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Prozesse: Teile und herrsche!

Seit vergangenem Sommer ist – allen kritischen Mahnungen zum Trotz – das Thema „Same Day Delivery“ etwa so VC-relevant geworden wie Deal- und Coupon-Konzepte vor drei Jahren. Die Ansätze liegen nicht weit voneinander entfernt, jeweils aber mit einem gewissen eigenen „Twist“.

In den neuen Microsoft Ventures Accelerator, der quasi in Sichtweite vom bvh eröffnet wurde, zieht u.a. mylorry.com.

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“MyLorry ist die erste kostenfreie Smartphone- und Desktop-Applikation, mit der Sie spontan einen Transporteur in ihrer unmittelbaren Umgebung beauftragen können. Ein ’Lorry’ ist das Transportmittel, mit dem der Transporteur unterwegs ist. Ob Fahrrad, Moped, Kombi oder Transporter etc. – jedes Transportmittel ist erlaubt, um Ihre Sendung schnell und vor allem sicher an ihr Ziel zu bringen.”

In einem Radius von 30 km – also gut für die Stadtfahrt – kostet eine kleine Sendung fünf Euro, eine XL-Sendung nur 15 Euro. Hinsichtlich der Qualität optimiert mylorry die Liefertreue: je exakter der Kurier liefert, um so mehr Aufträge bekommt er künftig. Die Abrechnung erfolgt „in-App“, und der Fahrer berappt pro Auftrag 15 Prozent Provision an die Betreiber.

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Start-ups machen Druck

Um sieben Millionen Euro Werbeleistung auf den Pro7Sat1-Medien hat am vergangenen Freitag u.a. checkrobin.com gepitcht. Das Wiener Startup will „Crowd-Logistics“ möglich machen – Privatleute öffnen gegen einen Fahrtkosten-Zuschuss (aktuell zwischen 9 und 29 Euro) ihren Kofferraum. Die steuerliche Berücksichtigung solcher Zusatzeinkünfte ist sicher ebenso ein Thema wie Haftungsfragen und allgemeine Sicherheitsbedenken.

mytaxi wiederum nutzt mit “myTaxi Delivery” die inzwischen etablierten Beziehungen zu den Fahrern und einigen Innungen, um die bestehende Infrastruktur für kurzfristige Kurierdienste weiterzunutzen. Und angesichts der z.T. langen Wartezeiten ist das für Taxifahrer auch bei ggf. geringeren Tarifen eine Überlegung wert.

Same Hour Delivery Mit mytaxi Delivery gibt mytaxi internationalen Händlern eine Software an die Hand, die es ermöglicht, Ware innerhalb einer Stunde oder zum Wunschtermin zu liefern. Die Instant Delivery Software kann sowohl von Webshop- Betreibern, überregionalen Händlern mit stationärem Filialnetz, als auch von einzelnen Händlern in das Service-Angebot integriert werden. Als größte Taxiflotte Europas greift mytaxi auf ein Netzwerk von über 35.000 angeschlossenen Lieferanten zu. Bis Ende 2013 soll mytaxi Delivery generell für internationale Händler verfügbar sein.

Die Hoffnungen der Startups sind nicht unberechtigt: DPD hat sich im Jahresverlauf am deutschen Same Day-Pionier Tiramizoo beteiligt und DHL entwickelt eigene Lösungen, die Zeitfenster und taggleiche Zustellung anbieten. Ebay hat in England das Tiramizoo-Vorbild shutl.com übernommen.

Ganz unabhängig davon, ob Same Day Delivery jemals die umwälzende Bedeutung bekommt, die manche sich davon versprechen, erhöht das Angebot den Druck auf rasche und verlässliche Zustellung. Warten war gestern. Wenn man sich ansieht, was die Menschen vom Kauf im Onlinehandel heute noch abhält, rücken die Prozesse immer stärker in den Fokus. Denn nicht die tatsächliche Lieferzeit ist das Problem, sondern die mangelnde Transparenz und Granularität in den verschiedenen Phasen der Lieferung.

