops die Frist stets einen Monat beträgt, sofern nicht jedem Interessenten bereits vor dessen Bestellung eine E-Mail zugesendet wird. Diese Auffassung hat sich jedoch bei den Gerichten bislang glücklicherweise nicht durchgesetzt und findet auch im Gesetz keine Stütze. Vielmehr gibt es bereits Entscheidungen, die ausdrücklich klarstellen, dass es ausreicht, zusammen mit der Annahmeerklärung die Widerrufsbelehrung mitzuteilen, damit eine Zweiwochenfrist greift (z.B. Landgericht Berlin zu Widerrufsfrist auf dem Amazon Marketplace):

"Nimmt der Unternehmer die Bestellung des Verbrauchers erst durch Versendung einer den Vertragsschluss bestätigenden E-Mail an, der eine Widerrufsbelehrung beigefügt ist, belehrt er seine Kunden bei Vertragsschluss in Textform über ihr Recht zum Widerruf, sodass es bei der zweiwöchigen Widerrufsfrist verbleibt, weil § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB den längeren Fristlauf ausdrücklich an die Voraussetzung einer erst nach - und nicht bei - Vertragsschluss erfolgten Belehrung knüpft."

Weiterhin gibt es folgende Argumente gegen eine Monatsfrist bei normalen Shops:

Im Fernabsatzrecht gibt es eine zweistufige Informationspflicht. Vor Angabe der Vertragserklärung des Kunden ist gem. § 312c Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV lediglicht eine flüchtige, nicht formgebundene Information erforderlich. Die (fristauslösende) Belehrung in Textform ist nach § 312c Abs. 2 BGB erst spätestens mit Lieferung der Ware erforderlich, z.B. in der Warenlieferung.

Der Zeitpunkt "bei Vertragsschluss" findet sich auch in § 312e Abs. 1 Nr. 4 und § 357 Abs. 3 BGB und ist dort anders auszulegen als in § 305 BGB (Einbeziehung von AGB, die vor Bestellung verlinkt werden müssen). Denn der Kunde wird nicht benachteiligt, weil er ja durch die vorvertragliche flüchtige Informationspflicht des § 312c Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV ausreichend geschützt ist. Er hat den Text der Belehrung, die auch später in Textform mitgeteilt wird, vor Abgabe seiner Vertragserklärung gesehen. Dei Textformbelehrung hat hier (im Gegensatz etwa zu Finanzdienstleistungsverträgen) keinerlei Warnfunktion, sondern ausschließlich Dokumentationsfunktion. Daher reicht es aus, wenn die Belehrung zusammen mit der Annahmeerklärung erfolgt.
 
Zu § 312e Abs. 1 Nr. 4 BGB heißt es im Münchener Kommentar (Wendehorst, § 312e, Rn 108), es sei durchaus auch an die Zeit nach Vertragsschluss gedacht. Es könne nicht angenommen werden, dass die Pflicht exakt im oder bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erfüllt werden muss. Gleichermaßen ist die Formulierung "bei Vertragsschluss" auch § 357 Abs. 3 BGB auszulegen (vgl. Föhlisch, in Hoeren/Sieber, Kap. 13.4, Rn 213). Der Kunde muss nicht schon vor Erhalt der Bestellung wissen, dass er evtl. bei Nutzung Wertersatz leisten muss, sondern kann sich dies noch überlegen, wenn er die Ware in den Händen hält.  Das OLG Hamburg sieht sogar eine systematische Vorrangigkeit des § 312c Abs. 2 BGB und meint, es reiche eine Belehrung noch zusammen mit der Lieferung aus. Dies wird auch für § 355 Abs. 2 S. 2 BGB vertreten. Jedenfalls bedeutet "nach Abgabe der Vertragserklärung" nicht zwangsläufig "nach Vertragsschluss". Das sind zwei verschiedene Dinge. In § 312 c Abs. 1 BGB wurde im Dezember 2004 ausdrücklich klargestellt, dass der Zeitpunkt vor Abgabe der Vertragserklärung gemeint ist. § 355 BGB wurde damals jedoch nicht geändert.

Eine andere Sichtweise verbietet sich nicht nur wegen des klaren Wortlauts der genannten Vorschriften, sondern auch aus teleologischen und systematischen Erwägungen. Dies würde die Zweistufigkeit im Fernabsatzrecht ad absurdum führen und im Ergebnis die Monatsfrist zur Regelfrist machen, obwohl der deutsche Gesetzgeber mit der Zweiwochenfrist schon über die europäische Mindestvorgabe hinausgeht und in den meisten anderen Mitgliedsstaaten Auktionen vom Anwendungsbereich des Fernabsatzrechtes ganz ausgenommen sind. Jedem Kunden eines Internetshops müsste vor seiner Bestellung zunächst ein vierseitiges Dokument zugemailt werden. Gleiches würde übrigens auch für Bestellungen im TV- oder Teleshopping oder M-Commerce gelten.

Wie es "wirklich" ist, hängt also davon ab, wie der genaue Ablauf des Vertragschlusses im Shop ist und welcher Auffassung zu den juristischen Fragen man folgt. Hier gibt es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Wir haben die Thematik übrigens auch ausführlich im aktuellen Trusted Shops Praxishandbuch erläutert.

Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte dem Kunden also VOR Annahme von dessen Bestellung eine E-Mail schicken, in der bloß der Zugang der Bestellung bestätigt wird und in diese Mail die vollständige Widerrufsbelehrung aufnehmen. Unseres Erachtens ist aber für eine zweiwöchige Frist auch ausreichend, in der E-Mail über das Widerrufsrecht zu belehren, mit der die Kundenbestellung angenommen wird. Dem Kunden vor Abgabe von dessen Bestellung eine E-Mail mit der Belehrung zuzuschicken, halten wir für absurd. (cf)

20.12.07