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Lieferpflicht in alle EU-Mitgliedstaaten: Aus für Online-Händler?

Geht es nach dem Willen des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlamentes, so müssen Shopbetreiber künftig in alle 27 EU-Staaten liefern. Ein entsprechender Entwurf wurde jetzt vorgelegt. Gerade für kleine Online-Händler birgt diese geplante Regelung immense Risiken. Aber bedeutet dies tatsächlich das “Aus” für viele Shopbetreiber?

Mehr dazu lesen Sie hier.Viele Shopbetreiber begrenzen ihr Lieferland ganz bewusst auf Deutschland bzw. auf einige wenige Länder. Das ist auch vernünftig so, denn Hintergrund dieser Beschränkung ist in aller Regel die Unkenntnis über die Rechtslage in anderen EU-Ländern und der hohe logistische Aufwand, der mit einem internationalen Handel zusammenhängt.

Nach dem Willen des Auschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlamentes soll die Möglichkeit der Beschränkung des Lieferlandes aber bald nicht mehr bestehen, Shopbetreiber sollen dazu verpflichtet werden, ihre Waren und Dienstleistungen EU-weit zu verkaufen.

Lieferpflicht in alle EU-Länder

Hierzu hat der Ausschuss folgenden Artikel 22a für die Richtlinie für Verbraucherrechte (Directive on consumer rights) vorgeschlagen:

“In the case of a distance contract, the consumer shall be entitled to require the trader to supply the goods to or deliver the service in another Member State. The trader shall meet the consumer’s request if this is technically feasible and if the consumer agrees to bear all the related costs. The trader shall in any event state those costs in advance.”

Übersetzt heißt das:

“Im Falle eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz ist der Verbraucher berechtigt, vom Händler zu verlangen, die Lieferung der Ware bzw. die Erbringung der Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlangen. Der Händler muss das Verlangen des Kunden erfüllen, wenn dies technisch durchführbar ist und wenn der Verbraucher zustimmt, alle für die Erfüllung notwendigen Kosten zu tragen. Der Händler muss den Verbraucher über diese Kosten vorab informieren.”

Der Wortlaut besagt nicht, dass ein Händler seine Länderauswahl im automatisierten Bestellprozess auf alle EU-Länder erweitern muss. Vielmehr darf der Händler Anfragen von Kunden aus EU-Mitgliedstaaten nicht mehr so ohne Weiteres ablehnen.

Welche Maßstäbe an die “technische Durchführbarkeit” zu stellen sind, kann derzeit noch nicht gesagt werden. Vorstellbar ist, dass der Malermeister, der seine Dienste online anbietet, einen anfragenden Kunden aus Zypern darauf verweisen darf, dass er nicht nach Zypern fliegen wird, um ein Wohnzimmer zu streichen. Dem Buch- oder DVD-Händler wird es dagegen wohl nicht möglich sein, sich auf eine technische Nichtdurchführbarkeit des Versands nach Zypern zu berufen.

Benennung der Kosten

Der Unternehmer hat den Verbraucher bei einer derartigen Anfrage über die spezifischen Kosten vorab zu informieren. Hier ist nicht eine Vorabinformation vor der Anfrage gemeint, sondern vor Vertragsschluss. Der Verbraucher soll natürlich wissen, welche Kosten auf ihn zukommen, damit er evtl. noch Abstand von dem Geschäft nehmen kann.

In erster Linie ist hier an die höheren Versandkosten einer Auslandslieferung zu denken. Je nach Produkt und Versandart können diese Kosten relativ einfach bestimmt werden.

Welches Recht gilt?

Kann die Anfrage des Verbrauchers technisch durchgeführt werden und kommt am Ende ein Vertrag mit dem ausländischen Verbraucher zustande, so stellt sich natürlich die Frage, welches Recht für einen solchen Vertrag gilt.

Gegenüber der Financial Times Deutschland sagte Dr. Christian Groß vom DIHK:

“Dann müssten sie die Verbraucherrechte in 27 Ländern beherrschen und sich der Gefahr aussetzen, zum Beispiel in Polen oder Malta verklagt zu werden.”

Je nach Ausrichtung des Shops ist dies in der Tat eine für den Händler sehr ungünstige Situation. Das anwendbare Recht richtet sich nach Art. 6 der Rom-I-Verordnung, wenn es sich um einen Verbrauchervertrag handelt. Eine ähnliche Vorschrift gilt bezüglich des Gerichtsstandes. Demnach gilt das Recht des Verbraucherstaates und kann der Verbraucher den Händler an seinem Wohnsitz verklagen, wenn der Online-Händler sich auf den Staat, in dem der Verbraucher seinen Sitz hat, ausrichtet. Auch bei einer (möglichen) Rechtswahl darf dem Verbraucher ein höherer Standard in seinem Heimatstaat dann nicht genommen werden.

