Jahr für Jahr fließen immer größere Umsantzanteile aus dem stationären Handel in den E-Commerce. Die Auswirkungen dieser Entwicklung würden vor allem Ladeninhaber in B- und C-Lagen schmerzhaft zu spüren bekommen und die Innenstädt veröden. Dies prophezeien Branchenkenner.
Auch in Deutschland nimmt die Sorge zu.
“Das Internet wirkt wie ein Brandbeschleuniger im Strukturwandel des Handels.” “Der Online-Handel bedroht Immobilienbesitzer.” oder “Den Klein- und Mittelstädten droht die Verödung”.
Diese und andere Schreckensszenarien sind seit einigen Monaten oft zu hören. Es geht um den Strukturwandel im klassischen Einzelhandel durch das fortschreitende Wachstum im E-Commerce.
Aktuell hat Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilienanalyse bei der Credit Suisse, sich zu diesem Thema in der Neuen Züricher Zeitung zu Wort gemeldet und zeichnet ein düsteres Bild von leeren Einkaufsstraßen und einer Konzentration des Handels auf das Internet und einige wenige A-Lagen:
“Überschlagsrechnungen gelangen zum Schluss, dass bis zu einem Drittel der bestehenden Verkaufsflächen [in der Schweiz d.Red,] direkt durch den Online-Handel bedroht sind und innert 15 Jahren verschwinden dürften. Damit stellt sich die Frage nach einer Alternative für solche Flächen noch dringender.”
Auch in Deutschland geht das Gespenst von der öden realen Welt um.
“Bis zum Jahr 2011 verlief das Wachstum im Onlinehandel zu Lasten der Katalogversender, seit 2012 knapsen die kontinuierlich zweistelligen Wachstumsraten des E-Commerce auch an der Umsatzsäule des stationären Handels – dieser Trend wird anhalten”, ist sich Manuel Jahn, Marktforscher bei der GfK Geomarketing sicher.
Online-Wachstum größer als gedacht
Dass das Thema bislang kaum in der (Fach)Öffentlichkeit wahrgenommen worden sei, liege an der “kaschierenden” Informationspolitik beim Handelsverbands HDE und des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels (bvh). Beide Verbände würden, so lautet die Kritik von Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Centers an der Hochschule Niederrhein, in ihren Statistiken von einem viel zu geringem Wachstum im Online-Handel ausgehen.
Verglichen mit den Non-Food-Umsätzen des stationären Einzelhandels habe der E-Commerce mittlerweile einen Anteil am gesamten Branchenumsatz von mehr als zwölf Prozent. Dies entspräche einem Wachstum im Vergleich zum Vorjahr von 27 Prozent, so der Wissenschaftler. Das vom HDE ausgewiesene Wachstum in Höhe von 12,1 Prozent sei dagegen “unerklärlich”, so Heinemann weiter.
Konzentration im stationären Handel
Nach Ansicht von Dr. Wolfgang Link, Vorsitzender der Geschäftsführung von Toys “R” Us, werde der stationäre Einzelhandel zukünftig immer stärker in 1a-Lagen der Großstädte abwandern und eine Sortimentskonzentration nachsichziehen.
“Spielwaren sind aus der 1a-Lage fast komplett verschwunden, das lohnt sich nicht mehr. Es sind nur noch die Textilhändler, die die notwendigen Flächenproduktivitäten erzielen können.”
Auch bei Starbucks registriert man diese Entwicklung. Die 1a-Lagen könne sich die Kaffeehauskette oft nicht mehr leisten sekundiert Wilhelm Odwarka, Expansionsleiter bei Starbucks für die EMEA-Region.
Wie prekär die Situation bereits in manchen deutschen Städten ist, wird bei Karstadt und Hertie deutlich. Nach Aussage von Dr. Gert Hessert, Geschäftsführender Gesellschafter von Think Development und langjähriger Manager bei Hertie und Karstadt, sei für 93 von 196 Warenhausstandorten eine Schließung die sinnvollste Lösung. Sie seien nicht rentabel zu betreiben.
