Mir geht ein Satz nicht aus dem Sinn, der Bill Gates zugeschrieben wird. „Wir brauchen keine Banken, wir brauchen Banking.“ Der Satz ist schon über 15 Jahre alt. Seitdem hat sich das Online-Banking durchgesetzt, und trotz aller Sorgen beim Thema Geld und Internet sehe ich keinen Trend zurück zur  Filialbank.

Wir brauchen keine Reisebüros, wir nutzen Buchungsservices. Wir brauchen keine Plattenläden, wir laden Files auf Musik-Plattformen. Wir brauchen keine Konzertkassen, wir kaufen Tickets bei Eventim & Co. Wir lesen keine Zeitungen, wir saugen Qualitäts-Informationen. Wir brauchen keine Universitäten und Hörsäle, wir lernen und studieren, dezentral, nach unseren zeitlichen und räumlichen Möglichkeiten.

Brauchen wir noch Läden? Und: Brauchen wir noch Onlineshops?

Der Handel bzw. der Händler zieht seine Daseinsberechtigung nicht aus dem Geschäft an der Hauptstraße, sondern aus den Leistungen, die er im Distributionssystem zwischen Hersteller und Abnehmer erbringt. Das ist Basiswissen der BWL. Die Spanne, aus der der Händler seinen Gewinn zieht, ergibt sich dabei aus einem Mix von vermutlich einigen hundert Mikrofunktionen bzw. -Leistungen, die er für Hersteller und Kunden erbringt. Sie rechtfertigen einerseits die Marge, andererseits den mehr oder weniger elastischen VK, den er erzielen kann. Ende der Vorlesung.

Es gibt eine sehr aussagekräftige Matrix für die Felder, in denen der Händler sich auszeichnen konnte – und die durch das Internet besser und vor allem auch neben und ohne ihn erbracht werden können. Sie findet sich in einem der Standardwerke für Handelsbetriebslehre.

In der Vergangenheit bewegte sich die „Macht“ immer zwischen Herstellern und Händlern, mal zu Gunsten des einen, mal des anderen. Solange der Händler die erste und wichtigste und zuweilen einzige Informations- und Beschaffungsquelle für den Kunden war, hatte er die Gatekeeper-Funktion. Je mehr vergleichbare Güter es gab, um so mehr konnte der Händler für den Platz im Regal verlangen.

Dass der Handel elementare Funktionen im Distributionssystem einnimmt – etwa durch die Bündelung von Warenmengen, um wieder Platz und Kapital beim Hersteller zu schaffen – steht außer Frage. Nur: diese Funktion ist lediglich ein Element für die Margenbildung. Was Sorge bereiten muss ist, wie viele Bausteine des Handelsbetriebes mittlerweile anderweitig erbracht werden.

Dabei werden Leistungen entbündelt wie nie zuvor. Dies betrifft eigentlich jeden der „Ströme“ und in der Matrix fast jeden raum-zeitlichen Aspekt des Handels. Nicht nur aus der Sicht der Hersteller, auch aus der der Konsumenten, die ohnehin heute viel Produkt-orientierter einkaufen.

  • Der Mehrwert der Beratung sinkt mit dem Vorwissen der Kunden.
  • Die Markenwahrnehmung erfolgt auf vielen Kanälen – das haben zuerst die Medien lernen müssen und machtlos zugesehen, wie Budgets umgeschichtet wurden. Die Karte „Auflage“ sticht nicht mehr wie früher.
  • Angeschrieben wird vielleicht noch, aber eher beim Payment-Anbieter als beim Händler.
  • Die Sortimentsbildung übernehmen häufig engagierte Redakteure oder Nutzer in Blogs oder Plattformen allein auf Basis der Produktdaten, und das vielfältiger und personalisierter als die flächenmäßig begrenzten Einzelhändler. Es sei denn, sie sortimentieren online anders oder haben die unbestrittene Selektions-Kompetenz. Aber wer hat die heute noch unangefochten?

Damit wird der „Händler“ zukünftig ein prekärer Agent im Distributionssystem bleiben. Wenn die Margen erodieren und gleichzeitig die Erwartung an Service wächst, bleiben nur bessere Prozesse und Skaleneffekte. Margenerhöhung durch mehr Effizienz verbunden mit Wachstum durch Verdrängung.

Über den Autor:

Martin Groß-Albenhausen ist Geschäftsführer der BVH Service GmbH in Berlin und betreut im Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH) die Themen e-Commerce, Social Media und Marketing. Zuvor war er 13 Jahre Chefredakteur und Herausgeber des Branchendienstes “Versandhausberater”.

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