In den vergangenen 15 Jahren bin ich oft bei neckermann.de auf der Hanauer Landstraße bis zum roten Dach vorgelaufen. Wenn ich die Artikel in Presse und den sogenannten Fachmedien lese, die hausgemachte Fehler bei der Umstellung auf das Internet ausmachen, frage ich mich zuerst:
Haben die Medien vor der eigenen Haustüre schon gekehrt?
Und dann denke ich an eine Vielzahl von hervorragenden Mitarbeitern beim Frankfurter Versender, die ich kennenlernen durfte. An den “Spirit”, der viele Jahre dort herrschte.
Ich denke dann zurück an die Effizienz und die Werbekosten-Vergleiche mit der viel größeren Halbschwester in Fürth. Daran, dass in Hessen deutlich sparsamer gewirtschaftet wurde als in Bayern.
Ich denke zurück an Innovationen für den Kunden UND in der Branche – etwa den sehr frühen und progressiven Einstieg in die Digitalfotografie “on location”.
Ich denke an ungewöhnliche und mutige Online-Konzepte von exzellenten Webmarketern. Wer erinnert sich noch an das Experiment mit dem “n-express” – dem vollständigen Verzicht auf die typische Shop-Optik zugunsten einer vollständig auf Keyword-Suche ala Google optimierten, weißen Seite? Wer kennt noch die Experimente mit dem Katalog – mit den Rhythmen, mit den Formaten, mit den Auflieferzeitpunkten?
Die Zeitungen wissen das nicht mehr, die Zeitschriften haben noch kleinere Archive, und Google spuckt solche Fakten der Vergangenheit eben nicht aus. Es ist auch einfacher, die Beinahe-Pleiten zu erwähnen und die “Fuffziger” als die große Zeit des Möglichmachers Josef Neckermann zu vergolden.
Und ich erinnere mich an viele Menschen, die hinter dem Unternehmen gestanden haben. Mit einzelnen bin ich bis heute befreundet, mit vielen noch gut bekannt. Für sie hieß das Neckermann-Motto: “Es ist möglich. Lass es uns einfach machen.” Kein Wunder, dass viele selber hervorragende Unternehmer geworden sind.
Es gibt bis heute viele schlechtere Onlineshops mit wackligeren Zukunftsaussichten, als sie neckermann.de hatte. Die wie Josef Neckermann mit noch günstigeren Preisen Konsum möglich machen wollen. Vorsicht – das hat auf Dauer schon vor fünfzig Jahren nicht funktioniert!
Mich hat die Abschieds-Botschaft sehr berührt, die derzeit auf neckermann.de zu sehen ist. Sie zeigt die größte Stärke und größte Schwäche unserer Branche zugleich: Die Stärke eines gnadenlos guten Angebots, geboren aus der harten Arbeit am Produkt und der Lieferkette. Und die Schwäche: Die Abhängigkeit vom Produkt ohne Bindung an den “Lieferanten”, in einer Zeit, in der jede Marke, jede Ware erreichbar geworden ist.
Nein, es ist nicht so, dass Neckermann vor dem Internet versagt hat. Neckermann hat ein Stück E-Commerce-Geschichte in Deutschland geschrieben, oft als Pionier. Aber die Revolution frisst nicht nur ihre Kinder. Manchmal frisst sie auch ihre Eltern.
Über den Autor:
Martin Groß-Albenhausen ist Geschäftsführer der BVH Service GmbH in Berlin und betreut im Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH) die Themen e-Commerce, Social Media und Marketing. Zuvor war er 13 Jahre Chefredakteur und Herausgeber des Branchendienstes “Versandhausberater”.
Neckermann ist nicht am Online-Konzept gescheitert. Der Shop war moderner als alle andere größeren Shops. Neckermann konnte nur scheitern… ohne etwas dagegen tun zu können.
Seit Jahren wollen Online-Kunden verstärkt bei dem Händler kaufen, der sich mit der Materie wirklich auskennt.
Technik bei Technikprofis… Schuhe beim Schuhprofi… Möbel beim Möbelprofi.
Das war eine Entwicklung bei Kunden selber die niemand aufhalten konnte.
Ich war von der Neckermann schliessung sehr überrascht.
Ich persönlich sehe in dem Namen noch eine menge Potential und könnte mir gut vorstellen, das eine schlanke Crew dort einen erfolgreichen Restart hinlegen könnte.
Wenn man schaut, wieviel “Plunder” teilweise bei den grossen wie Amazon+Co im Sortiment ist, Fokussierung auf Kernmarken und eine gut gemanagte Organisation könnte auch Neckermann wiederbeleben.
In Memoriam Neckermann-Versand Deutschland
Lieber Neckermann Versand,
Dein Herz hat aufgehört zu schlagen und nun ruhst Du neben Quelle weil der US-Investor „SUN“ Dich als Spielzeug überdrüssig war. Er brauchte Dich wahrscheinlich nur um Dich bei der Steuer abzusetzen. Hat die Zeit nichts investiert, wollte Dich angeblich retten und eine neue Summe zur Verfügung stellen, doch in letzter Minute hat er das angebotene Geld lieber woanders ausgegeben.
