Werden Online-Shops von Mitbewerbern abgemahnt, steht diesen der sog. “fliegende Gerichtsstand” zur Verfügung. Steht auf der Abmahnerseite beispielsweise ein “Wettbewerbsverband” oder “Verbraucherschutz-Verein”, gilt diese besondere Regelung über den Gerichtsstand nur in Ausnahmefällen. Dennoch rufen einige dieser Institutionen regelmäßig und gezielt die örtlich unzuständigen Gerichte an – was einen Rechtsmissbrauch darstellen kann.

Lesen Sie mehr dazu in einem Gastbeitrag von RA Dr. Kai Zapfe.

Neben den betroffenen Mitbewerbern können Wettbewerbsverstösse nach den Vorschriften des UWG auch durch “rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen”, „qualifizierte Einrichtungen“ – früher „Verbraucherverbände“ genannt – sowie Industrie-und Handelskammern bzw. Handwerkskammern vor Gericht geltend gemacht werden.

Diesen Institutionen wurde seitens des Gesetzgebers die Klagebefugnis verliehen, weil u.a. die Bekämpfung unlauterer geschäftlicher Handlungen auch im Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb liegt.

Diese Aufgabe wird durch die Vielzahl der Vereine und qualifizierten Einrichtungen auch seriös wahrgenommen.

Schwarze Schafe

Leider gibt es jedoch auch hier „schwarze Schafe“, die gemeinhin als „Abmahnvereine“ bekannt sind und die Wettbewerbsverstöße nicht etwa zur Wahrung des lauteren Wettbewerbs verfolgen, sondern einzig und allein zur Mitgliedergenerierung oder aus Kostenerzielungsinteressen.

So ziemlich jedes bekanntere Unternehmen, das einen erfolgreichen Onlineshop betreibt, dürfte mit einem solcher „schwarzen Schafe“ schon einmal in Berührung gekommen sein.

Vorgehensweise

Das Muster des Vorgehens derartiger „Abmahnvereine“ ist dabei oftmals das gleiche:

Es werden geschäftliche Handlungen abgemahnt, deren Prüfung der Wettbewerbsgemäßheit keine zeitintensive und schwierige Auseinandersetzung mit der Rechtslage erfordert.

Vielmehr werden wettbewerbsrechtliche Standardfälle verfolgt, die bestenfalls kurz zuvor höchstrichterlich entschieden wurden und bei denen sich die „Abmahnvereine“ massenhaft auf die Gewerbetreibenden stürzen, denen diese Rechtsprechung bisher nicht bekannt geworden ist.

Beispielhaft genannt seien hier Verstöße gegen die Impressumsangabe sowie die Preisangabenverordnung, hier insbesondere die Grundpreisangabe.

Wenngleich in der Regel tatsächlich ein Wettbewerbsverstoß vorliegt, erfolgt dessen Geltendmachung durch die „Abmahnvereine“ jedoch oftmals rechtsmissbräuchlich.

Kein fliegender Gerichtsstand für Abmahnvereine

Einen Fall des Rechtsmissbrauchs stellt dabei die Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch die „Abmahnvereine“ unter Ausnutzung des so genannten „fliegenden Gerichtsstands“ dar:

Gerade im Zeitalter des Onlinehandels hat das Klagen im fliegenden Gerichtsstand eine besondere Bedeutung erlangt.

Fliegender Gerichtsstand bedeutet hierbei, dass die Klage nicht nur am Sitz des Wettbewerbsverletzers, sondern auch am so genannten Begehungsort erhoben werden kann. Da eine Internetseite, die eine Wettbewerbsverletzung beinhaltet, deutschlandweit abrufbar ist, ist Begehungsort demnach das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, so dass an sich eine Zuständigkeit sämtlicher deutscher erstinstanzlicher Wettbewerbsgerichte gegeben ist.

Der Verletzte kann sich demnach aussuchen, welches deutsche Wettbewerbsgericht er bei einer Wettbewerbsverletzung im Internet anruft.

Demzufolge ist in letzter Zeit vermehrt zu beobachten, dass „Abmahnvereine“ Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bzw. Klagen unter Berufung auf den fliegenden Gerichtsstand bei dem Wettbewerbsgericht ihres eigenen Standorts stellen bzw. einreichen. Dies passiert derart, dass beispielsweise der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht am Sitz des vermeintlichen Wettbewerbsverletzers in Berlin beim LG Berlin, sondern am Sitz des „Abmahnvereins“ beim LG Braunschweig gestellt wird.

Wenngleich den durch die Wettbewerbsverletzung betroffenen Mitbewerbern die Auswahl des fliegenden Gerichtsstandes in den Grenzen des lauteren Vorgehens offen steht, ist es dann rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG, wenn eine der vorgenannten Institutionen systematisch Klagen im fliegenden Gerichtsstand, hierbei vorzugsweise am eigenen Standort, erhebt, obwohl der Beklagte im Inland eine gewerbliche oder selbstständige berufliche Niederlassung hat, an der er zu verklagen ist (LG Arnsberg, Urt. v. 22.10.1992, 8 O 48/92).

Denn § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG eröffnet den sog. qualifizierten Einrichtungen den fliegenden Gerichtsstand ausdrücklich nur dann, wenn der Beklagte im Inland weder eine gewerbliche oder selbständige berufliche Niederlassung noch einen Wohnsitz hat. Andernfalls ist die Klage gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 UWG am Sitz des Beklagten einzureichen.

Obwohl die Gerichte ihre eigene örtliche Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen haben, kommt es leider immer wieder vor, dass die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG, die den „Abmahnvereinen“ das Klagen im fliegenden Gerichtsstand versagt, durch die Gerichte übersehen und trotz örtlicher Unzuständigkeit die beantragte einstweilige Verfügung zunächst erlassen wird.

