Dürfen Hersteller den Vertrieb über das Internet beschränken?

Wenn Lieferanten in die Ausgestaltung Ihres Online-Shops oder Ihres Online-Marketings eingreifen wollen, ist dies nicht ohne weiteres zulässig – das Kartellrecht setzt hier Grenzen. Die Rechtsanwälte Lukas Bühlmann und Dr. Martin Schirmbacher haben in einem gemeinsamen Aufsatz die händlerseitigen Beschränkungen genau analysiert und zeigen auf, welche Beschränkungen von Marketingmaßnahmen in Vertriebsverträgen gegen das Kartellrecht verstoßen.

Lesen Sie mehr zu dem Aufsatz.

Lieferanten haben meist ein Interesse daran, ihren Händlern Vorgaben für den Vertrieb ihrer Waren im Internet und die Online-Werbung aufzuerlegen. Vom eBay-Verbot über qualitative Vorgaben zur Gestaltung des Online-Shops bis hin zu Beschränkung bei der Suchmaschinenwerbung – dem Ideenreichtum sind keine Grenzen gesetzt.

Derartige Beschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit können jedoch im Widerspruch zum Kartellrecht stehen und Bußgelder zur Folge haben. Kartellrechtswidrige Vereinbarungen sind gegenüber den Vertragspartnern auch nicht durchsetzbar. Den Vertragsparteien fehlt im Internetvertrieb jedoch vielfach das Bewusstsein für mögliche Konflikte mit den kartellrechtlichen Vorgaben.

Unsicherer Rechtsrahmen

Obwohl sich der Internetvertrieb und die Online-Werbung in den meisten Branchen längst etabliert haben, sind die kartellrechtlichen Vorschriften noch immer primär auf den offline-Vertrieb ausgerichtet. Die EU-Kommission hat mit ihren Leitlinien zur sog. Vertikal-GVO versucht, die allgemeinen Vorschriften auf den Internetvertrieb zu übertragen.

Allerdings sind die Ausführungen teilweise noch sehr allgemein gehalten und es werden darin viele wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Online-Werbung nicht behandelt. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass den Parteien in der Praxis die Kartellrechtswidrigkeit von vertriebsvertraglichen Vorgaben für den Internethandel oft nicht bewusst ist.

Vertikal-GVO als sicherer Hafen für Unternehmen

Die in der Praxis wichtigste Rechtsgrundlage ist die sog. Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO). Diese legt fest, unter welchen Voraussetzungen Vertriebs- und Lieferverträge vom allgemeinen Kartellverbot ausgenommen sind. Die Einhaltung der Vorgaben dieser Verordnung bietet den Unternehmen gewissermaßen einen sicheren Hafen.

Eine Vereinbarung wird danach ausdrücklich für zulässig erklärt, wenn die Vertragsparteien keine der darin aufgeführten Klauseln enthält und die Vertragsparteien auf den relevanten Märkten über nicht mehr als 30 % Marktanteil verfügen. Sind die Voraussetzungen der Vertikal-GVO nicht erfüllt, bedeutet das zwar noch nicht, dass die Vereinbarung verboten ist.

Allerdings muss die Zulässigkeit in diesem Fall von den Vertragsparteien nachgewiesen werden können, was insbesondere bei einem Großteil der aufgeführten Klauseln nur sehr schwer möglich ist.

EU-Grundsätze gelten auch in DE und CH

Da im deutschen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auf die jeweils geltende Fassung der Vertikal-GVO verwiesen wird, gilt sie auch in innerdeutschen Verhältnissen. In der Schweiz ist das EU-Recht zwar nicht direkt anwendbar und das Schweizer Kartellgesetz geht darüber hinaus auch von einem anderen Ansatz aus.

Letztlich gelten aber auch im schweizerischen Recht aufgrund der starken Anlehnung an die europäischen Vorgaben dieselben Grundsätze.

Unterschiedliche Vorgaben je nach Vertriebssystem

Neben Vorschriften, die für alle Vertriebssysteme gelten, bestehen verschiedene Vorgaben, die auf die Besonderheiten der verschiedenen Vertriebssysteme zugeschnitten sind. Es muss deshalb insbesondere zwischen Selektivvertrieb und Alleinvertrieb unterschieden werden.

