Die Abmahnung war ursprünglich dazu gedacht, für fairen Wettbewerb zu sorgen. Sie wird jedoch leider immer wieder von Händlern und ihren Anwälten dafür missbraucht, Gebühren geltend machen zu können. Das OLG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 25.9.2020 – 6 U 57/20) entschied nun, dass bereits eine hohe Anzahl an Abmahnungen (243 in einem Jahr) ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen sein könne.

Die Beklagte betreibt ein Reisebüro und bietet über ein Reiseportal die Vermittlung von Reisen an. Die Klägerin beanstandet, dass auf der Plattform nicht auf die Streitbeilegungsplattform der EU-Kommission hingewiesen wird. Sie verlangte von der Beklagten Unterlassung und die Erstattung der Abmahnkosten. Insgesamt sprach sie zwischen Februar 2018 und Februar 2019 243 Abmahnungen aus, die überwiegend einen fehlenden Hinweis auf oder eine fehlende Verlinkung der OS-Plattform betrafen. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Es fehle an einem konkreten Wettbewerbsverhältnis und damit an der Aktivlegitimation der Klägerin. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

Das OLG Frankfurt wies die Berufung nun zurück. Die Abmahnungen seien rechtsmissbräuchlich.

Kriterien für einen Rechtsmissbrauch

Das Gericht hatte bereits im Rahmen eines Hinweisbeschlusses (Hinweisbeschl. v. 2.9.2020 – 6 U 57/20) darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen, da es die Rechtsverfolgung als rechtsmissbräuchlich einstufe. Darin fasste das Gericht zunächst noch einmal die Kriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs zusammen und verwies darauf in seiner jetzigen Entscheidung:

Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung wegen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Von einem Missbrauch ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es reicht aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände. Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht (BGH GRUR 2016, 961Rn 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. m.w.N.). Weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen ist es, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, sondern seine Rechtsverfolgung aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient (vgl. BGH GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner; BGH GRUR 2019, 199 Rn 21 – Abmahnaktion II).

Hohe Anzahl an Abmahnungen

In seinem Hinweisbeschluss verwies das Gericht auch auf die hohe Anzahl an Abmahnungen. Allein diese spreche bereits für einen Rechtsmissbrauch.

Bereits die hohe Zahl von Abmahnungen, die die Klägerin zwischen Februar 2018 und Februar 2019 aussprechen ließ, spricht für ein missbräuchliches Vorgehen. Die Klägerin hat unstreitig über 240 Abmahnungen ausgesprochen, wobei es in fast allen Fällen entweder um die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform oder um die Verletzung anderer Pflichten von Diensteanbieten geht. Hierbei handelt es sich um leicht ermittelbare Verstöße, die durch ein systematisches Durchforsten des Internets auffindbar sind. Die Klägerin wird durch diese Verstöße in ihrer wirtschaftlichen Betätigung nicht unmittelbar berührt. Die Verstöße, namentlich die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform, betreffen die Rechtsbeziehungen der abgemahnten Reiseunternehmen zu ihren Kunden. Sie erschweren den Marktzugang für die Klägerin nicht. Zwar liegt es im Interesse eines lauter handelnden Unternehmens, dass auch Mitbewerber die Regeln des lauteren Wettbewerbs einhalten. Mit diesem Interesse lässt sich jedoch das massenhafte und flächendeckende Abmahnen von Bagatellverstößen innerhalb eines kurzen Zeitraums nicht erklären.

Überwiegen sachfremder Interessen

Das OLG Frankfurt entschied gemäß seinem Hinweisbeschluss und stellte noch einmal klar, dass es für die Frage des Rechtsmissbrauchs entscheidend darauf ankomme, ob eine Serienabmahnung von sachfremden Interessen getragen wird.

Dafür kann es sprechen, wenn der Abmahnende bei objektiver Betrachtung kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße hat und die massenhafte Abmahnung von Mitbewerbern für seine Marktstellung nicht von Bedeutung ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.4.2018 – I ZR 248/16 = GRUR 2019, 199, Rn 21, 23 – Abmahnaktion II). Im Streitfall war daher zu berücksichtigen, ob sich die Beklagte und die Klägerin am Markt überhaupt begegnen. Es bleibt dabei, dass die Klägerin nur vage Angaben zu ihren angeblichen Aktivitäten auf dem Reisemarkt macht. Unterlagen, die ihre Reisevermittlungstätigkeit belegen sollen, möchte sie weiterhin nur in der Form vorlegen, dass die jeweiligen Vertragspartner und weitere Angaben geschwärzt bleiben. Eine ausreichende Überprüfung ist daher nicht möglich.