Einstweilige Verfügung

Abgesehen davon, dass damit ein unzuständiges Gericht eine einstweilige Verfügung erlassen hat, ist dies insofern für den abgemahnten Gewerbetreibenden misslich, als dass er eine Schutzschrift, die den Erlass einer einstweiligen Verfügung verhindern bzw. jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor Erlass einer einstweiligen Verfügung bezwecken soll, nicht bei dem örtlich unzuständigen Wettbewerbsgericht, sondern im Falle der Abmahnung durch einen „Abmahnverein“ an dem für seinen Sitz einzig und allein zuständigen Landgericht hinterlegt hat.

Damit ist eine einstweilige Verfügung in der Welt, die – um Ordnungsmittel zu verhindern – zunächst zu beachten ist.

Soweit ersichtlich, ist bisher noch nicht höchstrichterlich entschieden worden, welche Folgen es hat, wenn erst nach Erlass der einstweiligen Verfügung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens festgestellt wird, dass das die einstweilige Verfügung erlassende Gericht örtlich unzuständig ist.

Auswege aus der Situation

Nach einer Auffassung ist auf Antrag des Antragstellers/Klägers eine Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich zuständige Wettbewerbsgericht möglich, ohne dass zuvor der erlassene Verfügungsbeschluss aufzuheben ist.

Nach einer anderen Auffassung ist auf Antrag des Antragstellers/Klägers zwar eine Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich zuständige Landgericht möglich, jedoch zuvor der durch das unzuständige Gericht erlassene Beschluss durch das unzuständige Gericht selbst aufzuheben.

Wieder andere halten dagegen eine Verweisung an das örtlich zuständige Landgericht für gänzlich unzulässig und fordern, dass der Verfügungsbeschluss aufzuheben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen ist.

Während die erste Auffassung für den „Abmahnverein“ die vorteilhafteste ist, kommt die letzte Auffassung dem Abgemahnten zu Gute.

Richtig dürfte wohl die zweitgenannte Auffassung sein, wonach die einstweilige Verfügung vor Verweisung an das örtlich zuständige Wettbewerbsgericht aufzuheben ist. Würde nämlich dem „Abmahnverein“ die Verweisung an das örtlich zuständige Landgericht ohne vorherige Aufhebung der einstweiligen Verfügung zugestanden, entginge er der Zurückweisung des Antrags.

Diese Rechtswohltat zu seinen Gunsten darf sich aber nicht noch zusätzlich zu Lasten des Abgemahnten auswirken und dem „Abmahnverein“ gleichzeitig eine weitere Wohltat, nämlich das Bestehenbleiben des fehlerhaften Beschlusses, einbringen. Schließlich war es der „Abmahnverein“, der das örtlich unzuständige Gericht angegangen ist und der Abgemahnte hatte keine Gelegenheit, vor Erlass des Beschlusses auf die Unzuständigkeit hinzuweisen.

Die Entscheidung dieser Rechtsfrage kann an dieser Stelle jedoch offen bleiben, da jedenfalls nachfolgend beschriebenes Vorgehen gegen die „Abmahnvereine“ bisher von Erfolg gekrönt war:

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wird beantragt, die einstweilige Verfügung wegen örtlicher Unzuständigkeit aufzuheben und einen etwaigen Verweisungsantrag des „Abmahnvereins“ als unzulässig zurückzuweisen. Hierdurch wird der „Abmahnverein“ dem ersten Risiko ausgesetzt, dass sich das Gericht für eine der drei oben genannten Auffassungen entscheiden muss und hierbei der Auffassung folgt, die zu Lasten des „Abmahnvereins“ geht.

Darüber hinaus wird das örtlich unzuständige Wettbewerbsgericht aufgefordert, durch Sichtung des eigenen Prozessregisters von Amts wegen dem Tatsachenvortrag des „Abgemahnten“ nachzugehen, dass der „Abmahnverein“ zielgerichtet und planmäßig dieses örtlich unzuständige Wettbewerbsgericht anruft mit der Behauptung, es sei gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG im Rahmen des „fliegenden Gerichtsstands“ örtlich zuständig, obwohl der „Abmahnverein“ infolge § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG gehalten wäre, am jeweiligen Sitz der/des Abgemahnten den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen bzw. Klage zu erheben.

Hierdurch verwirklicht sich ein weiteres Risiko für den „Abmahnverein“, nämlich das offenkundig wird, dass er sich dadurch rechtsmissbräuchlich verhält, dass er im größeren Umfang ein örtlich unzuständiges Wettbewerbsgericht anruft und dies gerichtsbekannt wird.

Praxiserfahrung

Die hier vorgeschlagene Vorgehensweise hat bisher in den überwiegenden Fällen dazu geführt, dass der „Abmahnverein“ den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zurückgenommen hat und demzufolge auch die Kosten des Verfahrens zu tragen hatte.

Über den Autor

Dr. Kai Zapfe ist Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei LANGWIESER Rechtsanwälte in Berlin. Er ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Lehrbeauftragter für gewerblichen Rechtsschutz (School of Management and Innovation SMI). Nach seinem Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin promovierte Herr Dr. Zapfe zum Dr. iur. zu einem markenrechtlichen Thema. Herr Dr. Zapfe berät in allen Bereichen des Geistigen Eigentums, des Wettbewerbs- sowie des IT-Rechts und veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Fachzeitschriften. Zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit gehören das Marken- und Wettbewerbsrecht, daneben auch das Urheberrecht.

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