Schade, dass auch niemand anders Dich retten wollte. Die Regierung schickt das Geld ja leider lieber nach Griechenland als hier in Deutschland ein beliebtes Unternehmen zu retten! Es gibt hier auch in Deutschland so viele Millionäre. Wo waren die alle? Einer hätte doch mit Umstrukturierungen Dich retten können. Viele zufriedene Dauerkunden hätten es ihm gedankt!
Du hast jahrelang immer sehr gute Dienste am Kunden bewiesen. Man konnte gute und außergewöhnliche Artikel bei Dir kaufen, Du hast die Kunden nie enttäuscht. Alles kam auch immer sehr schnell an. Schon von Anfang an hatte damals Josef Neckermann persönlich dafür gesorgt, dass die bestellten Artikel sofort und blitzschnell beim Kunden ankamen.
Ich wünsche Dir, dass Du in Frieden ruhen kannst. Wäre schön, wenn sich vielleicht doch noch jemand findet, der Dein Herz wiederbelebt. Das Gebäude besteht ja noch. Dieses sage ich als Optimist, doch ich glaube, Optimismus wird heute nicht belohnt!
In Erinnerung
Deine langjährige Kundin
Gaby Brasch
Danke, lieber Autor, für dieses Statement.
Es ist schön, zur Abwechslung mal einen Artikel zu lesen, der sich vom wohltuend von der Schreibe der Tagesjournaille und der sogenannten”Fachpresse” der letzten Monate und Wochen abhebt.
Es hat zuletzt ganz schön geschmerzt, von “unqualifizierten” Mitarbeitern zu lesen, von “verschlafenen” Trends und dergleichen mehr – ungeachtet dessen, das sich viele von uns viel Kraft, Zeit und nicht zuletzt Herzblut einsetzt haben, das nahende Aus abzuwenden.
Für viele von uns Mitarbeitern war und ist es mehr als ein “job” gewesen, für dieses Unternehmen zu arbeiten.
Und ich denke, für viele von unseren Kunden waren wir auch mehr als ein “Shop” – auch das haben wir in den letzten Wochen zu spüren bekommen, selbst wenn es mal nicht so geklappt hat, wie es hätte sein sollen.
Danke Kerstin
du sprichst uns aus dem Herzen.
Ja lieber Autor, endlich mal eine” Positive Pressemeldung”.
Ich bin langjährige Kundin und habe während dieser Zeit keine unqualifizierten Mitarbeiter kennengelernt, alle waren immer freundlich und hilfsbereit. Gab es mal ein Problem wurde mach Lösungen gesucht und geholfen. In den Geschäften vor Ort, gibt es jedenfalls kaum noch nette Verkäufer, alle sind nur noch gestresst und genervt.
Danke Neckermann für eine wirklich schöne Zeit.
Danke für den guten Kommentar.
Das alles gilt so ziemlich auch für Quelle. Ich konnte es vor (mittlerweile fast) drei Jahren auch nicht mehr hören, dass die ganze Besserwisser-Journaille die ganze Situation auf die fehlende Konzentration auf das Internet reduziert hat. Dabei war Quelle – wie auch Neckermann – Internet-Pionier! Und der Online-Anteil lag bei Neukunden bei über 60 Prozent. Daneben waren bei Quelle aber auch die langjährigen Stammkunden zu bedienen, die “Golden-Ager”, die das Internet erst jetzt langsam für sich entdecken. (Und die hatte Neckermann eben auch! Dank neckermann.de konnte die Zahl aber wohl merklich reduziert werden.) Alle Werbemittel-Selektionen wurden kundenindividuell durchgeführt und bei allen wurde das Internetbestellverhalten berücksichtigt. Und es war eben nicht so, dass man sagen konnte: Wer einmal im Internet bestellt braucht keinen Katalog mehr. Insbesondere bei Mode-Bestellungen wurde die bedarfsweckende Unterstützung des Print benötigt! Und hier lag meines Erachtens ein großer Fehler im neckermann.de-Konzept. Der Verzicht auf den Hauptkatalog ließ die Modenachfrage extrem schrumpfen. Dies war auch durch tägliche(!) Newsletter nicht auszugleichen. Man (besser Frau) gibt halt nicht wie bei der Suche nach einer Waschmaschine ein: Suche rotes Kleid, Länge 47cm, Umfang 95cm, Material Baumwolle. (Mal abgesehen davon, dass das die Internet-Suche nicht mal hergegeben hätte. 😉
Das kommt eben davon, dass nur Männer die beiden großen Versandhäuser geleitet haben. (Übrigens: Herr Koopmann! Was ist eigentlich jetzt mit großen Klappe?) Die haben sich nie in die Gedankenwelt ihrer Kernzielgruppe (eben hauptsächlich Frauen) einfühlen können.
möchte mich dem Kommentar von Kerstin auch voll anschließen.
Ich habe immer gerne bei neckermann gearbeitet und auch immer
das Gefühl gehabt Mitglied in einer großen Familie zu sein.
Viele Kollegen und Kolleginnen werde ich nie vergessen.