Sind Online-Händler die besseren E-Commerce-Agenturen?

E-Commerce-AgenturDie Baur-Gruppe stellt sein Know-how im Online-Handel künftig auch anderen Shopbetreibern als Agenturleistung zur Verfügung. Was bedeutet dies für das Agenturgeschäft und wie können andere Online-Händler von dieser Ausgründung profitieren?
Zum 1. März 2015 geht in Weismain, in der Nähe des Firmensitzes der Baur-Gruppe, die neue E-Commerce-Agentur Empiriecom an den Markt. Dahinter steht die E-Commerce-Abteilung der Baur-Gruppe, die wiederrum zum Otto-Konzern gehört. Eine Entwicklung, die für Stephan Meixner von neuhandeln.de gar nicht mal unerwartet kommt:

"So erbringt die E-Commerce-Unit von Baur bereits heute Dienstleistungen für rund 40 Online-Auftritte der Otto-Gruppe (u.a. Baur.de, Ackermann, I’m walking, Universal, Quelle)."

Empiriecom werde unter anderem Technologiekonfiguration, Performance-Optimierung und Datenmanagement sowie Datenproduktion, Site Engineering und Services für den Betrieb von E-Commerce-Lösungen anbieten.

Eine Kampfansage an die Agenturszene

Mit dem Start von Empiriecom werden sich die etablierten E-Commerce-Agenturen mit einem Player konfrontiert sehen, der mit mehr als 1.000 Kundenprojekten ein riesiges Pfund bei potenziellen Auftraggebern in die Waagschale werfen kann.

Hinzu kommt, dass die E-Commerce-Abteilung bei Baur unter Branchenkennern zu den absoluten Top-Adressen des Business zählt. Hier wurden beispielsweise schon multivariate Shoptests durchgeführt, als das Gros der Shopbetreiber bei einem A/B-Test noch an einen Rechtschreib-Test dachte.

Zudem hat Baur durch die Ausgliederung seines Logistik-Know-Hows in die Baur Fulfillment Solutions bereits wertvolle Erfahrungen als Dienstleister für andere Online-Händler gesammelt. Somit ist die Ausgründung der Empiriecom ein nachvollziehbarer und strategisch konsequenter Schritt, um von E-Commerce-Wachstum auch außerhalb des eigentlichen Handelsgeschäftes zu profitieren.

Wie erfolgreich Shopbetreiber durch ihr Servicegeschäft sein können, zeigt auch Amazon. Jochen Krisch sieht im Service-Bereich ein enormes Wachstum für den Online-Händler:

"Wenn sich Amazon so weiterentwickelt und die Service-Erlöse weiter 40% im Jahr wachsen, dürften sie die Handelsumsätze in 5 bis 7 Jahren übersteigen – mit der Aussicht auf eine Ver-x-fachung der Gewinne"

Benjamin Patock, Geschäftsführer Solid Taste GmbH, die unter anderem den Online-Shop cigarmaxx.de betreiben, sieht die Agenturgründung differenziert:

"Für uns als KMU wäre es im Grunde interessant, die Benchmarks und Learnings der Großen nutzen zu können, wobei die Frage der Plattformunabhängigkeit (Stichwort: Intershop) natürlich im Raum steht.“

Ebenso müsse Empiriecom beweisen, ob man in einem Konzern auch "Startup" könne:

"Es ist aus Managementsicht im Zweifel natürlich schon reizvoll, strategische und operative IT sowie Fulfillment oder weitere Hygienefaktoren aus einer Hand zu haben. Dafür hätten wir mit cigarmaxx.de auch - anders als z.B. Modeversender - im Zweifel auch keinen direkten Konkurrenten aus dem Baur-Konsortium im Nacken."

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Wind von vorne

Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch Stephan Meixner im Interview mit dem shopbetreiber-blog:

Sind Online-Händler die besseren E-Commerce-Agenturen?

