Wohin geht bzw. muss die Reise in der Online-Shop-Logistik gehen, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein? Im Fokus steht dabei die Sortimentsführung und Datenexellence und weniger Same-Day-Delivery und ähnliche Strategien.

Drei Kurzmeldungen der vergangenen Wochen geben mir zu denken:

  • Laut unseren aktuellen Quartalszahlen, haben im zweiten Quartal knapp 10 Prozent der Befragten bei Unternehmen online bestellt, die aus dem stationären Handel kommen. Bei Internet Pureplayern abseits der Online-Marketplaces waren es gut 13 Prozent – ein Vorsprung von weniger als 5 Prozent.
  • Der Paketdienst DPD hat sich an unserem Preferred Business Partner Tiramizoo (Same Day Delivery) beteiligt.
  • MyTaxi will künftig den Nutzern die Möglichkeit geben, Warenlieferungen zum Kunden zu bringen.

Über die Perspektiven der Same Day-Delivery habe ich gar nicht weiter räsoniert: das werden die Kunden entscheiden. Sicher wird es einen Teil geben, die Ware taggleich haben wollen, und dafür Mehrkosten in Kauf nehmen. Allerdings ist das reine Angebot der SDD keine Lösung für die zentralen Probleme, die stationäre Händler mit dem Web haben; speziell hinsichtlich der Sortimentsführung und Daten-Exzellenz. Beide sind nun einmal elementar, um ein substantielles Online-Geschäft zu entwickeln.

Nun stelle ich mir die Frage:

  • Wenn einerseits die gut skalierenden Onlineshops hoch effiziente zentralisierte Logistik nutzen, die taggleiche Lieferung nicht unbedingt ermöglicht,
  • wenn andererseits die stationären Händler nur in Ausnahmefällen rentable Onlineshops skalieren können (jenseits sprungfixer Kostenpositionen),
  • wenn zudem ohnehin zu viel Ware im Markt ist und die Bevorratungszwänge einerseits (Relevanz sinkt mit mangelnder Lieferfähigkeit) und die gewollte Verknappung durch die Marken andererseits den Handel berühren,
  • und wenn schließlich für viele Onlinehändler angesichts der Preistransparenz reine Handelsware nicht mehr genügt, Eigenmarken aber erst eine breitere Nachfrage erreichen müssen, um in den Suchmaschinen wiederum gut zu funktionieren,
  • ist es dann nicht an der Zeit, mal über „distribuierte“ Logistik nachzudenken?

Einen solchen Ansatz hat exemplarisch die Beratung Dr. Thomas und Partner mit dem Gaxsys-System entwickelt. Das Modell an sich ist schon ein paar Jahre im Markt und hat einige Nutzer; allerdings fokussiert es momentan stark auf Marken und stationäre Händler. Der Onlinehandel ist nicht im Fokus.

Gaxsys lässt statt Ware Daten reisen: Marken, die per se eine hohe Online-Sichtbarkeit haben, lassen die Ware, die im Onlineshop der Marke selbst gekauft wurde, von den verbundenen Händlern liefern. Dahinter liegt ein Bidding-System, das zunächst den am nächsten gelegenen angeschlossenen Händlern den Auftrag zu einem bestimmten Preis anbietet. Wenn der Händler die Ware vorrätig hat und mit den Konditionen einverstanden ist, verkauft er die Ware sozusagen der Marke zurück und erhält gleichzeitig den Auftrag.

Die Kundenbeziehung bleibt zwischen Marke und Endverbraucher, die Abwicklung inklusive Retouren aber erfolgt über den stationären Händler, der somit den Umsatz bewahrt. Das System hat einige Haken und Ösen, aber es ist ein schlüssiger Ansatz für Marken und stationäre Händler.

Was aber ist mit dem Onlinehandel? Ein großer Teil des Traffics geht ja nicht direkt zu den Marken oder direkt zu den stationären Händlern, sondern in die Shops von E-Commerce-Playern. Wie könnte eine Lösung für sie aussehen?

Im Prinzip gibt es keinen Grund, dass der Onlinehändler nicht selbst in ähnlicher Weise als Großhändler die stationären Kollegen kooperativ nutzen kann. Sicher, das ist eine Frage der Marge. Aber für den Onlinehändler steht auf dem Spiel, Relevanz immer dann zu verlieren, wenn lokale oder zeitkritische Lieferungen für den Kunden wichtig werden. Eigenmarken wiederum werden in der Fläche präsent und ziehen sukzessive eine eigene Nachfrage. Umgekehrt können die stationären Händler bestimmte online relevante Marken beziehen und obendrein – was „normale“ Großhändler nicht liefern – auch Kunden darüber generieren. Für die lokale Optimierung erhalten sie vom Onliner (weil es dessen Kerngeschäft ist) für das Web optimierte Produktdaten.

Im Ansatz bringen Portale wie KeenOn von Otto schon solche Funktionalitäten; und auch der inzwischen eingestellte „Brand Marketplace“ zitra.com hätte sich dahin entwickeln können. Damit das Konzept fliegt, müssen die Onlinehändler aber mehr bieten als Restware: Die Chance liegt darin, den stationären Kollegen kurzfristige aktuelle Sortimentsoptimierung aufgrund der Online-Nachfragetrends zu ermöglichen. Es geht darum, gemeinsam das Internet in die stationären Prozesse zu bringen. Eine Kooperationsleistung, die sonst nur die wenigen echten Multichannel-Händler erreichen können – und auch nur dann, wenn sie online nicht “best effort”, sondern”best in class” sind. Mal ehrlich: wie viele fallen einem da ein?

“Komm mal wieder runter, Grobi, das kann doch gar nicht funktionieren. Der Onliner verdient immer mehr an der Ware, die er selbst verkauft, und wird sich doch keine Konkurrenz heranzüchten. Außerdem wird er in der eigenen Logistik auf Nachfrage disponieren, solange er keinen Einblick in die ggf. bei Partnern verfügbaren Bestände hat. Was bringen überhaupt viele verteilte Lagerorte, wenn dadurch Sendungsteilungen verursacht werden? Und was die Marken dazu sagen, steht noch auf einem ganz anderen Blatt…”

Alles richtig. Aber dagegen steht für mich, dass immer mehr Nachfrage primär ins Web verlagert wird und dort immer öfter – inzwischen in bald jedem zweiten Fall! – dem dominanten Online-Marktplatz anheim fällt. Konkurrierende Ware, entsprechende Disposition und Sendungsteilungen sind dort Alltag – und der Kunde akzeptiert es. Ob die Marken wirklich den Marketplaces auf ewig gram bleiben, bezweifele ich stark. Dass der Verzicht auf die Preisparität an der Größe des Marktplatzes etwas ändern wird, ist angesichts der bereits bestehenden Abhängigkeiten kaum vorstellbar. Und dass der Konsument vermeintliche Beschäftigungsskandale mit Abwanderung gestraft hätte, geht aus unseren Zahlen eben nicht hervor.

Können wir es uns da wirklich noch leisten, alte Prozesse zu verteidigen?

Über den Autor:

Martin Groß-Albenhausen ist Geschäftsführer der BVH Service GmbH in Berlin und betreut im Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH) die Themen e-Commerce, Social Media und Marketing. Zuvor war er 13 Jahre Chefredakteur und Herausgeber des Branchendienstes “Versandhausberater”.

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