Rote KarteSchon Anfang 2008 hat auch das LG Bonn über einen Fall des Rechtsmissbrauchs i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG entschieden. Anders als bei vergleichbaren Fällen hat das Gericht den Verdacht nicht auf Antrag des Beklagten, sondern von Amts wegen geprüft. In besonders scharfen Ton betont das LG Bonn seine Prüfungspflicht, aber auch die Beweispflicht der Klägerin bezüglich des Dringlichkeitserfordernisses des § 12 UWG.

Lesen Sie mehr über die gerichtliche Prüfungspflicht von Amtswegen bei Rechtsmissbrauchsverdacht.

In dem vom LG Bonn mit Urteil v. 03.01.2008 (12 O 157/07) entschiedenen Fall waren die Parteien Mitbewerber im Bereich des Online-Handels mit Autoersatzteilen. Die Klägerin hatte eine einstweilige Verfügung gegen den Beklagten wegen fehlerhafter AGB-Klauseln erwirkt. Nach dem Erlass der Verfügung stellte sich heraus, dass der Rechtsanwalt F der Klägerin eine Vielzahl von Anträgen auf Erlass von einstweiligen Verfügungen gegenüber zahlreichen, an unterschiedlichen Orten ansässigen Firmen gestellt hat, wobei im Wesentlichen gleichgelagerte Sachverhalte vorgetragen werden. So waren in einem innerhalb zwei Wochen allein beim LG Bonn nahezu ein Dutzend Verfahren anhängig gemacht worden.

Darin sah die erkennende Kammer einen hinreichenden Anlass zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs nach § 8 Abs. 4 UWG und beschloss die beantragten einstweiligen Verfügungen nicht ohne Anhörung der Gegenseite zu erlassen.

Der Antragsgegner braucht die Antragsbefugnis nicht zu erschüttern

Das LG Bonn teilt die Ansicht nicht, dass es dem Antragsgegner obliege, die für die Antragsbefugnis sprechende Vermutung zunächst zu erschüttern.

„Der Eingangssatz der anzuwenden Methodik, nämlich Prüfung von Amts wegen, ist vielmehr unabhängig von der Verteidigung der Verfügungsbeklagten durch das Gericht durchzuführen, schon weil hier Erkenntnisse vorliegen, die die Verfügungsbeklagten eben nicht haben, nämlich das Anhängigmachen zahlreicher Verfahren in kürzester Zeit.“

Damit widerspricht das Gericht einer alten Entscheidung des OLG Köln aus dem Jahre 1993. Der Auffassung des LG Bonn ist zuzustimmen, gerade wenn – wie hier – nur das Gericht Kenntnis von der Vielzahl der Verfahren haben kann und den Antragssteller im Vorfeld der Verhandlung auch noch auf Bedenken zur Rechtsmissbräuchlichkeit und Dringlichkeit hingewiesen hat, worauf dieser nicht reagierte.

Bei einer Vielzahl von Verfahren scheint der eigentliche Akteur der Rechtsanwalt zu sein

Darüber hinaus teilt das LG Bonn die Auffassung anderer Gerichte nicht, dass eine intensive Abmahntätigkeit noch nicht auf ein missbräuchliches Ausnutzen der Klagebefugnis „schließen“ lasse:

„Gerade die Vielzahl der Verfahren, die nur die „Spitze des Eisbergs“ darstellen, lässt doch wohl die Fragegestellung als berechtigt erscheinen, was einen mittelständischen Betrieb wie die Fa. L GmbH veranlasst haben mag, anstatt Motoren instand zusetzten die Erfüllung von Hinweispflichten und dergleichen in Internetauftritten von Wettbewerbern in einer Vielzahl von Verfahren überprüfen zu lassen und mit nicht unerheblichem Kostenrisiko zum Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Verfahren zu machen. Das ist gewiss nicht das Kerngeschäft der Fa. L, wohl aber das Kerngeschäft des Rechtsanwaltes F…“

Dieser könne nach Aufstellung einiger Satzbausteine in einer Vielzahl von Verfahren die Hoffnung haben, „üppige Einkünfte“ zu erzielen, an die vermutlich derjenige teilweise beteiligt sein wird, der hier seinen Namen als Wettbewerber hergebe.

„Ob das alles nur Vermutungen sind, ist im Strengbeweisverfahren im Hauptsacheverfahren zu klären, während im einstweiligen Verfügungsverfahren eine summarische Prüfung ausreichen muss um festzustellen, dass hinreichender Grund für die Annahme einer Missbrauchstatbestandes im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG vorliegt.“

Für die Annahme der Dringlichkeit ist das Verwendungsdatum ausschlaggebend

Der Antragstellerseite werde hierdurch keineswegs ein effizienter Rechtsschutz verweigert.