Stephan Meixner, neuhandeln.deInterview mit Stephan Meixner, neuhandeln.de

shopbetreiber-blog: Worin siehst Du den Vorteil, wenn ein Online-Händler auch als Dienstleister tätig wird?

Stephan Meixner: Ein großes Pfund mit dem der Online-Händler wuchern kann, ist sein Wissen um erprobte Konzepte und reale Erfahrungswerte, die er bei der Umsetzung von Projekten an den Kunden weitergibt. Weil die Agentur ihre Wurzeln in einem Online-Shop hat, kennt sie die spezifischen Probleme des Shopbetreibers bereits aus eigener Erfahrung. Das bedeutet für die Agentur einen geringeren Aufwand sowie ein Plus an Kompetenz. Der Kunde wiederrum erhält mehr Insights und darf mit weniger Fehlversuchen rechnen.

shopbetreiber-blog: Was könnten für Kunden mögliche Nachteile sein?

Meixner: Nicht jedes Konzept lässt sich auf jeden Händler übertragen. Was bei Baur gut funktioniert hat, muss nicht zwangsweise für den Hanschuhshop24 geeignet sein. Der Kunde könnte andernfalls das Gefühl bekommen, dass ihm einfach nur die Baur-Lösungen übergestülpt werden; er also eine Leistung von der Stange bekommt. Eben etwas, das halt woanders schon funktioniert hat. Zudem ist die E-Commerce-Truppe von Baur sicherlich gewöhnt, mit großen Budgets zu arbeiten. Es wird interessant sein zu beobachten, wie die neue Agentur mit kleineren Kundenportemonnaies arbeiten wird.

shopbetreiber-blog.de: Empiriecom arbeitet auch für Unternehmen der Otto-Gruppe. Inwieweit siehst Du da Konfliktpotenzial bei der Abwicklung von internen und externen Aufträgen?

Meixner: Da sollte es zu keinen Konflikten kommen. Denn auch Empiriecom weiß, dass ein nachhaltiges Agenturgeschäft nur dann funktioniert, wenn alle Kunden gleichbehandelt werden. Wenn der Kunde eine Zweiklassengesellschaft bemerkt, dann funktioniert die Zusammenarbeit nicht und er wird seine Aufträge an anderer Stelle platzieren.

shopbetreiber-blog.de: Welche Auswirkungen könnten die Gründung von Empiriecom auf die Agenturszene haben?

Meixner: E-Commerce-Agenturen gibt es viele, aber nicht jeder hat die Erfahrung aus einem Handelsunternehmen. Der Wind könnte daher für Dienstleister stärker von vorne wehen. Kluge Agenturen machen daher parallel zum Dienstleistungsgeschäft bereits heute selber E-Commerce, um eigene Erfahrungswerte an Kunden weitergeben zu können. Ein anschauliches Beispiel ist DotSource.

Fazit

Sind Online-Händler also die besseren E-Commerce-Agenturen? Nein, das lässt sich sicherlich so pauschal nicht bejahen. Aber Agenturen wie Empiriecom arbeiteten und arbeiten strategisch wie operativ daran, das Online-Geschäft zu optimieren und kennen die Probleme und kritischen Erfolgsfaktoren aus ihrer täglichen Arbeit. Zudem haben sie als ehemalige Inhouse-Abteilung eher den universellen Blick auch auf angrenzende Prozesse und können somit Wechselwirkungen in anderen Bereichen unter Umständen schneller abschätzen und ihre Lösungen darauf optimieren.

Grundsätzlich sollte eine erfolgreiche E-Commerce-Agentur um die Herausforderungen, vor denen ein Shopbetreiber jeden Tag steht, bestens Bescheid wissen. Je mehr methodisches und praktisches Versenderwissen eine Agentur mitbringt, desto eher kann sie dem Online-Händler wirklich weiterhelfen. Und die erfolgreichen E-Commerce-Agenturen können hier sicherlich mithalten.

03.02.15
Olaf Groß

Olaf Groß