Abwägung im Einzelfall

Das Gericht verwies zudem auf eine Entscheidung des BGH zu rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen. Der BGH hatte entschieden, dass bei einer Vielzahl von Abmahnungen regelmäßig ein Rechtsmissbrauch anzunehmen sei, wenn im Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden ein existenzbedrohender Verfolgungsaufwand bestehe und für ihn daran kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse bestehe. Allerdings könne bereits eine hohe Zahl an Abmahnungen für sich ein Indiz für einen Missbrauch darstellen, so das OLG Frankfurt.

Der BGH hat ausgesprochen, dass beim Vorliegen dieser beiden Indizien von einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung regelmäßig auszugehen ist. Keineswegs ist damit gesagt, dass ein Rechtsmissbrauch nur dann angenommen werden kann, wenn beide Indizien zusammenkommen. Vielmehr bedarf es stets einer Gesamtabwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls.Grundsätzlich kann eine hohe Anzahl von Abmahnungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums schon für sich genommen den Missbrauch indizieren. Das hat der BGH bei 150 Abmahnungen innerhalb eines Jahres angenommen (BGH GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner). Im Streitfall kommt zu den 243 Abmahnungen innerhalb eines Jahres hinzu, dass die angegriffenen Verstöße über das Internet leicht ermittelbar waren und dass durch die Verstöße die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin nicht nennenswert beeinträchtigt werden. Insoweit ist unerheblich, ob es sich um Informationspflichten handelt, die das Unionsrecht als „wesentlich“ einstuft (§ 5a Abs. 4 UWG).

Viele Verstöße = viele Abmahnungen?

Die Klägerin versuchte sich damit zu verteidigen, dass wegen der Vielzahl der Verstöße, die Mitbewerber begingen, eben auch viele Abmahnungen ausgesprochen werden müssten. Dieser Argumentation folgte das OLG Frankfurt nicht. Die abgemahnten Verstöße behinderten die Klägerin nicht in ihrer Geschäftstätigkeit.

Dieses Argument verfängt nicht, wenn das Marktbereinigungsinteresse nur vorgeschoben ist (OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2016, 358 – Vorgeschobene Marktbereinigung I). So liegt es im Streitfall. Die Klägerin hat keine Verstöße abgemahnt, die sie ersichtlich in ihrer Geschäftstätigkeit behindern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie nur gegen solche Unternehmen vorgegangen ist, mit denen sie – sachlich oder örtlich – in einem intensiven Wettbewerb steht.

Dass die Klägerin auch andere Verstöße als eine fehlende Verlinkung zur OS-Plattform abmahnt, konnte sie nicht beweisen.

Soweit die Klägerin sich darauf beruft, sie habe in erheblichem Umfang auch andere Verstöße als solche gegen die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform abgemahnt, fehlt es ihrem Vorbringen an der Substanz. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Anlage K1 zum Schriftsatz vom 9.8.2019. Aus diesem Dokument geht in keiner Weise hervor, welche Verstöße abgemahnt wurden. Aus einer – ebenfalls als Anlage K1 bezeichneten – Anlage im Anlagenband geht hervor, dass zwischen dem 27.2.2018 und dem 14.2.2019 insgesamt 243 Abmahnungen ausgesprochen wurden, wobei über 90% den Link zur OS-Plattform betrafen. Daneben wurden weitere Formalverstöße wie fehlende Datenschutzerklärungen oder fehlende Impressumsangaben abgemahnt. In dem Schriftsatz vom 9.8.2019 heißt es, es seien auch Verstöße gegen rechtswidrige AGB-Klauseln abgemahnt worden (S. 23). Mangels konkreter Angaben muss davon ausgegangen werden, dass es auch insoweit um formale Verstöße geht, die sich leicht über das Internet ermitteln ließen und die die Klägerin in ihrer Geschäftstätigkeit nicht beeinträchtigten.

Fazit

Der Vorwurf „Rechtsmissbrauch“ wird bei vielen Abmahnungen schnell erhoben, in den wenigsten Fällen erkennen die Gerichte diesen Einwand allerdings an. Dieser Fall zeigt jedoch, dass es Fälle des Rechtsmissbrauchs durchaus gibt. Das Gericht merkte ebenfalls an, dass es sich bei dem vorliegenden Verstoß, der fehlenden Verlinkung der OS-Plattform, um einen leicht zu ermittelnden Verstoß handle. Dies bestätigt nicht nur unser monatlicher Abmahnradar, sondern auch unsere Abmahnumfrage. Ein fehlender Link auf die OS-Plattform ist häufig ein Grund für Abmahnungen.

Zugleich zeigt der Fall, dass sich Widerstand auszahlt. Nach einer Abmahnung ist dringend anwaltliche Beratung zu empfehlen – und zwar durch einen Anwalt, der auf Abmahnungen im E-Commerce spezialisiert ist.

sergign/Shutterstock.com

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