Gut 50 Prozent der Online-Händler machen sich Gedanken über rechtliche Problemstellungen, die in der Zukunft bei ihnen aufschlagen könnten. Wir fragten Rechtsexperte Dr. Carsten Föhlisch, Prokurist bei Trusted Shops, ob dazu wirklich Grund besteht.

Eine aktuelle Umfrage von shopware hat ergeben, dass jeder zweite Shopbetreiber (50,1 Prozent) befürchtet, rechtliche Vorschriften und Pflichten könnten sein Geschäftsmodell erschweren. Doch ist diese Angst begründet?

“Ja”, sagt Rechtsexperte Dr. Carsten Föhlisch. Denn die rechtlichen Hürden, die ein Shopbetreiber nehmen muss, sind in der Tat sehr hoch. Denn gerade in Deutschland könnten Online-Händler über das Mittel der Abmahnung oftmals schon wegen Kleinigkeiten rechtlich belangt werden.

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shopbetreiber-blog: Wie hoch sind die Hürden für den rechtssicheren Betrieb eines Online-Shops in Deutschland wirklich?

Dr. Carsten Föhlisch: Die Hürden sind in der Tat sehr hoch. Zwar gibt es in anderen europäischen Ländern vergleichbare Regelungen im Fernabsatz-, E-Commerce-, Datenschutz- oder Telemedienrecht, jedoch ist das Risiko, bei kleineren Verstößen rechtlich belangt zu werden, außerhalb Deutschlands sehr viel geringer.

Denn nur in Deutschland gibt es das Mittel der Konkurrenten-Abmahnung in dem Maße, dass manche Händler und Anwälte daraus ein Geschäftsmodell auf Kosten solcher Händler entwickelt haben, die zwar alles richtig machen wollen, aber den Paragraphen-Dschungel nicht durchschauen. Hier werden selbst bei kleinen Ungenauigkeiten schnell vierstellige Beträge fällig, obwohl der Händler weit davon entfernt ist, seine Kunden zu benachteiligen.

shopbetreiber-blog: In welchem Maße hat der Online-Handel die Rechtsvorschriften im Distanzhandel verkompliziert, wenn man diese beispielsweise mit der Katalog-Zeit vergleicht?

Dr. Föhlisch: Vor dem Jahr 2000 gab es in Deutschland keine Vorschriften über den Fernabsatz, insbesondere kein gesetzliches Widerrufsrecht im Distanzhandel. Der klassische Katalog-Versandhandel gilt daher als „Erfinder” des Widerrufsrechts, denn diese Versender haben ihren Kunden bereits früher freiwillig eine Rückgabemöglichkeit eingeräumt, allerdings nach eigenen und sehr viel einfacheren Regeln.

Seit 13.6.2014 hat sich die Zahl der Informationspflichten noch einmal erhöht: allein im Fernabsatz haben wir nun sage und schreibe 16 Pflichtinformationen, die dem Kunden mitzuteilen sind. Hinzu kommen noch Unterrichtungspflichten aus dem Datenschutz-, E-Commerce-und allgemeinem Wettbewerbsrecht sowie weiteren Spezialvorschriften für einzelne Branchen, wie z.B. die Lebensmittel- oder Textil-Kennzeichnung. Die Qualität der Gesetze hat – um es vorsichtig auszudrücken – nicht zugenommen.

So ist die neue Muster-Widerrufsbelehrung in mehreren Punkten (Fristbeginn, Rücksendekosten etc.) unpraktikabel, und das neue Muster-Widerrufsformular geht schlichtweg völlig an der Realität vorbei. Hinzu kommt noch die nationale Rechtsprechung, wie jüngst Entscheidungen zur Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung oder Wiederholung aller Produktmerkmale auf der Bestellseite, die zeigt, dass das Thema Digitalisierung in vielen Gerichten noch nicht angekommen ist. Leider wird dadurch ein wachsender Wirtschaftszweig immer wieder unnötig ausgebremst.

shopbetreiber-blog: Wer hat von diesen Veränderung bislang profitiert? Der Verbraucher oder der Handel?

Dr. Föhlisch: Bis Juni letzten Jahres haben überwiegend die Verbraucher profitiert. War z.B. die Widerrufsbelehrung nicht auf den neuesten Stand, konnte eine Ware auf unbegrenzte Zeit zurückgegeben werden. Nach wie vor gibt es umfangreiche Testmöglichkeiten, die bei stationären Käufen nicht vorhanden sind und noch auf das meines Erachtens veraltete Leitbild des schutzlosen Verbrauchers zurückgehen, der sich von der charmanten Teleshop-Moderatorin die völlig überteuerte 20 teilige Küchenmaschine andrehen lässt.

