Beim Online-Kauf steht dem Verbraucher grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu. Hiervon gibt es aber zahlreiche Ausnahmen. So haben Verbraucher bei der Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation hergestellt wurden, kein Widerrufsrecht. Unter diese Ausnahme fallen aber keine KfZ-Kompletträder, bei denen der Verbraucher Reifen und Felgen aussuchen konnte, entschied das AG Marienberg.

Das AG Marienberg (Urt. v. 6.6.2014, 1 C 419/13) hatte den Streit zwischen einem Online-Händler und seinem Kunden aufgrund eines ausgeübten Widerrufs zu klären.

Bestellung von Kompletträdern

Der Kunde bestellte im Online-Shop des Händlers 4 Kompletträder, bestehend aus Winterreifen nebst Felgen.

Dazu musste der Kunde den Fahrzeugtyp eingehen, anschließend die auf der Website dargestellten Vorschläge durch die Auswahl technischer Kriterien wie Felgengröße und Reifendurchmesser eingrenzen. Am Ende wählte der Kunde aus den verbliebenen Vorschlägen die von ihm bestellten Reifen und Felgen.

Widerruf

Als die Kompletträder geliefert wurden, stellte der Kunde fest, dass er die falschen Reifen ausgewählt hatte und erklärte noch am Tag der Lieferung den Widerruf per Mail, auch die Ware schickte er wieder zurück. Der Händler verweigerte jedoch die Annahme der Räder.

Der Händler akzeptierte den Widerruf nicht. Der Kunde setzte dem Händler eine Frist zur Erstattung des Kaufpreises zzgl. der angefallenen Rückversandkosten.

Liegt hier Kundenspezifikation vor?

Dreh- und Angelpunkt in dem Verfahren war die Frage, ob auf Felgen aufgezogene Reifen eine Kundenspezifikation darstellen und Verträge über die Lieferung von solchen Kompletträdern damit vom Widerrufsrecht ausgenommen sind oder nicht.

Der klagende Kunde war der Meinung, dass hier keine Kundenspezifikation vorliege. Außerdem seien Reifen und Felgen ohne großen Aufwand wieder voneinander zu trennen und können ohne Preisnachlass erneut verkauft werden.

Der Händler hätte sich nicht bemüht, die Räder überhaupt wieder weiter zu verkaufen.

Auch könne eine Individualisierung nicht angenommen werden, weil sowohl Reifen als auch Felgen handelsüblich seien.

“Es handele sich um eine Standard-Bestellung, die auf einer Offerte beruhen, die der Beklagte über die Auswahl-Maske auf seiner Internetseite abgegeben habe, wobei die konkrete Zusammenstellung aus Felge und Reifen dem Kläger als mögliche Kombination vorgeschlagen worden ist.”

Der Händler meinte dagegen, es handele sich um kundenspezifische Ware, ein Widerrufsrecht sei daher nicht gegeben. Hierauf weise er auch in seinen AGB hin, in denen es hieß:

Ҥ 11 Widerrufsrecht
Das Widerrufsrecht besteht entsprechend § 312d Abs. 4 BGB unter anderem nicht bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt, zusammengebaut, angepasst bzw. produziert werden. Dies gilt insbesondere für Kompletträder (Felgen mit fertig montierten und gewuchteten Reifen) sowie für speziell angefertigte Felgen mit Wunschfarben oder Formen.”

Mit der Rücknahme der Kompletträder seien für den Händler angeblich unzumutbare Kosten verbunden. Eine Weiterveräußerung sei auf Grund der Rarität der Räder nicht zu erwarten. Ein Weiterverkauf der Einzelkomponenten wäre nur unter erheblichen Preisabschlägen möglich.

Eine Rückgabe an den Lieferanten sei ausgeschlossen bzw. nur mit Preisabschlägen von 50% möglich.

Widerrufsrecht ist nicht ausgeschlossen

Das Gericht folgte der Ansicht des Klägers und entschied, dass das Widerrufsrecht bei den Kompletträdern nicht ausgeschlossen ist.

“Nach ‘Kundenspezifikation’ angefertigt oder ‘eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse” des Verbrauchers zugeschnitten, ist die Sache, wenn sie wegen der Berücksichtigung der Wünsche des Verbrauchers anderweitig nicht oder nur mit einem unzumutbaren Preisnachlass abgesetzt werden kann.

