Abmahnungen im Online-Handel sind häufig und ärgerlich für den Empfänger. Ist eine Abmahnung berechtigt, muss der Abgemahnte die Anwaltskosten des Abmahners zahlen. Aber was muss er zahlen, wenn nur drei von fünf abgemahnten Punkten berechtigt waren? Muss er überhaupt etwas zahlen?
Diese Frage beschäftigte das OLG Stuttgart.
Das OLG Stuttgart (Urteil v. 10.12.2009, Az: 2 U 51/09) hatte sich mit einer Abmahnung zu beschäftigen, in welcher mehrere Verstöße wegen einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung beanstandet wurden. Unter anderem mahnte der Kläger die Verwendung der 40-Euro-Klausel in der Widerrufsbelehrung ab, ohne dass diese separat in AGB vereinbart wird (wir berichteten).
Drei von fünf Rügen berechtigt
Aber das OLG hatte noch vier weitere Verstöße zu bewerten:
- Eine falsche Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist.
- Das Fehlen einer Belehrung, dass der Unternehmer Zahlungsverpflichtungen innerhalb von 30 Tagen erfüllen muss und dass die Frist für ihn mit dem Empfang des Widerrufs beginnt.
- Das Fehlen des Hinweises, dass Verbraucher für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung keinen (Wert-)Ersatz leisten müssen.
- Im Rahmen der Widerrufsbelehrung nicht darauf hinzuweisen, dass der Händler die Kosten der Rücksendung trägt.
Zu der 40-Euro-Klausel sah das Gericht die Punkt 1 und 2 als berechtigt an, die Punkte 3 und 4 nicht.
Kostentragung bei teilweise berechtigter Abmahnung
Das LG Stuttgart ging noch davon aus, dass der Abgemahnte die vollen Kosten aus einem Streitwert von 10.000 Euro, also 651,80 Euro zu zahlen hat. Dieser Auffassung folgte das OLG jedoch nicht.
Abmahnung von Verbänden
Zunächst führt das OLG aus, dass Verbände eine Kostenpauschale (derzeit ca. 200 Euro) geltend machen dürfen.
“Bei der Abmahnung ist eine Kostenpauschale eines Verbandes auch dann in voller Höhe zu erstatten, wenn die Abmahnung nur teilweise berechtigt war.”
Abmahnung durch Mitbewerber
Es schadet dem Abmahner an sich nicht, wenn er ein Verhalten rügt, welches sich nicht als Verstoß herausstellt. Wichtig ist, dass mit der Abmahnung überhaupt eine Wettbewerbshandlung gerügt wird, die wettbewerbsrechtlich zu beanstanden ist.
“Deshalb ist es auch unschädlich, wenn der Gläubiger mit einer von ihm vorgeschlagenen Unterwerfungserklärung mehr fordert, als ihm zusteht; denn es ist Sache des Schuldners, aufgrund der Abmahnung die zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr erforderliche Erklärung abzugeben.”
Erstattungsanspruch grundsätzlich gegeben
Weiter, so das Gericht, wird der Erstattungsanspruch auch dann ausgelöst, wenn die Abmahnung nur teilweise berechtigt ist. Das Gericht schränkt den Erstattungsanspruch aber ein:
“War eine anwaltliche Abmahnung mehrerer, verschiedener Handlungen aber nur partiell berechtigt, so besteht der Kostenerstattungsanspruch nur hinsichtlich des berechtigten Teils. Denn erfasst die Abmahnung etwa die tatsächlich begangene Wettbewerbshandlung nicht, so besteht kein Erstattungsanspruch. In den Fällen, in denen mit den Abmahnschreiben verschiedene Handlungen (etwa Werbeanzeigen unterschiedlichen Inhalts) beanstandet werden, sodass bezogen auf die Unterlassung unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen, kann das hinsichtlich der aufgewendeten Rechtsanwaltskosten problemlos dahin verstanden werden, dass lediglich nach Maßgabe der jeweiligen Gegenstandswerte die Kosten der Tätigkeit des Rechtsanwalts (anteilig) zu ersetzen sind.”
Keine Geschäftsführung ohne Auftrag
Das OLG Stuttgart stellt ausdrücklich fest, dass eine Erstattung von Abmahnkosten nicht mehr aus den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag hergeleitet werden kann. Das ist insoweit bemerkenswert, als dass die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag bereits mit Inkrafttreten des UWG im Jahr 2004 auf die Kosten der Abmahnung nicht mehr angewendet werden, die meisten Gerichte diesen Umstand jedoch ignorieren.