Für den gut informierten Internet-Käufer, der sich in Foren, auf Herstellerseiten, über Preissuchmaschinen und durch Produktbewertungen besser informieren kann als der stationäre Käufer passt dieses Leitbild und damit auch das Recht des umfassenden Ausprobierens nicht mehr.

Allerdings profitiert seit 13.6.2014 auch der deutsche Händler von einigen Absenkungen des zuvor sehr hohen deutschen Verbraucherschutzniveaus auf ein vernünftiges europäisches Level, z.B. durch die Änderung der Rücksendekostenregelung. Zudem haben selbst Verbraucherschützer erkannt, dass die ständige Ausweitung von Informationspflichten ein Bärendienst für Verbraucher ist, weil diese angesichts des Information Overload die wirklich wichtigen Informationen gar nicht mehr wahrnehmen können.

shopbetreiber-blog: Inwieweit war das neue Verbraucherrecht bzw. die ihm zugrunde liegende EU-Verbraucherrechterichtlinie wirklich notwendig?

Dr. Föhlisch: Die Vorgängerrichtlinie stammt aus dem Jahr 1996, indem noch vom „Teleeinkauf“ die Rede war. Insofern war eine Reform angebracht. Allerdings war diese nur halbherzig. Wie so oft im politischen Prozess sind wirklich innovative Veränderungsvorschläge, wie z.B. eine grundlegende Reform der Ausnahmetatbestände vom Widerrufsrecht, in den Verhandlungen mit fast 300 Lobbyisten untergegangen.

Statt also generell auf die Wiederverkäuflichkeit ausprobierter Waren oder einen Mindestkaufpreis abzustellen, gibt es im Wesentlichen noch den gleichen Ausnahmekatalog wie 1996, lediglich erweitert um zusätzliche Lobby-Regelungen, wie z.B. eine Ausnahme für bestimmte alkoholische Getränke.

Aber warum ist es für Autovermieter oder die Deutsche Bahn unzumutbar, Buchungen zu stornieren, aber probegeschlafene Wasserbetten müssen ohne jeden Wertersatz zurückgenommen werden, wie es der BGH entschieden hat? Auch wäre eine Vereinfachung und Entrümpelung der unzähligen Informationspflichten angebracht gewesen. Stattdessen haben wir nun mehr statt weniger Informationspflichten im Fernabsatz.

shopbetreiber-blog Im Schlepptau der Digitalisierung des Handels hat sich eine neue Rechts-Industrie entwickelt. Wurde der Rechtsanwalt durch das Internet vom Rechts-Berater zum Rechts-Dienstleister?

Dr. Föhlisch: Ein guter Rechtsdienstleister für Online-Händler muss hoch spezialisiert sein. Der Anwalt, der als Generalist auch Verkehrsunfälle und Ehescheidungen abwickelt, kann unmöglich das komplexe Regelungsgefüge im E-Commerce-Recht durchschauen und immer die neueste Rechtsprechung parat haben.

Zudem sollte der Rechtsdienstleister sich auch mit ausländischen Rechtsordnungen auskennen, da E-Commerce nicht an der Landesgrenze halt macht. Weiterhin hat sich auch die Beratungskultur verändert. Der Vor-Ort-Termin und das Wartezimmer sind Online-Händlern eher fremd, vielmehr sollte die Beratung im Unternehmen selbst, telefonisch oder sogar über Online-Plattformen stattfinden. Letztere ermöglichen zudem eine gute Kostenkontrolle, ebenfalls ein wichtiger Punkt für die meisten E-Commerce-Unternehmen.

Schließlich haben sich mittlerweile zwei Lager unter den Beratern herausgebildet: einerseits diejenigen, die durch präventive Maßnahmen Abmahnungen um jeden Preis vermeiden wollen und Händler engagiert gegen Abmahnungen verteidigen und andererseits solche, die aus der unklaren Rechtslage Profit schlagen und massenhaft mit Abmahnungen Geld verdienen. Welcher Seite der Macht man sich anschließen möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Es wird nur später schwierig, das Lager wieder zu wechseln.

 

 

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