Kriterium: Die Ausrichtung

Nach einem Urteil des EuGH (Rechtssachen C-585/08 und C-144/09) ist eine Ausrichtung auf einen anderen Mitgliedsstaat z.B. gegeben, wenn der Verbraucher im Bestellprozess sein Land aus einer Drop-Down-Box als Lieferland auswählen kann und im Vorfeld spezielle Versandkosten für verschiedene Liefergebiete genannt werden. Natürlich ist auch die Sprache ein Kriterium. So liegt es nahe, dass ein Shop in polnischer Sprache sich bewusst auf Kunden aus Polen ausrichtet, auch wenn der Betreiber des Shops in Deutschland sitzt.

Eine Ausrichtung liegt aber nicht vor, wenn der Shopbetreiber lediglich auf einen Anruf bzw. auf eine e-Mail des Verbrauchers reagiert. Steht jedoch bei der Telefonnummer oder der e-Mail-Adresse ein Hinweis, dass Verbraucher aus der gesamten EU die Lieferung anfragen können, kann man die Ausrichtung wieder bejahen.

Pflicht zur Ausrichtung?

Hier stellt sich die Frage, ob der nun vorgeschlagene Regelungsentwurf eine Pflicht zur Ausrichtung auf alle EU-Mitgliedsstaaten statuieren will. Nur dann müsste der Händler fürchten, zur Auseinandersetzung mit 27 verschiedenen Rechtsordnungen über vorvertragliche Informationspflichten gezwungen zu sein und damit quasi vom Gesetzgeber “in die Abmahnung getrieben” zu werden.

Der vorgeschlagene Artikel 22a schreibt dem Händler m.E. nicht vor, alle Länder der EU im Bestellprozess als Lieferland automatisch bereitzuhalten. Durch die Begrenzung des Liefergebietes auf wenige Länder kommt noch nicht zwingend zum Ausdruck, dass der Händler gar nicht bereit ist, in andere Länder zu liefern. Er kann es eben nur nicht immer mit ein und demselben Vertriebskanal tun, weil es zu kompliziert wäre, z.B. einen einzigen Onlineshop in englischer Sprache so zu gestalten, dass er die Vorgaben aller 27 Mitgliedsstaaten zugleich erfüllt.

Diese Suppe hat uns übrigens der europäische Gesetzgeber selbst eingebrockt, indem die Fernabsatzrichtlinie den Mitgliedsstaaten den Spielraum ließ, über ein Mindestniveau hinauszugehen, so dass viele Länder dem europäischen Verbraucherschutzstandard noch weitere nationale Besonderheiten hinzugefügt haben. Dies hat z.B. dazu geführt, dass eine “europäische Widerrufsbelehrung” 6-7 Seiten lang und damit rettungslos intransparent wäre.

Diesen Missstand hat die Europäische Kommission auch im Jahr 2008 erkannt, als die Konsultation über die Fernabsatzrichtlinie ausgewertet wurde und zur Vorlage des Entwurfs für die Richtlinie über Verbraucherrechte geführt hat. Es wäre absurd, wenn derselbe Gesetzgeber nun forderte, dass die europäischen Unternehmen diese Suppe auslöffeln, indem Sie zur Ausrichtung auf alle Staaten gezwungen werden und jeweils eine fünfstellige Summe an Rechtsberatungskosten ausgeben müssten.

Konsequenzen für Händler

Christian Groß vom DIHK sieht hier vor allem eine Bedrohung von kleinen Shopbetreibern:

“Kleinere Händler sind dazu gar nicht in der Lage. Sie werden verdrängt werden.”

Selbst wenn man eine Pflicht zur Ausrichtung verneint, bleiben zahlreiche Themen, die Händlern schlaflose Nächte bereiten werden. Denn auch in den Rechtsgebieten, die nach einem Kauf relevant werden (z.B. Vertrags- und Gewährleistungsrecht) unterscheiden sich die Rechtsordnungen in Europa immer noch ganz erheblich.

Die Abstimmung im Europäischen Parlament ist für Anfang März terminiert. Bis dahin, so berichtet die FTD, wolle sich das Bundesministerium der Wirtschaft für eine Änderung stark machen.

Fazit

Wenn man eine Pflicht zur Ausrichtung des Shops verneint, ändert sich für den Händler zunächst wenig. Ihm wird die Möglichkeit genommen, einen Vertrag mit der Begründung der Herkunft des Verbrauchers abzulehnen. Eine neue Abmahnwelle wäre damit aber nicht zwangsläufig verbunden, zumal sich dann auch noch die Frage stellt, ob überhaupt deutsches Wettbewerbsrecht anwendbar wäre, wogegen das sog. Marktortprinzip spricht.

Derzeit ist die Regelung auch noch im Entwurfsstadium. Ob die Richtlinie tatsächlich so in Kraft treten wird, muss noch abgewartet werden. Auch wenn es mit Blick auf abweichende Gewährleistungsrechte im Nachgang internationaler Bestellungen unangenehm für Händler werden könnte, ist Panik wegen vermeintlich ruinöser Abmahnwellen derzeit nicht angebracht.

Besonders problematisch könnte es aber werden, wenn noch eine andere geplante Regelung in Kraft treten sollte. Nach Art. 10 Abs. 2a der geplanten Richtlinie, sollen Online-Händler dazu verpflichtet werden, auf der Startseite über evtl. bestehende Lieferbeschränkungen – auch hinsichtlich der Zahlungsmethoden – zu informieren.