„Trotz Hinweises auf § 12 UWG hat die Antragstellerseite es nicht einmal für veranlasst erachtet, auch nur zu eruieren, seit wann die beanstandeten Klauseln auf der Website der Antragsgegnerseite verwendet werden. Eine vorläufige Hinnahme bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren – und da eben auch Klärung, wer denn wirklich Klärung haben will – ist keineswegs Rechtsschutzverweigerung, sondern durchaus angebracht.“

Handelt es sich um Klauseln in Katalogen gehen, die seit Jahren gebraucht werden, oder Zeitungsanzeigen, ist es unwahrscheinlich im einstweiligen Verfügungsverfahren unter Berufung auf die Dringlichkeitsvermutung überprüfen zu lassen mit der Erklärung, erst jetzt hiervon Kenntnis erlangt zu haben, so das LG Bonn.

„Anders als bei den Webseiten von Internetauftritten ist bei Zeitungsanzeigen und Katalogen in aller Regel unschwer feststellbar, seit wann die beanstandeten Klauseln beziehungsweise Aussagen verwendet werden. Anders ist es bei dem seit einigen Jahren immer gewichtigeren Medium Internet. Wann in den vorliegenden Verfahren die beanstandeten Klauseln erstmals gebraucht wurden, ist völlig ungeklärt. Das mag schon seit Jahren so sein. Warum also auch hier die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG eingreifen soll, die der Gesetzgeber zu Zeiten konstatiert hat, als es ein Internet noch nicht gab oder doch jedenfalls noch nicht gebräuchlich war, ist unerfindlich und zumindest dann nicht sachgerecht, wenn parallel hierzu Grund für die Annahme besteht, dass ein missbräuchliches Vorgehen im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG vorliegt, was hier der Fall ist.“

Vorbild für andere Gerichte

Das LG Bonn hat hier in bemerkenswerter Weise von der Möglichkeit des § 8 Abs. 4 UWG Gebrauch gemacht.  Diese Entscheidung sollte Vorbild für andere Gerichte sein. Da von Seiten des Gesetzgebers keine Maßnahmen zur Einschränkung des missbräuchlichen Abmahnwesens zu erwarten sind, müssen die vorhandenen Regeln öfter angewendet werden.

Der Antragssteller wird dabei keineswegs in seinen Rechten beschränkt. Im vorliegenden Fall muss man bedenken, dass das Gericht vor der Entscheidung Hinweise gegeben hat, die der Antragssteller ignorierte. Er kann vielmehr versuchen, in einem Hauptsacheverfahren einen Unterlassungsanpruch geltend zu machen. Hat ein Wettbewerber wirklich aus dem Motiv des Schutzes des Wettbewerbs hinaus gehandelt, dürfte er auch gewillt sein, ein solches Verfahren anzustrengen. Tut er das nicht, bestätigt er letztlich nur die Vermutung der Rechtsmissbräuchlichkeit. (mr)

Update: Spiegel greift Bericht aus shopbetreiber-blog.de auf

Spiegel Online

Wir freuen uns, dass auch der Spiegel in seiner Online-Ausgabe vom 11.12.09 über das Urteil und unseren Bericht schreibt:

Weil ein Online-Anbieter von Autoersatzteilen reihenweise Konkurrenten wegen fehlerhafter Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGBs) auf ihren Onlineshops abmahnen ließ, schritt das Landgericht Bonn ein und prüfte den Verdacht auf Rechtsmissbrauch.

Allein am LG Bonn wurden innerhalb von zwei Wochen nahezu ein Dutzend jener Verfahren anhängig gemacht, schreibt das Shopbetreiber-Blog des Zertifizierungsdienstleisters Trusted Shops. Anlass genug zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs – der Fall muss überprüft werden: In seinem Urteil begründete das LG Bonn seine Prüfungspflicht mit scharfen Worten, kritisiert den Abmahner, vor allem aber den Rechtsanwalt.

Der Shopbetreiber-Blogger Martin Rätze sieht darin “einen bemerkenswerten Gebrauch” der Möglichkeiten des §8 Abs. 4 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb: “Diese Entscheidung sollte Vorbild für andere Gerichte sein. Da von Seiten des Gesetzgebers keine Maßnahmen zur Einschränkung des missbräuchlichen Abmahnwesens zu erwarten sind, müssen die vorhandenen Regeln öfter angewendet werden.”

Siehe auch hier im Blog:

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