Das OLG Stuttgart entschied nun eindeutig:
“Mit der Regelung in § 12 Abs. 1 S. 2 UWG wurde zwar die Rechtsprechung nachvollzogen, die über die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag einen Aufwendungsersatz des Abmahnenden hergeleitet hat. Mit der Schaffung dieser Norm existiert aber nun ein eigenständiger und spezieller Anspruchstatbestand, der die allgemeinen Normen der Geschäftsführung ohne Auftrag verdrängt.
Danach gilt aber auch die spezialgesetzliche und insoweit herrschende Wertung, dass dem zu unrecht Abgemahnten im Regelfall – und davon abweichende Umstände sind vorliegend weder dargetan noch unter Beweis gestellt noch gar bewiesen – kein (Gegen-)Anspruch erwächst.
Es bleibt danach nur bei der Frage, wie von den geltend gemachten Abmahnkosten der Teil, bzgl. dessen die Abmahnung auch nur berechtigt war, abzuschichten ist.”
Teilung gemäß der Streitwerte
Das Gericht nahm pro Verstoß einen Streitwert von 2.500 Euro an. Da drei von fünf Rügen berechtigt waren, legte das Gericht fest, dass der Abgemahnte die Abmahnkosten aus einem Streitwert von 7.500 Euro zu zahlen hat, was insgesamt 555,60 Euro entspricht.
Revision ist zugelassen
Das OLG Stuttgart ließ die Revision zum BGH zu, damit abschließend geklärt werden kann, ob und wenn ja, wie genau die Aufteilung von Abmahnkosten im Falle teilweise berechtigter Abmahnungen vorzunehmen ist.
Fazit
Erhält man eine Abmahnung, sollte man diese dringend von einem Anwalt kontrollieren lassen, da es nicht selten ist, dass Unterlassungsforderungen zu weit gefasst sind. Die Folge kann dann sein, dass man sich verpflichtet, ein bestimmtes Geschäftsverhalten zu unterlassen, ohne dass dieses überhaupt wettbewerbswidrig ist. Damit würde man sich selbst in seiner unternehmerischen Freiheit beschränken. (mr)
Also mal im Ernst, ich sehe es schon wieder kommen. Ein Gericht entscheidet so, das Andere anders. Ich beobachte es immer mehr, dass sich Gerichte nicht einmal einig sind. Warum überhaupt beim ersten Feststellen eines Fehlers in den Geldbeutel greifen müssen? Warum nicht nur eine freundliche Mail, den Fehler abzustellen? Viele Shop’s machen dies ja nicht um Kunden zu schädigen, sondern viele Fehler entstehen aus Unwissenheit und auch auf unklarer Rechtssprechung. Wenn dann der Fehler nicht ausgebessert wurde, dann kann immer noch der rechtliche Schritt folgen. Ich glaube bei der Polizei nennt man das “Verhältnismäßigkeit der Mittel”, es kommt ja auch nicht zum Waffeneinsatz, wenn jemand bei Rot über die Strasse geht. Und eine Abmahnung von mehreren 1000 Euro für jemanden der mal im Monat 200 Euro mit seinem Shop macht, ist ein “Waffeneinsatz”. Somit ist der Verbraucher geschützt, der Shop Unternehmer durch einen Fehler nicht in den Ruin getrieben und jeder Glücklich. Wer kann sich schon einen Anwalt für jeden Artikel im Shop leisten (Bitte hier nicht falsch verstehen ) Aber dann verkaufen wir in Zukunft ein paar Socken für 500 Euro. Ist das dann im Sinne des Verbrauchers? Des weiteren würde Mitbewerbern, welche nur teuflische Gedanken haben auch etwas der Wind aus dem Segel genommen werden. Im Augenblick dient die Rechtssprechung nur einem, demjenigen, welcher mit Abmahnungen seine Brötchen verdient. Fast schon ein künstlicher Markt. Diese Art der Rechtssprechung ist der Todesstoß für all die kleinen Unternehmen…
@Tom
Die Fehler, welche hier abgemahnt wurden, sind nicht aufgrund unterschiedlicher Rechtssprechung entstanden. Der abgemahnte Händler nutzte zum Zeitpunkt der Abmahnung noch die alte Musterbelehrung.
Ich kann es verstehen, dass Abmahnungen ärgerlich (und auch teuer) sind, aber von dem Vorschlag eines ersten kostenlosen Hinweises halte ich offen gesagt nicht, da dieser Vorschlag unrealistisch ist. Auf welche Verstöße sollte diese kostenlose Variante denn beschränkt sein? Auf alle Abmahnungen? Mit einer Abmahnung werden schließlich nicht nur Fehler geahndet, die sich praktisch nicht auswirken (wie die 40-Euro-Problematik), sondern auch Fehler, welche den Wettbewerb massiv verzerren können. Oder glauben Sie, ein großer deutscher Baumarkt hätte seine “20% auf alles – außer Tiernahrung” Werbung gestoppt aufgrund eines lieben Briefes?