§ 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB ist dabei nicht anwendbar, wenn die zu liefernde Sache auf Bestellung des Verbrauchers aus vorgefertigten Serienbauteilen zusammengefügt wird, die ohne Beeinträchtigung der Substanz mit geringen Aufwand wieder getrennt werden können.”

Aus der Regelungssystematik der Fernabsatzrichtlinie als auch des deutschen Gesetzes lasse sich erkennen, dass sowohl der Richtlinien- wie auch der deutsche Gesetzgeber das Widerrufsrecht für den Unternehmer grundsätzlich als zumutbar ansehen, obwohl eine Rücknahme der Ware für den Unternehmer in der Regel mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist.

“Nur in den in der Richtlinie … umschriebenen Ausnahmefällen soll das Widerrufsrecht ausgeschlossen sein.”

Für die Annahme einer Kundenspezifikation, so das Gericht weiter, reiche es nicht aus, dass der Verbraucher durch seine Bestellung die Herstellung der Ware veranlasst und dafür notwendigerweise genauere Angaben über deren Beschaffenheit macht.

“Anderenfalls wäre das Widerrufsrecht allein davon abhängig, ob (ein- und dieselbe) Ware vorrätig gehalten oder erst auf Bestellung – nach Bedarf – produziert wird.

Es läge dann in der Hand des Unternehmers, ein Widerrufsrecht des Verbrauchers dadurch auszuschließen, dass auch standardisierte Ware nicht vorrätig gehalten, sondern erst auf Bestellung produziert wird.

Wäre diese Möglichkeit durch eine zu weite Auslegung des Ausschlusstatbestandes eröffnet, dann würde das Widerrufs recht des Verbrauchers in weiten Branchen des Fernabsatzgeschäfts leerlaufen, in denen es technisch möglich und betriebswirtschaftlich wegen der Verringerung der Lagerhaltungskosten und des Absatzrisikos auch vorteilhaft ist, standardisierte Massenware erst auf Bestellung zu produzieren.

Dies liefe dem Ausnahmecharakter der gesetzlichen Regelung zuwider.”

Das Widerrufsrecht sei aufgrund von Kundenspezifikation vielmehr erst dann ausgeschlossen, wenn der Unternehmer durch die Rücknahme erhebliche Nachteile erleidet, die spezifisch damit zusammenhängen, dass die Ware erst auf Bestellung des Kunden nach dessen besonderen Wünschen angefertigt wurde.

“Nicht ausreichend dafür sind dagegen Nachteile, die mit der Rücknahme bereits produzierter Ware stets verbunden sind.”

Kein Substanzverlust

So scheidet ein Ausschluss des Widerrufsrechtes aufgrund von Kundenspezifikation z.B. dann aus, wenn sich die Ware ohne Einbuße an Substanz und Funktionsfähigkeit mit verhältnismäßig geringem Aufwand wieder in ihre Bestandteile zerlegen lässt.

In einem solchen Fall sei die Rücknahme für den Unternehmer zumutbar, so das Gericht, weil die Anfertigung mit wirtschaftlich tragbarem Risiko rückgängig gemacht werden kann und der Unternehmer so die Bestandteile wiedererlangt.

“In einem solchen Fall erleidet der Unternehmer durch die Rücknahme auf Bestellung angefertigter Ware keinen unzumutbaren Nachteil im Vergleich zu einem Fernabsatzvertrag über die Lieferung der Bestandteile selbst, bei dem ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Anfertigung der Ware nach Kundenspezifikation von vornherein nicht in Betracht käme.

Darüber hinaus müssen die Angaben des Verbrauchers, nach denen die Ware angefertigt wird, die Sache so individualisieren, dass diese für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme deshalb (wirtschaftlich) wertlos ist, weil er sie wegen ihrer vom Verbraucher veranlassten besonderen Gestalt anderweit nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten oder Preisnachlässen absetzen kann.”

Keine Individualisierung

Nachdem sich das Gericht mit der Zumutbarkeit der Rücknahme beschäftigt hat, wurde noch die Frage beantwortet, ob der Verbraucher die vorliegenden Kompletträder bei der Bestellung überhaupt individualisiert hatte.