In beiden Vertriebssystemen wäre es beispielsweise unzulässig, mit dem Händler zu vereinbaren, dass er für die im Internet verkauften Produkte einen höheren Preis verlangen muss oder nur eine bestimmte Menge online absetzen darf.

Andererseits dürfen sich im Selektivvertrieb die Vorgaben für die Online-Werbung grundsätzlich nur auf qualitative Aspekte (bspw. bzgl. Corporate Identity) beziehen, während im Alleinvertrieb weitergehende Anforderungen gestellt werden dürfen.

Beispiele unzulässiger und zulässiger Beschränkungen

Es steht fest, dass ein vertragliches Totalverbot des Vertriebs oder der Bewerbung bestimmter Produkte im Internet von den europäischen Wettbewerbsbehörden nur in besonderen Ausnahmefällen aus Sicherheits- oder Gesundheitsgründen toleriert wird. Dies gilt sowohl im Alleinvertrieb als auch im Selektivvertrieb.

Allerdings ist es zulässig, wenn von Händlern, die in ein selektives Vertriebssystem aufgenommen werden wollen, der Betrieb eines (offline) Geschäftslokals verlangt wird.

Nach Ansicht der EU-Kommission wäre die Verpflichtung der Händler, die Abrufbarkeit ihrer Websites für gebietsfremde Kunden zu verhindern, nicht mit der Vertikal-GVO vereinbar. Gleichermaßen wäre in der Regel auch die Pflicht, eine automatische Umleitung („re-routing“) auf die Website anderer Händler oder des Herstellers für gebietsfremde Kunden einzurichten, kartellrechtlich unzulässig.

Die Beurteilung vieler anderer Beschränkungen des Internetvertriebs und der Online-Werbemaßnahmen ist allerdings weniger klar. Während Alleinvertriebshändlern bspw. die Verwendung von nationalen Top-Level-Domains, die nicht ihrem exklusiv zugewiesenen Vertragsgebiet entsprechen, wohl untersagt werden dürfen, sind Vorgaben über die Sprache der Website kaum zulässig.

Beschränkungen bei Werbemaßnahmen

Im Bereich der Online-Werbemaßnahmen besteht mangels Gerichts- bzw. Behördenpraxis erhebliche Rechtsunsicherheit. Es kann aber bspw. davon ausgegangen werden, dass einem Alleinvertriebs-Händler grundsätzlich verboten werden darf, Displaywerbung (wie Banner und Pop-Ups) zu buchen, die bei gebietsfremden Besuchern angezeigt werden soll.

Entsprechende Vorgaben müssten im Alleinvertrieb auch für sog. Targeting- oder Retargeting-Methoden unter Einsatz von Cookies gemacht werden dürfen.

Sofern Sie Zweifel an gewissen Einschränkungen oder Vorgaben für den Internetvertrieb oder die Online-Werbung haben, lohnt es sich jedenfalls, die kartellrechtliche Zulässigkeit solcher Klauseln genauer zu prüfen.

Weitergehende Informationen können Sie auch unserem Aufsatz „Kartellrecht und Internetvertrieb“ in der Online-Zeitschrift Jusletter entnehmen.

Über die Autoren

RA Dr. Martin Schirmbacher

Martin Schirmbacher ist Fachanwalt für IT-Recht und seit Jahren in der auf Medien und Technologie spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei HÄRTING Rechtsanwälte (www.haerting.de) tätig. Er prüft dort unter anderem Online-Geschäftskonzepte seiner Mandanten und zeigt Wege zur rechtssicheren Ausgestaltung der Geschäftsidee.

RA Lukas Bühlmann

Lukas Bühlmann ist Rechtsanwalt und Inhaber der Züricher Kanzlei Bühlmann Rechtsanwälte AG und berät Unternehmen vorwiegend in den Bereichen Vertrieb, E-Commerce, Werbung und Wettbewerb sowie Produktrecht. Er unterstützt seine Mandanten insbesondere bei der rechtssicheren Ausgestaltung ihrer Online-Geschäftskonzepte und des Vertriebs über Webshops. Weitere Informationen zu Bühlmann Rechtsanwälte finden Sie unter www.br-legal.ch.

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09.09.11
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