Viel wichtiger wäre, dass die vorhandenen Mittel des § 8 Abs. 4 UWG und des Strafrechts mehr Beachtung bei der Beurteilung von Abmahnungen finden.
Das sehe ich anders.
Wenn der Baumarkt auf diesen Brief nicht reagiert, hat er evtl. mit
rechtlichen Folgen zu rechnen.
Wenn er den Brief ignoriert muß er sich auch nicht wundern, aber die Chance etwas zu ändern hätte er gehabt.
Wenn ich eine Rechnung nicht bezahle, bekomme auch eine Mahnung, bevor der Gerichtvollzieher vor der Tür steht.
Ich Teile absolut die Meinung von Tom, denn nur so würde man den Abmahnsumpf austrocknen.
Aber warum sollte man das tun, wenn doch viele Anwälte davon profitieren?
@Martin Rätze: Meiner Meinung nach werden gerade gegenüber kleinen Händlern oftmals Abmahnungen in einfach gelagerten Angelegenheiten ausgesprochen, bei denen einerseits der Aufwand für den Anwahlt begrenzt ist und andererseits die möglicherweise entstehenden Vorteile des abgemahnten aus der Verletzung marginal sind. Letztlich liest kaum ein Kunde die AGB aufmerksam durch. Das kann man aus den Verweilzeiten auf diesen Seiten ableiten. Andererseits schätze ich einen Mehrumsatz durch eine leicht falsche Widerrufsbelehrung auf kleiner 1% ein. Somit wäre einfach zu prüfen, ob die Streitwerte hier korrekt angesetzt sind. Denn nach meinem Sprachverständnis ist der “Wert des Streits” der Betrag, der dem Abmahnenden durch die Rechteverletzung entgeht. Das kann dann bei dem Baumarkt-Beispiel extrem hoch sein, bei einem kleinen Socken-Händler aber auch mit 100 Euro noch zu hoch.
@Hans
Da gebe ich Ihnen völlig Recht! Die Wettbewerbswidrigkeit einzelner Verstoße bzw. deren Auswirkungen kann bei einigen Verstößen tatsächlich nicht gegeben sein. Und genau für diese Fälle sollten geringe Streitwerte angesetzt werden, wie es das OLG Düsseldorf schon mehrfach tat (wir berichteten). Und dafür gibt es (auch unter Geltung des neuen UWG) die Spürbarkeitsgrenze (früher: Bagatelle).
Die Einführung einer kostenlosen Erstabmahnung halte ich dennoch für falsch, da dies jedem (und gerade den schwarzen Schafen) die Möglichkeit eröffnet mit einer wettbewerbswidrigen Aktion so lange sehr gutes Geld zu verdienen, bis dieser Hinweis kommt. Das könnte massive Wettbewerbsverzerrungen nach sich ziehen. Und genau diese soll das Institut der Abmahnung gerade verhindern.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Freund von Abmahnungen. Aber es muss ein wirksames Mittel geben, für einen fairen Wettbewerbs zu sorgen. Und ein kostenloser Ersthinweis wäre dies in meinen Augen nicht.
Das Problem ist nur, dass ‘Bagatellverstöße’ wie ein fehlerhaftes Impressum immer noch ein Mittel zur Abmahnung sind. Wie bitte sollen fehlende oder fehlerhafte Impressumsinhalte für einen Wettbewerbsnachteil sorgen?
Wenn es diese Bagatellgrenze wirklich geben würde, würden mind. 80% aller Abmahnungen ausbleiben. Leider ist dem nicht so und jedes Gericht sieht einen Verstoss anders. Was für ein Gericht eine Bagatell ist, ist bei dem anderen Gericht ein grober Verstoß. Damit kommt man keinen Schritt gegen missbräuchliche Abmahnung weiter.
Es sei denn es gäbe eine geregelte ‘Spürbarkeitsgrenze’ die festgeschrieben ist und an die sich auch alle Gerichte halten.
Aber das werde ich wohl nicht mehr erleben.
Ein wirksames Mittel ist auch eine Abmahnung bei gewissen Werbemaßnahmen nicht. So nehme große Unternehmen diese gerne in Kauf weil sich die Aktion oft immer noch lohnt.
Es trifft in erster Linie die kleinen Shops.