Second Screen, Digital Signage: Technik allein ist kein Erfolgsgarant

Ich warte immer noch darauf, dass die David Ogilvy zugeschriebene Deadline „In ten years all marketing will be direct“ endlich wahr wird. Das ist so ein Zitat, das alle fünf bis zehn Sommer herausgeholt wird, ohne dass die Anzahl der Jahre bis zum Eintritt des seligen Zustands sich ändert.

Zuletzt übrigens 2011, also zwölf Jahre nach David Ogilvys Tod.

Dieser sanfte Spott darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in den vergangenen 15 Jahren viel getan hat, um jegliche Werbung direkter zu machen. Dadurch, dass mit dem Internet als Rückfallschicht eine permanent für alle zugängliche „Adresse“ besteht. Zwar ist eine URL auf einem Plakat kein Direct Marketing - dafür braucht es ein Angebot, eine Handlungsaufforderung, eine Weiterführung auf der Ziel-URL etc. Aber parallel entstehen mit Smartphones und QR-Codes weitere Geräte, die den Werbeimpuls rascher mit messbarem Werbeerfolg verbinden.

Außerdem sind mächtige Mess-Systeme entstanden, um die mittelbaren Effekte von breitstreuender Werbung auf das Performance Marketing zu messen: Die Customer Journey Analyse.

Zwei neue Ansätze, Werbung „direkter“ zu machen.

Toyota hat in Deutschland seinen ersten TV-Spot mit Second Screen-Einbindung gestartet. Dabei greift das Unternehmen auf die mittlerweile auf den meisten Smartphones installierte Software-App „Shazam“ zurück. Wer diese währende des Sendevorgangs aktiviert, wird zu einem passenden Informationsangebot geleitet. Nichts anderes als ein QR-Code? Stimmt – die Agentur hat leider weder ein Angebot noch eine vernünftige Weiterführung der Shazam-Nutzer hinterlegt. Schade. Potentiell könnte diese Technologie permanent im Hintergrund laufen und jede Sendung mit passenden Produkten verbinden.

Das Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD hat eine Technologie entwickelt, mit der Digital Signage sich auf den Betrachter vor dem virtuellen Plakat einstellt und so die Werbeinhalte personalisiert. Erstmals wurde sie schon 2011 präsentiert und seitdem weiterentwickelt. Eine Lösung, die für viele Geschäfte interessant ist – nicht nur Monobrands, sondern gerade auch Multimarken-Geschäfte. Personalisierung ist seit je ein großer Hebel im Direct Marketing und wird so für Außenwerbung immer besser nachbildbar. Wobei Personalisierung hier eher meint, dass sich die Werbung dem Betrachter anpasst, quasi Form und Farbe und vielleicht auch den Inhalt selbst, die „Textur“, verändert. Fraunhofer IGD nennt die Technologie nicht umsonst „ChameleoAD“.

Wir beim bvh betrachten den Interaktiven Handel nicht nur durch die Brille des reinen E-Commerce, sondern des „Cross-Channel“, also der wechselseitigen Befruchtung, Beschleunigung und vor allem auch Veränderung der offline und online Werbekonzepte durch das Internet. Insofern ist es spannend für uns, welche Prozesse für die intelligente Nutzung solcher neuen Technologien im Handel entstehen müssen und werden. Und welche Regeln gelten.

Bei Toyota und anderen, vor allem US-amerikanischen Experimenten mit Second Screen hat man z.B. rasch gelernt, dass die TV-Spots nicht zu kurz sein dürfen. Der Prozess beim Kunden läuft so ab:

  1. Wahrnehmung der Werbung (offline)
  2. Wahrnehmung des Themas der Werbung (offline)
  3. Interesse am Thema (offline)
  4. Wahrnehmung des Shazam-Buttons (offline)
  5. Sofern vorhanden, Wahrnehmung des Call to Action, ggf. trotz der Text-Bild-Schere (offline)
  6. Start des mobilen Devices (offline, online)
  7. Start der Shazam App (online)
  8. Technologisch bedingter Zeitraum, bis Shazam den Spot identifiziert (offline, online)
  9. Laden der zugehörigen Anwendung im Smartphone (online, konkurrierende alternative offline Inhalte).

Das allein zeigt schon, dass eine Mindestlänge für TV-Spots nötig ist, und dass es sich um extrem „schnelle“ Werbung handeln muss – schnell in dem Sinne, dass der Call to Action und der Mehrwert sehr früh und auffällig kommuniziert werden müssen. Das wiederum bedeutet eine ganz eigene Dramaturgie solcher Spots. Es bedeutet, dass wirklich ein Mehrwert geboten werden muss. Es braucht eine logische und starke Anwendung, um den Nutzer aus seinem rezeptiven TV-Umfeld zumindest zeitweilig herauszuholen. Oder aber es braucht dann vernünftige Methoden, um das Interesse zu speichern und später wieder daran zu erinnern.

Genauso bei ChameleoAD: Es braucht einen Händler, um aus den Erkenntnissen über die maximal mögliche Zielgenauigkeit ein Angebots-Konzept zu entwickeln. Die Technik an sich irritiert sonst vor allem - auch die technikaffinen Betrachter.

Und schon sind wir wirklich bei Direct Marketing. Bei allen diesen Prozessen ist noch nicht einmal über den Commerce-Aspekt gesprochen worden, also welche Angebote dann wirklich auch profitabele Umsätze erzielen, in Form von direkter Conversion. Aber das ist das schöne am Direct Marketing, ob nun klassisch oder als Performance Marketing: Man kann das ja von A bis Z durchtesten.

Über den Autor:

Martin Groß-Albenhausen ist Geschäftsführer der BVH Service GmbH in Berlin und betreut im Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH) die Themen e-Commerce, Social Media und Marketing. Zuvor war er 13 Jahre Chefredakteur und Herausgeber des Branchendienstes "Versandhausberater".

19.02.13
Martin Groß-Albenhausen

Martin Groß-Albenhausen