Exklusive Produkte: der Königsweg gegen das Transparenz-Dilemma

Exklusive Produkte differenzieren - zum Erfolg muss der Unterschied für den Kunden aber positive Relevanz besitzen. Die Frage, ob und wie man als stationärer Händler oder Onlinehändler gegen Amazon bestehen kann, bewegt viele. Aber ist dies wirklich des Pudels Kern?

Es geht nicht darum, sich dem Behemoth Amazon mit Haut und Haaren in den Rachen zu werfen. Ganz im Gegenteil. Es geht darum, um so entschiedener ein differenzierendes Konzept zu entwickeln, das neben und in Verbindung mit Amazon bestehen kann. Es geht darum, außerhalb und innerhalb des Amazon-Ökosystems mehr zu sein als ein „Online-Kistenschieber“.

Nur: wie geht das? Wie viele Online- und Offline-Händler sind mehr als „Kistenschieber“? Und was hilft dem Händler der Ratschlag, „exklusive Produkte“ zu führen oder „eine Marke zu werden“?

Es gibt Beispiele für Händler, die ohne massives Venture Capital Kaschmirpullover aus Nepal importieren und erfolgreich online und in Stores verkaufen. Es hat solche Konzepte immer gegeben, wie die Story der Peter Hahn, Lands‘ End und Co. belegt.

Dennoch muss man die Binse „Exklusivität schützt vor Vergleichbarkeit“ dekonstruieren. Die Wortverwendung im angstgetriebenen Kontext von Amazon & Internet zielt eigentlich nicht auf den deutschen Begriff „exklusiv“ (abgrenzend, Nische, gehoben), sondern auf den englischen Begriff „proprietary“. Sehr schön hat der Bonobos-Gründer Andy Dunn das auf den Punkt gebracht:

"I observe four strategies in the marketplace to deal with Amazon’s incumbency: proprietary pricing, proprietary selection, proprietary experience, and proprietary merchandise."

Diese Strategien sind tatsächlich der Königsweg: Etwas für diejenigen, die bereit und finanziell wie personell in der Lage sind, Kriege zu führen. Für einen normal kalkulierenden Händler wird es schwer, exklusive Preise als Differenzierungsmerkmal zu bieten. Dafür braucht man eine darauf optimierte Organisation, Prozesse, Systeme, Marketing – und eben auch ein hohes Anfangs-Invest.

  • Eine exklusive Auswahl ist klassisch die Domäne der Spezialversender gewesen. Da „Domain-Age“ auch in Internet-Zeiten ein Wert ist, haben Sie eine gute SEO-Ausgangslage, und je authentischer das Konzept, um so eher werden sie die Zielgruppe binden. Der Erfolg von Skatedeluxe in einem vorher von Titus stark besetzten Segment zeigt, dass das möglich ist. Beide zusammen zeigen, was „Seele“ ist und warum Amazon mit perfekten Prozessen dagegen schwer ankommt.
  • Über exklusive Produkte könnte man viel schreiben. Exklusive Lizenzen, Eigenmarken, eigene Fertigung: das alles ist exklusiv, aber es hilft nur dann, wenn die Produkte eine relevante (!) Differenzierung (!) erzielen. Ein gelbes Poloshirt ist ein gelbes Poloshirt, und Eigenmarke hin oder her – ich gehe damit unter, wenn ich die 750. Eigenmarke vorstelle. Wer dem Händler „exklusive Produkte“ als Ansatz rät, muss ihm im zweiten Satz eine gute Bank empfehlen, die ihm mehrere Jahre Zeit für den Aufbau eines „footprint“ gibt. Mir ist bewußt, dass es im "Neuheiten-Versand" Geschäftsmodelle gibt, die auf exklusive Produkte setzen. Siehe ProIdee, siehe Eurotops, siehe Discovery, siehe worklifepresents, siehe Donkey Products. Man muss sich aber die Unternehmen genau ansehen, um zu verstehen, dass hier sehr spezielle Konstruktionen existieren, um Reichweite und Skalierung zu erzielen, die das Geschäft in die Rentabilität führen können.
  • Bleibt das exklusive Erlebnis: Das steht für mich im Zusammenhang mit der exklusiven Auswahl. „Proprietary Experience“ braucht „proprietary data“ und „proprietary processes“. Amazon macht in der Nische einen miserablen Job. Keiner kann bei Amazon ein Skateboard aus Deck, Achsen, Rollen etc. zusammenstellen. Bei Amazon kann man nicht Taschen kaufen wie beim taschenkaufhaus.de., Müsli oder Schokolade zusammenstellen wie bei mymuesli oder chocri, die für den eigenen Fuß richtigen Sportschuhe kaufen wie bei runners-point.de. Mit allen seinen Milliarden bräuchte Amazon nur einmal einatmen, und könnte solche Prozesse bauen. Aber derzeit arbeitet sich Amazon lieber am Modemarkt ab, denn dort steht der mögliche Umsatz in einem sinnvollen Verhältnis zu den nötigen Prozessänderungen (Printwerbung, andere Shopgestaltung etc.). Die Kehrseite der Medaille: der Aufwand ist tatsächlich hoch, so dass nur ein Bruchteil der Händler diesen Weg gehen könnte.

Wenn ich unter diese Ausprägungen von Exklusivität einen Strich ziehe, dann ist klar: das ist eine Herausforderung für alle Händler, aber leistbar nur von wenigen. Und das gilt genau so auf der Fläche. Gestern bei Tengelmann e-Day hat der britische Store-Forscher Matthew Brown beeindruckende Beispiele für eine „Anti-Big-Revolution“ gezeigt – aber leistbar nur von denen, die sich mittlerweile alle zwei Jahre ein neues Store-Layout leisten können. Aktuell geht der Trend zur Abbildung des Handwerksprozesses, weil nach drei bis fünf Jahren der „Masstige“-Ansatz (Luxus-Store für Low-Price-Ware) dazu geführt hat, dass Blingbling keinen Unterschied mehr macht.

E-Commerce bleibt also „doof“, weil es eben kein billiger zusätzlicher Absatzkanal mit geringeren Kosten ist. Multichannel und Exklusivität erhöhen zunächst die Kosten für die Händler. Sie erfordern Investitionen bei aktuell fragilem oder schon sinkendem Umsatz im „Kerngeschäft“. Nicht zu vergessen, dass die Händler generell in einer gefährlichen Abhängigkeit von Google einerseits stehen und die Marken selbst alternative Vertriebswege direkt zum Kunden aufbauen.

Deshalb halte ich meine Frage aufrecht: Wie können wir als Händler in der Amazon-Ökonomie leben? Gibt es eine realistische Chance, die aktuelle Dynamik des Marktplatz-Modells zu nutzen, um die Zeit für den Aufbau eines unabhängig funktionierenden Shops zu erkaufen? Darüber sollten wir sprechen, denn Exklusivität und Amazon kann auch zusammen funktionieren, wie einige sehr erfolgreiche Merchants zeigen.

Über den Autor:

Martin Groß-Albenhausen ist Geschäftsführer der BVH Service GmbH in Berlin und betreut im Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH) die Themen e-Commerce, Social Media und Marketing. Zuvor war er 13 Jahre Chefredakteur und Herausgeber des Branchendienstes "Versandhausberater".

17.03.14
Martin Groß-Albenhausen

Martin Groß-Albenhausen