Geschwindigkeit ist immer dann ein Thema, wenn es um Ersatz geht – sonst zieht der Kunde nachweislich eine vollständige Lieferung vor. Damit wird aber die ohnehin schon unrentabelste Konstellation der Versandlogistik – der Einpöster – noch um den Vorteil des Batchens im Pick-Prozess gebracht. Diese Kosten kommen zum eigentlichen Mehrkostenblock der Versandspesen noch hinzu.

Bei Kiveda zum Beispiel erfolgt das Aufmaß der Küche laut Geschäftsführer Michael Börnicke ausschließlich durch die Kiveda-Mitarbeiter. Der Aufbau wird hingegen von Hermes übernommen. Der Gedanke scheint unzulässig, dass man den Prozess vorne genau so einem Partner übertragen könnte wie im eigentlichen Fulfillment. Genauso könnte die Produktberatung per Video bei Butlers von jemandem erbracht werden, der nicht in den teuren Innenstadtlagen, sondern günstiger in den Randgebieten arbeitet. Übrigens wäre dies auch leichter skalierbar – das hat die Callcenter-Branche bewiesen.

“Arrival Control”

Wenn man sich die Zustell-Logistik ansieht, dann ist es das eine Interesse des Händlers, möglichst wenige Fahrzeuge mit möglichst vielen Küchen oder Möbeln zu füllen. Andererseits begrenzt die Aufbauzeit die rechnerisch mögliche Zahl der Stopps und damit wieder um die Tourenplanung und Auslastung der Wagen. Transparenz in den Prozessen könnte auch bedeuten, den Prozess der Lieferung und den des Aufbaus voneinander zu trennen, aber mit den Mitteln des Internet zu verknüpfen.

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Genau so eine Lösung hat T-Systems unter dem Namen „Arrival Control“ vorgestellt. Das ist nichts anderes als ein Kommunikationsinstrument, das Treffpunkte flexibel optimiert.

Da Standort-Informationen heute mit jedem Smartphone übertragen werden können, kann (und muss) die Disposition heute flexibler Routen nachjustieren oder auch solche Teilprozesse auf unterschiedliche Teams aufteilen. Cyberport macht das mit einfach-machen-lassen.de heute schon vor. Physisch werden Leistungen entkoppelt, aber über Daten und Schnittstellen wieder miteinander verklammert. Das Service-Erlebnis für den Kunden steigt in dem Maß, wie er die Zustellung und den Aufbau oder Anschluss als von ihm kontrollierbar und zeitlich harmonierend wahrnimmt.

Neulich stelle ich den beschriebenen Ansatz einer Arbeitgemeinschaft von Neumöbel-Logistikern vor. Diese berichten von einem rasanten Anstieg der online verkauften Möbel, die ihre Systeme, die auf das klassische Streckengeschäft „Möbelhaus – Hersteller – Kunde“ ausgerichtet sind, massiv herausfordern. Denn wer die Ware im Vorfeld nicht live gesehen hat, hat häufig schon ein Problem damit, die Ware überhaupt ins Haus zu bekommen. Die Logistikpartner könnten hier schon im eigenen Interesse mehr Aufgaben übernehmen – wenn sie denn auch bezahlt würden. Und das wiederum ist nur dann möglich, wenn die Mehrkosten wegen einer intelligenten Prozessorganisation so gering wie möglich ausfallen.

Das klingt so, als würde ich der erst vor einigen Wochen von mir kritisierten Auflösung klassischer Leistungsbündel des Handels hier Vorschub leisten. Stimmt, aber nur zum Teil. Es geht nicht mehr darum, ein Produkt anzubieten, sondern einen Prozess “unique” zu gestalten. Wenn die Beratungs- oder Aufbauleistung eines Kiveda oder Butlers sich per se nicht “branden” lässt, dann muss die Leistung smarter, sprich: mit weniger Friktionen für den Kunden und weniger Kosten für den Anbieter, erbracht werden. Teilen und herrschen kann hier der bessere Ansatz sein.

Über den Autor:

Martin Groß-Albenhausen ist Geschäftsführer der BVH Service GmbH in Berlin und betreut im Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH) die Themen e-Commerce, Social Media und Marketing. Zuvor war er 13 Jahre Chefredakteur und Herausgeber des Branchendienstes “Versandhausberater”.