ARD-Dokumentation kritisiert Arbeitsbedingungen bei Amazon

Die Kritik an den Arbeitsbedingungen im und um den Online-Handel reißt nicht ab. Im Auftrag des Hessischen Rundfunks dokumentierten die Journalisten Diana Löbl und Peter Onneken wie Amazon saisonale Spitzen durch Leiharbeit abdeckt und unter welchen Bedingungen die "Wanderarbeiter" leben müssen.

Ein Blick hinter die Kulissen.

Erfolg hat seinen Preis. Und diesen Preis zahlen bei Amazon tausende von Leiharbeitern. So beschreibt es die TV-Dokumentation "Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon" in der ARD.

"Jedes Jahr zur Hochsaison wirbt Amazon Deutschland tausende Wanderarbeiter aus dem Ausland an. Was die Arbeiter tatsächlich erwartet, ist eine böse Überraschung. Nicht Amazon legt ihnen in Deutschland einen Vertrag vor, sondern eine Leiharbeitsfirma. Deutlich weniger Lohn als bei der Anwerbung in Spanien versprochen, nach Feierabend stundenlanges Warten auf den überfüllten Bus, der sie über zig Kilometer Autobahn in ihre Unterkunft bringen soll.

Sie leben zu zweit auf engstem Raum in einem zu dieser Jahreszeit verlassenen Ferienpark. Hier führt ein Sicherheitsdienst ein Regime, das auf Einschüchterung setzt und immer wieder in die Privatsphäre der Arbeiter eindringt. Wer sich wehrt, fliegt raus. Fristlos."

Manche der in der ARD erhobenen Vorwürfe sind nicht neu. Der Paketzusteller GLS war auf Grund seiner fragwürdigen Arbeitsbedingungen ins Visier des Kölner Journalisten Günter Wallraff genommen worden. Auch Zalando geriet in einem ZDF-Bericht wegen seiner Arbeitsbedingungen in die Schusslinie.

Zeitarbeit ist im Interaktiven Handel Gang und Gäbe, um auf saisonale Spitzen reagieren zu können. Denn auch zu Weihnachten erwartet der Kunde, dass seine Bestellung, und sei sie auch erst einen Tag vor Heilig Abend aufgegeben, pünktlich unter dem Weihnachtsbaum liegt. Dennoch haben manche Unternehmen alternative Arbeitszeitmodelle erfolgreich getestet, um auf Zeit- und Leiharbeit verzichten zu können, erklärt der Bundesverband des Deutschen Versandhandels (bvh):

"Viele unserer Mitglieder nehmen sich sehr nachhaltig diesem Gedanken an und schaffen Alternativen zu Zeitarbeitern. Gerade Zeitkontenverträge werden bei vielen Versendern schon erfolgreich eingesetzt und ermöglichen den Mitarbeitern in frequenzschwachen Monaten weniger oder gar nicht und in den frequenzstarken Zeiten dann mehr zu arbeiten - bei kontinuierlich gleichbleibendem Gehalt über das gesamte Jahr. Damit setzt die Branche ein wichtiges Signal.

Natürlich ist gerade der Handel besonders der starken Nachfrage in einigen Monaten des Jahres ausgesetzt, so dass Zeitarbeiter auch eine wichtige Ergänzung im Personalbereich für die Versender darstellen. Wenn dies aber der Fall ist, gelten nicht nur Mindeststandards, sondern die Mitarbeiter werden in dieser Zeit voll integriert und bei Möglichkeit auch gerne in feste Arbeitsverhältnisse übernommen."

Besonders schwer wiegt der Vorwurf in der Dokumentation, die Leiharbeiter würden systematisch vom beauftragten Sicherheitsdienst H.E.S.S. (nomen est omen) eingeschüchtert. Die sonst eher als unternehmerfreundlich geltende FAZ kritisiert, dass Einschüchterung bei Amazon zum Geschäftsmodell gehöre:

"Warum braucht Amazon dann eine Sicherheitsfirma namens H.E.S.S? Mitarbeiter dieser Firma, so wurde in dem Beitrag deutlich, bewegen sich im rechtsextremen Milieu und bedrohten die recherchierenden ARD-Journalisten. Vielleicht, weil nur so das Amazon-Geschäftsmodell sicherzustellen ist?"

Spiegel Online berichtet, Mitarbeiter der Sicherheitsfirma seien in Kapuzenpullovern der Marke Thor Steinar gekleidet gewesen. Das Modelabel gilt als Erkennungszeichen in der rechten Szene und ist im Bundestag und einigen Landtagen sowie in vielen Stadien der Bundesliga verboten.

Doppelmoral und Bigotterie

Sicherlich bahnt sich schon jetzt auf Facebook & Co. ein Shitstorm empörter Bürger gegen Amazon an. Doch wie nachhaltig und ernst gemeint sind diese "Proteste" eigentlich? e-Tailment-Redakteur Olaf Kolbrück ist skeptisch:

"Denn das ist die bigotte Seite an der schnellen Empörung. Wenn sich die erste Aufregung gelegt hat, dann zählt, von Einzelfällen abgesehen, wieder der Preis. Bei Zalando, bei Amazon und anderswo. Der Kunde ist ein vergessliches und bequemes Wesen. "

Auch Joachim Graf, Chefredakteur von iBusiness.de sieht die Verantwortung für solche Zustände auch bei den Verbrauchern:

"Entweder wir als Kunden sind bereit, für bessere Arbeitsbedingungen, weniger Kinderarbeit, weniger Ökomüll mehr zu zahlen - dann braucht es Siegel und Selbstverpflichtungen und vor allem: Kundenwillen, höhere Preise zu akzeptieren. Oder aber wir alle, und damit unsere gewählten Regierungen, setzen Regeln fest. Wer moralisch sein will, muss bereit sein, dafür Geld auszugeben. Die künstliche Aufgeregtheit ist ansonsten nichts als Doppelmoral."

14.02.13
Olaf Groß

Olaf Groß