Was macht der Online-Handel?
Folgt man diesen Szenarien bis zum bitteren Ende, bleibt aber noch die Frage offen, welchen Stellenwert der stationäre Handel für Online-Händler haben wird. Denn mittlerweile testen einige Shopbetreiber, ob und wie sich ihr digitales Geschäftsmodell um den Faktor Ladengeschäft erweitern lässt.
Online-Händler, die beispielsweise mit Pop-up-Stores arbeiten wollen, müssen sich darüber klar werden, dass auch sie nur in 1a-Lagen erfolgreich werden können. Denn nur dort wird sich eine genügend hohe Besucherfrequenz ergeben, um das Ladengeschäft aus sich heraus profitabel zu machen, selbst wenn es nur für eine kurze Zeit – eben als Pop-up-Store – zur Verfügung steht.
Als Bekleidungshändler mit speziellerem Sortiment bin ich trotz Ladengeschäft (B-Lage) zwar auch auf den Onlinehandel angewiesen, jedoch habe ich auch einen großen Teil an Ladenkunden, die explizit lieber im Geschäft einkaufen, weil sie hier die Ware anprobieren und fühlen können und mit Umtausch- und Rücksendestress im Onlinehandel nichts zu tun haben wollen. Stationärer Handel und Onlinehandel bilden bei mir eine Symbiose, beides geht nicht ohne den anderen Teil.
Stimme meinem Kollegen in allen Punkten zu. Der Kunde bestimmt, wohin die Reise geht. Wenn alle nur noch online kaufen wollten, bitte. Es gibt aber eine bestimmte Zielgruppe, die “geht gern shoppen”. Dazu braucht es die Einkaufsstraße oder wahlweise das Shoppingcenter.
“Der Online-Handel bedroht Immobilienbesitzer.” Süß, in unserem Viertel bedrohen Immobilienbesitzer eher den stationären Handel.
So lange sich manche Einzelhändler/Verkäufer weiterhin benehmen, als würde sich die Kundschaft nicht ändern und der Kunde ist Bittsteller, wird es in der Tat schwierig. Irgendwann sieht es dann so aus, wie in Königswinter, wo sich eine ganze Stadt mit dem Wandel der Zeit schwer tut.
Ich wage mal einen visionären Ausblick:
Der “Einzelhandel” wird und muss sich wandeln zum Beratungsgeschäft. Kunden können probieren, anfassen, beraten lassen. Alles das, was sich im Versand schwierig bis unmöglich gestaltet. Jedoch nimmt der Kunde die Ware nicht mehr vom Geschäft mit nach Hause, sondern bekommt es geliefert. Vorteile für Ladeninhaber: Kaum Lagerfläche notwendig, Mehr Konzentration auf das Erlebnis “Einkaufen” für den Kunden, freiere Gestaltung der Ladenflächen, mehr unterschiedliche Prdoukte möglich und bei Einkaufsgenossenschaften weniger Bindung von Kapital für evtl. Ladenhüter.
Das ist Quark. Kunden welche im Ladengeschäft anfassen ausprobieren und sich beraten lassen nehmen entweder die Ware mit oder nehmen die Beratung ohne ein Danke entgegen gehen und dann vor die Tür und bestellen online bei Amazon 😉
Mein 1. Gedanke bei dem Satz ““Der Online-Handel bedroht Immobilienbesitzer.” war, dass die Mieten für die Immobilien / Ladengeschäfte erstmal drastisch sinken sollten, damit man es sich evtl. doch nochmal überlegen könnte, ob es sich lohnen würde den Laden um die Ecke zu mieten. Aber ich finde viele Ladenmieten sind einfach überzogen hoch. Vielleicht sollte da auch ein Umdenken der Immobilienbesitzer stattfinden, wie sie ggfl. jemanden in den Laden bekommen. Ein vermieterter Laden bringt nunmal etwas rein, ein nicht vermieteter Laden bringt garnichts rein und verkommt womöglich noch.
