Aus für den Neckermann-Katalog

1950 startete Josef Neckermann mit dem ersten Katalog. Er umfasste damals 12 Seiten und 133 Textilangebote bei einer Auflage von 100.000 Exemplaren. Heute, 62 Jahre später, hat der Printkatalog beim Frankfurter Traditionsversender ausgedient. Geworben wird künftig vor allem online.

Eine Kapitulation des Katalogs vor dem Web?

Irgendwie unaufgeregt geht in Deutschland eine Ära seinem Ende entgegen: Die Zeit der gedruckten (Universal)Kataloge. Branchenkenner werden sich noch an den Aufschrei erinnern, als Neckermann vor vier, fünf Jahren bekannt gab, den gedruckten Katalog in der Schweiz einzustellen. Online is king! lautete die Devise der Eidgenossen. Die Chancen für einen nachhaltigen Erfolg des Versandhauses sah man im Internetgeschäft.

Doch über den Status eines Experimentes kam diese Strategie nicht hinaus. Denn mit dem Abgang des Schweizer Neckermann-Chefs Martin Gittel wurde der Katalog wieder reanimiert.

Seit vergangener Woche ist es offiziell. Gedruckte Werbung (Hauptkataloge, Spezialkataloge, Aktivierungs- und Neukunden-Mailings etc.) wird es bei Neckermann nicht mehr geben, bestätigt CEO Henning Koopmann in einer Pressemeldung.

Nach dem Hauptkatalog werden künftig auch alle sortimentsübergreifenden Kataloge eingestellt. Die Kundenansprache erfolgt in Zukunft mit klarem Online-Fokus. Dies führt auch zu einer Anpassung der Infrastruktur für die Entwicklung der Werbemittel.

In den kommenden zwei Jahren wird Neckermann 90 Millionen Euro in einen neuen Marktauftritt sowie in die Online-Kundenansprache investieren. Insgesamt werden durch die Umstrukturierungen bei Neckermann zum reinen Online-Versender fast 1.500 Arbeitsplätze vernichtet, wie wir hier im Blog bereits berichtet haben.

Richtige Entscheidung mit falscher Signalwirkung

Die Diskussion, ob sich gedruckte Werbemittel - vor allem Kataloge - im Versandhandel überlebt haben, wurde im Laufe der vergangenen Jahre mal mehr mal weniger heftig geführt. Irgendwie schien in der Branche ein stilles Einvernehmen darüber zu herrschen, dass in der Öffentlichkeit vom Tod des Kataloges nicht gesprochen wurde.

Tiefe Risse bekam diese Phalanx, als 2009 die Quelle in die Insolvenz ging. Dass Festhalten am Kataloggeschäft habe den dazu geführt, dass die Verantwortlichen in Fürth den Zeitpunkt für den Wechsel ins reine Online-Geschäft verpasst hätten; so eine vielfach geäußerte Begründung für das Scheitern. Bei Quelle kam der Wechsel schlussendlich dann doch — brutal und schmerzhaft: Insolvenz, Aufkauf der Markenrechte durch den Erzfeind Otto und Auferstanden aus Ruinen als reiner Online-Shop irgendwo im Universum des deutschen e-Commerce.

Dieses Schicksal scheint sich Neckermann ersparen zu wollen und trennt sich daher vollkommen zu Recht von seinen gedruckten Werbemitteln. Die wirtschaftliche Situation des Unternehmens reicht nicht aus, um hier weitere Experimente zu wagen. Nun heißt es, den Schwung aus dem Online-Geschäft für den Ritt in einen neuen Morgen zu nutzen.

Dennoch sollte die Abkehr vom Katalog nicht als Kapitulation vor dem Internet verstanden werden. Denn über viele Jahrzehnte waren Deutsche Katalogmacher weltspitze. Sie haben den Versandhandel als Geschäftsmodell kontinuierlich weiterentwickelt und Standards im Direktmarketing gesetzt.

Dieses Know-how gilt es in einer globalisierten Welt zu bewahren und auszubauen. Es geht um das alltägliche Handwerkszeug eines Händlers, der über Distanzkanäle verkauft. Nicht wenige Online-Shops und Geschäftsmodelle im e-Commerce müssen beispielsweise in Sachen Direktmarketing, Kundenansprache, Anstoßketten und Produktinszenierung noch viel lernen.

Auch im Internet reicht es nicht mehr aus die Produktdetailsseiten mit einfachen freigestellten Produktfotos - wahrscheinlich noch direkt vom Hersteller - zu bemustern und ein paar Produkteigenschaften aufzulisten. Denn eines haben die Katalogmacher in den vielen Jahren ihrer Tätigkeit erreicht: Sie haben anspruchsvolle Verbraucher geschaffen, die neben einem günstigen Preis, großem Vertrauen in den Shop auch eine inspirierende Inszenierung der Produkte und des Umfeldes erwarten. Einkaufen ist Bedarfsdeckung doch Shoppen ist Bedarfsweckung und das kann man im Internet noch besser machen.

30.04.12
Olaf Groß

Olaf Groß