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AG Cuxhaven: Widerrufsfrist beginnt erst mit Erhalt mangelfreier Ware

Verbraucher können Fernabsatzverträge grundsätzlich innerhalb von 14 Tagen ab Erhalt der Ware widerrufen. Aber wie wirkt sich ein Mangel der Ware auf den Beginn der Widerrufsfrist aus? Das AG Cuxhaven entschied (Urt. v. 25. 2.2020 – 5 C 429/19), dass der Fristbeginn nicht nur eine vollständige, sondern auch vollständig funktionsfähige Warenlieferung voraussetze.

Die Klägerin vertreibt Küchengeräte sowie entsprechende Zubehörteile. Die Beklagte bestellte am 6.2.2019 einen Thermomix mit Zubehör, zu dessen Lieferumfang auch ein bestimmter Aufsatz gehörte. Die Lieferung erfolgte am 15.2.2019. Der zum Lieferumfang gehörende Aufsatz war jedoch zersplittert. Nach einer telefonischen Reklamation erhielt die Beklagte am 26.2.2019 einen neuen Aufsatz. Am 9.3.2019 widerrief die Beklagte den Kaufvertrag und schickte die Gegenstände an die Klägerin zurück. Streitig war vorliegend, auf welchen Zeitpunkt für den Beginn der Widerrufsfrist abzustellen ist, wenn die gelieferte Ware mit Mängeln behaftet ist. Die Klägerin war der Ansicht, die Widerrufserklärung sei zu spät erfolgt, und die Widerrufsfrist habe bereits am Tag nach der ersten Lieferung, also am 16.2.2019, begonnen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte die vollständige Lieferung erhalten, auf die es ankomme. Die Mangelhaftigkeit des Zubehörs sei für den Beginn der Widerrufsfrist ohne Bedeutung. Sie verlangte von der Beklagten die Zahlung des Kaufpreises. Die Beklagte hingegen vertrat die Auffassung, dass für den Beginn der Widerrufsrist auf den Zeitpunkt des Erhalts der vollständigen, funktionstüchtigen Ware abzustellen sei. Nach dieser Auffassung wäre der Widerruf innerhalb der Widerrufsfrist erfolgt.

Das AG Cuxhaven schloss sich der Auffassung der Beklagten an und entschied, dass die Widerrufsfrist erst mit Erhalt der vollständigen, mangelfreien Ware beginne. Der Widerruf sei damit rechtzeitig erfolgt, ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises bestehe damit nicht.

Auswirkungen auf Widerrufsfrist nicht abschließend geklärt

Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Frage nach dem Beginn der Widerrufsfrist bei mangelhafter Warenlieferung in der juristischen Literatur unterschiedlich beantwortet werde.

Auf welchen Zeitpunkt für den Beginn der Widerrufsfrist abzustellen ist, wenn die gelieferte Ware mit Mängeln behaftet ist, wird ausweislich der von den Partei Vertretern zitierten Fundstellen nicht einheitlich beurteilt.

Fristbeginn mit Erhalt der mangelfreien Lieferung

Sodann entschied das Gericht jedoch, dass aus Gründen des Verbraucherschutzes auf den Zeitpunkt der vollständigen, funktionstüchtigen Warenlieferung als Fristbeginn abzustellen sei. Erst zu diesem Zeitpunkt könne der Verbraucher die Lieferung in Augenschein nehmen und überprüfen.

Das erkennende Gericht schließt sich der vom Prozessbevollmächtigen der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung an, wonach insbesondere aus Gründen des Verbraucherschutzes auf den Zeitpunkt abzustellen ist, an dem nicht nur eine vollständige, sondern auch eine vollständig funktionstüchtige Warenlieferung erfolgt ist. Dies war im vorliegenden Fall der 26.02.2019, denn erst mit der Nachlieferung eines mangelfreien Varoma-Aufsatzes konnte die Beklagte die von ihr bestellte Ware erstmalig vollständig im Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit in Augenschein nehmen und überprüfen.

Teilsendungen als Vergleich

Als Begründung führte das Gericht den Beginn der Widerrufsfrist bei mehreren Teilsendungen an. Nach § 356 Abs. 2 Nr. 1 c) BGB beginnt die Widerrufsfrist bei einem Verbrauchsgüterkauf, bei dem die Ware in mehreren Teilsendungen geliefert wird, sobald der Verbraucher oder ein von ihm benannter Dritter die letzte Teilsendung erhalten hat. Auch wenn eine vollständige Lieferung vorliege, könne der Verbraucher eine Überprüfung der Ware erst ab dem Zeitpunkt durchführen, zu dem eine funktionsfähige Warenlieferung erfolgt.