@Sylvia: Das ist zur Zeit so, wie Du es schilderst, wird sich aber in Zukunft ändern.
Heute ist es so, dass ich mir etwas online bestellen kann und in den Laden liefern, um es dort dann zu probieren. Das ist m.E. “Quark”.
Achte mal auf andere Länder und das Einkaufsverhalten. In den USA ist es inzwischen schon ein Standardservice, dass ich Sachen kaufe, aber nicht direkt mitnehme, sondern der Laden schickt mir einen Lieferservice, damit ich nicht mit meinen Einkäufen belastet rumrenne.
Meine Vision ist also nicht so weit weg.
@Frau P: Das sind auch meine Gedanken, wenn ich die sterbenden Einkaufsstraßen in den Ortsteilen sehe, wobei ich nicht weiß, welche Kosten dem Immobilienbesitzer zusätzlich seitens der Behörden aufs Auge gedrückt werden, die er irgendwie wieder umlegen muss. Ich kenne das von anderen Bereichen, wo für ein und dieselbe Leistung seitens der Kommunen je nach gewählter Unternehmung verschiedene Steuern und Gebühren genommen werden.
Allein ein “Reisegewerbe” anzumelden, was man meines Wissens z.B. für Märkte benötigt, kostet das zehnfache von dem, was ein “normaler” Gewerbetreibender zahlen muss.
Ist aber auch nur eine Vermutung, dass es bei den Immobilien ähnlich ist.
Insgesamt wird sich auch der Versandhändler in den nächsten Jahren einiges einfallen lassen müssen, denn die Hersteller haben die Möglichkeiten des direkten Kundenverkaufs schon lange entdeckt und werden somit zum direkten Mitbewerber. Hier kann der Versandhandel ohne eigene Produktion evtl. durch die Offline-Präsenz punkten und den Hersteller als Dropshipping nutzen.
Ich arbeite in in einer Kleinstadt, bei der der “demografische Wandel” schon lange Realität ist, mit entsprechenden Auswirkungen auf den EZH. Ich vertrete die Auffassung, die Händler sollten den Onlinehandel nicht nur als Teufelszeug für alles Ungemach verantwortlich machen, sondern sich wie “Dunkelwelt” dem geänderten Kundenverhalten anpassen und ernsthaft über einen Webshop als 2. Standbein nachdenken. Örtliche Aktionen mit Plakaten, demonstrativ zugeklebten Schaufenster pp., die die Kunden ermahnen, wie es denn in seiner Stadt aussehen könnte, wenn er bei Amazon, Zalando & Co. einkauft , helfen sicher nicht – Service, Beratungsqualität und das Einkaufserlebnis müssen betont werden. Der Kunde läßt sich nicht ermahnen, sondern muss überzeugt werden.
Zu den Mieten: Ich stimme grundsätzlich zu, dass eine niedrigere besser als keine Miete ist. Aber es muss auch Geld in die Kasse, um die Immobilien zu unterhalten, sonst droht in der Tat das Verkommen. Das Problem von unrealistischen Forderungen kenne ich aber auch.
Teilweise lässt man die Immobilien lieber leer stehen und verkommen anstatt von überzogenen Mietpreisen runterzukommen…
Und wie vorher schon gesagt wurde, es gibt viele Leute die gehen gern shoppen und brauchen das Erfolgserlebnis einer gefüllten Einkaufstasche am Besten sofort. Gerade über Facebook hat auch der stationäre Handel einen guten Ansatz um Kunden in den Laden zu locken – aber man muss sich mittlerweile eben schon mal ein bißchen mehr einfallen lassen. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass man bei Onlinehändlern telefonisch besser beraten wird als im Laden, weil dort nur noch Verkäufer stehen die resigniert haben. Die Lage ist sicher schwer, aber gerade deswegen zählen gute Ideen umso mehr.