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In den Schuhen des Kunden laufen: Kleine Dinge statt großer Kampagnen

Durch Serviceleistungen können Shops mit hoher Kapitalisierung und großem IT-Budget dem kleinen und mittlerem Händler die Differenzierung streitig machen. Google Shopping Express zeigt, dass “Same Day Delivery” nur zeitweilig von Vorteil ist. Doch was, wenn konkurrierende Unternehmen alle an diese Plattform angeschlossen sind?

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Der USP wird zur allgemeinen Erwartungshaltung. Der Einkauf von Bleistiften auf Amazon ist kein wirkliches Erlebnis, die Suche und Filtermöglichkeit mäßig, die Produktdatenbasis beschränkt. Die Frage ist daher, wie klein ein Markt sein muss, um den Aufwand für ein Großunternehmen nicht mehr zu lohnen. Da wir davon ausgehen müssen, dass Vorsprünge in der IT dahinschmelzen und “Aufwand” relativ ist: Werden die Nischen am Ende so klein, dass sich der Aufwand auch für den kleinen Händler nicht mehr lohnt? Wenn das so ist, welche Perspektive hat der Facheinzelhandel noch?

Während Produktdaten noch relativ leicht zu standardisieren sind und daher der Vorsprung schneller schmilzt, ist dies bei Prozessen nicht der Fall. Reifen sind standardisierte Produkte und können bestens über Amazon verkauft werden. Ein Prozess, über den Werkstätten auf der Plattform verknüpft werden, ist alles andere als trivial und hat den Erfolg der Delticom AG begründet. Aktuell wird es spannend zu sehen, welchen Mehr-Nutzen das Project A-Projekt Tirendo dem gegenüberstellen wird.

Am Ende können das Kleinigkeiten sein, die aus dem Verständnis für die Nutzensituationen des Kunden heraus entstehen. Hier stehen die großen Plattformen vor höheren Hürden. Category Management ist ein Aspekt der Web-Exzellenz. Dem steht die Customer Excellence gegenüber.

Kleines Beispiel. Ich nutze seit einigen Tagen eine App zur Planung von Fahrrad-Touren. Es gibt etliche solcher Apps. Warum überzeugt mich Komoot? Die Funktionalitäten gibt es bei anderen vermutlich auch, die Tourenvorschläge haben ihre Grenzen wie bei allen.

Aber ein Blogeintrag hat mich begeistert, weil er zeigt, dass die Entwickler genau verstehen, wo der Spaß an einer App endet:

Auch wenn du mal nicht mit dem Internet verbunden bist, kannst du deinen Touren weiter folgen ohne die Offline-Karten geladen zu haben. Die clevere App merkt sich alle Kartenausschnitte, die du schonmal geladen hast. Um sicher zu gehen, dass du während der Tour das nötige Kartenmaterial hast, schaust du dir vorher, mit Internetverbindung, die gesamte Tour auf dem iPhone oder deinem Android-Telefon an. Und zwar in allen Zoomstufen, die du auch später brauchst. Alle Touren, Kartenausschnitte, POIs und Fotos, die du einmal angesehen hast, werden so automatisch gespeichert.

Karten herunterladen und den kleinen Speicher des Smartphones vollstopfen? Unnötig. Teure Daten-Roaming-Gebühren im Ausland? Nie wieder – die Tour plane ich ohnehin im Vorfeld, logge mich also im Hotel-WLAN ein und gehe oder fahre die Route danach einfach ab.

Verzichtet das Unternehmen dadurch auf Geld? Keineswegs, denn um die Tour in der Region zu planen, muss ich die Region samt aller möglichen Touren kostenpflichtig freischalten. Damit kann ich zwar die Karten auch komplett laden, aber dies ist eben nicht nötig.

Es ist ein kleiner Vorteil, aber er zeigt, dass der Anbieter quasi in die Pedalen seiner Kunden tritt.

Ob man im Laden berät oder im Internet ein Handelsgeschäft aufbaut: Die Lösung solcher kleiner Kundenprobleme schafft Bindung und hilft bei der Entwicklung von Produkten und Services, die nicht einfach zu kopieren sind.

Über den Autor:

Martin Groß-Albenhausen ist Geschäftsführer der BVH Service GmbH in Berlin und betreut im Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH) die Themen e-Commerce, Social Media und Marketing. Zuvor war er 13 Jahre Chefredakteur und Herausgeber des Branchendienstes “Versandhausberater”.