Diese Frage verneinte das Gericht, weil der Verbraucher letztlich Standard-Räder bestellte. Das zeige schon, dass die bestellten Kompletträder auf mehrere Fahrzeugmodelle passten.

Kein Substanzverlust beim Trennen

Außerdem würden die Komponenten beim Trennen von Felge und Reifen keinen Substanzverlust erleiden oder gar mangelhaft werden.

“Zutreffend trägt der Kläger vor, dass der Reifen im drucklosen Zustand mit der hierfür vorgesehenen Aufziehvorrichtung leicht von der Felge entfernt werden kann.

Diese Maßnahme ist nicht substanzeingreifend, da der Reifen aus elastischem Material besteht, das extrem ermüdungsarm ist. Zu dem trifft es zu, dass die Trennung des Reifens von der Felge keine auch nur annähernd so intensive Belastung darstellt, wie sie beim normalen Fahrbetrieb auf den Reifen einwirkt.

Dies ergibt sich im Übrigen nach der allgemeinen Lebenserfahrung bereits daraus, dass man Sommer- wie Winterreifen über gut 2 Jahre hinweg im Wechsel auf die Fahrzeugfelgen aufziehen lassen kann, ohne dass der Reifen, die Felge oder das Rad insgesamt Schaden nehmen würde, der die weitere Benutzung verhindert oder einschränkt.”

Wiederverkauf der Räder

Der Beklagte hatte auch damit argumentiert, dass er die zurückgenommenen Räder nicht erneut verkaufen könne.

Dieses Argument ließ das Gericht jedoch nicht gelten, weil der Händler nicht im Ansatz nachgewiesen hatte, dass dem wirklich so sei.  Denn der Händler hatte sich lediglich an seinen Vorlieferanten gewendet. Dabei handele es sich aber nicht um eine Weiterveräußerung. Der Händler hätte die Räder vielmehr tatsächlich zum Verkauf anbieten müssen.

AGB des Händlers

An diesem Ergebnis änderten auch die AGB des Händlers nicht, da die entsprechende Klausel zum Ausschluss des Widerrufsrechtes unwirksam war.

Online-Händler können das Widerrufsrecht nicht zum Nachteil des Verbrauchers einschränken. Maßgeblich für die Ausnahmen des Widerrufsrechtes sind allein die gesetzlichen Vorschriften.

Fazit

Nach dem LG Hannover hat sich nun ein zweites Gericht mit dem Widerruf bei der Bestellung von Kompletträdern beschäftigt. In beiden Fällen war der Vortrag des Händlers jeweils nicht ausreichend, um von einer Kundenspezifikation zu sprechen. Allerdings wird es einem Händler auch sehr schwer fallen, eine Individualisierung nachzuweisen. Letztlich werden nur zwei Standard-Komponenten mit einander verbunden, die dazu auch leicht wieder voneinander zu trennen sind.

Das Urteil zeigt weiter, dass Händler vorsichtig bei der Formulierung über die Ausnahmen vom Widerrufsrecht sein sollten. Zum einen haben Abweichungen vom Gesetz keinerlei Wirkung für den Verbraucher und zum anderen hätte die hier vom Händler verwendete Klausel auch abgemahnt werden können, weil sie so nicht korrekt war.

Auch nach neuem Recht wäre die Entscheidung wohl nicht anders gefallen, weil die Kriterien zur Beurteilung einer Kundenspezifikation grundsätzlich die gleichen beglieben sind. Hier dürfte es an eine individuellen Auswahl (so heißt das Kriterium seit 13. Juni 21014) gefehlt haben. (mr)

Auf die Formulierung kommt es an…

In Online-Shops liest man immer wieder Abweichungen von den gesetzlichen Vorschriften zu den Ausnahmen vom Widerrufsrecht. Oft steckt dahinter keine böse Absicht, Händler wollen damit nur versuchen, den Kunden die Ausnahmen zu erklären. Da hier die große Gefahr von Abmahnungen lauert, sollte man sich immer an den gesetzlichen Wortlaut halten.

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Bildnachweis: Sebastian Duda/shutterstock.com

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