Diese Auslegung zum Beginn der Widerrufsfrist gemäß § 356 Abs. 2 Nr. 1. a) BGB entspricht auch dem Sinn und Zweck des vom Gesetzgeber beabsichtigten Verbraucherschutzes. Dies lässt sich auch aus der Regelung in § 356 Abs. 2 Nr. 1. c) BGB ableiten. Denn danach beginnt die Widerrufsfrist bei einer Warenlieferung in mehreren Teilsendungen auch erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher die letzte Teilsendung erhalten hat. Vorliegend erfolgte die Warenlieferung gemäß der Bestellung vom 06.02.2019 zwar nicht in mehreren Teillieferungen, sondern in einer vollständigen Lieferung. Ein Teil der gelieferten Ware war jedoch mangelbehaftet, denn der Varoma- Aufsatz war zersplittert und nicht funktionstüchtig. Eine vollständige Überprüfung der Warenlieferung auf ihre Funktionstüchtigkeit war deshalb erst mit der Ersatzlieferung am 26.02.2019 möglich.

Überprüfbarkeit erst bei vollständiger funktionsfähiger Ware

Die Klägerin versuchte sich damit zu verteidigen, dass die Beklagte die Funktionsfähigkeit der Ware auch ohne den beschädigten Einsatz hätte überprüfen können. Dies ändere jedoch nichts daran, dass keine vollständig funktionsfähige Ware geliefert wurde, so das Gericht. Dies sei ebenfalls Voraussetzung zur Vollständigkeit der Warenlieferung.

Der Einwand der Klägerin, die Beklagte hätte die “Varoma-Funktion” des Thermomix- Gerätes auch ohne den beschädigten Varoma-Einsatz ausprobieren können, ändert nichts daran, dass mit der Warenlieferung am 15.02.2019 keine vollständig funktionsfähige Ware geliefert wurde, denn bei dem Varoma-Einsatz handelt es sich nach der Artikelbeschreibung in der Bestellung vom 06.02.2019 um ein maßgebliches Zubehörteil im Rahmen des bestellten “Frühlings-Paketes” zum Preis von 1.359,00 €. Zur Vollständigkeit der Warenlieferung gehört auch die vollständige Funktionsfähigkeit der gelieferten Ware.

Die Klägerin hat ihre gegen dieses Urteil gerichtete Berufung zurückgenommen (LG Stade, Beschl. v. 27.8.2020 – 3 S 14/20). Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Fazit

Die Frage, wann bei einer mangelhaften Ware die Widerrufsfrist beginnt, ist noch nicht abschließend geklärt. Das erkennt vorliegend auch das AG Cuxhaven. Dem Gericht ist in seiner Entscheidung jedoch nicht zuzustimmen. Es beruft sich auf nicht näher bezeichnete Literaturfundstellen. Jedenfalls in der herrschenden Kommentarliteratur (Föhlisch, in Hoeren/Sieber/Holznagel, Hdb. Multimediarecht, Teil 13.4 Rn. 278; MüKo BGB/Fritsche, § 356 Rn. 11; BeckOK BGB/Müller-Christmann, § 356 Rn. 7) besteht Einigkeit, dass die Mangelhaftigkeit einer Ware den Beginn der Widerrufsfrist nicht beeinflusst. Für deren Beginn ist der physische Erhalt der Ware Voraussetzung, also die tatsächliche Sachherrschaft. Ein zusätzliches Erfordernis wie die Mangelfreiheit hier hinein zu lesen, findet keine Grundlage im Gesetz, ebenso wenig wie eine Differenzierung nach der Art des Mangels („maßgebliches Zubehörteil“). Zwar soll dem Verbraucher eine Prüfungsmöglichkeit verschafft werden, jedoch besteht auch bei mangelhafter Ware für ihn die Möglichkeit, den Vertrag zu widerrufen und erneut zu bestellen. Er kann entweder widerrufen oder von seinen Gewährleistungsrechten Gebrauch machen. Wünscht der Verbraucher Neulieferung oder Reparatur, verlängert sich die Widerrufsfrist nicht um die Liefer- bzw. Reparaturzeit, da durch den Nacherfüllungswunsch nicht das Widerrufs-, sondern das Gewährleistungsrecht ausgeübt wurde. Andere Gerichte werden diese Frage hoffentlich anders entscheiden.

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