Seit 15. Februar 2016 ist die sog. OS-Plattform der EU-Kommission online, über die Verbraucher Streitigkeiten mit Unternehmern melden können – und damit mehr als einen Monat später als gesetzlich vorgesehen war. Jetzt meint die EU-Kommission: Die Plattform komme gut an bei den Verbrauchern. Die wichtigste Zahl verschweigt die Kommission aber.
Für Online-Händler startete das Jahr 2016 mit einer neuen Abmahnfalle, geschaffen von der EU. Händler mussten auf eine Plattform hinweisen, die es noch gar nicht gab. Grund dafür: Die EU-Kommission war schlicht nicht in der Lage ihre gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen und die Plattform pünktlich online zu stellen.
Händler wurden abgemahnt, wenn sie den Link noch nicht im Shop nannten, obwohl es die Plattform noch nicht gab. Das LG Bochum zauberte dafür eine abenteuerliche Begründung aus dem Hut.
Kommission: “Plattform ist ein Erfolg”
Gut ein Jahr ist die Plattform jetzt also online. Aus diesem Anlass hat die EU-Kommission eine Pressemitteilung herausgegeben, in der unter anderem die Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung (Věra Jourová) zu Wort kommt:
“Dieses neue Hilfsmittel befindet sich zwar noch in einer frühen Phase, aber wir können trotzdem schon feststellen, dass die Online-Streitbeilegungs-Plattform von den Verbrauchern gut angenommen wurde.
Wir stellen außerdem fest, dass die simple Tatsache, dass ein Verbraucher die Plattform nutzt, für die Unternehmer oft Anreiz genug ist, die Streitigkeit beizulegen.
Wir geben den Verbrauchern ein praktisches Hilfsmittel an die Hand, um sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte in der Praxis zu unterstützen. Andererseits können auch Unternehmer nur von dieser Plattform profitieren und sollten sie stärker nutzen. Insbesondere für Online-Unternehmer ist es wichtig, dass potenzielle Kunden sie für zuverlässig halten.
Die Nutzung dieses Tools kann ihnen dabei helfen, das Vertrauen der Verbraucher zu erwerben und diesen gleichzeitig ein einfaches und schnelles Mittel zur Streitbeilegung an die Hand zu geben.”
“Gut angenommen” behauptet die Kommissarin.
24.000 Verbraucher nutzten die Plattform
Weiter heißt es dann, dass 24.000 Verbraucher diese Plattform im vergangenen Jahr nutzten. Bei rund 510 Millionen Einwohner innerhalb der EU also 0,004 % der europäischen Verbraucher.
Die Zahl der nutzenden Verbraucher ist allerdings nicht geeignet, einen Erfolg oder Misserfolg der Plattform festzustellen. Die wichtigste Zahl bleibt die Kommission schuldig: Wie hoch ist der Anteil der geschlichteten Beschwerden?
Und wie hoch ist der Anteil an eingereichten Beschwerden, bei denen der Unternehmer die Rückmeldung gegeben hat, er wird an einem Schlichtungsverfahren nicht teilnehmen?
Verfahrenskosten trägt der Händler
Das Schlichtungsverfahren mag ja grundsätzlich eine gute Idee sein, hat aber zwei entscheidende Fehler.
Zum einen kostet es den Verbraucher nichts, nur der Händler muss zahlen, selbst wenn er am Ende Recht bekommt. Sicher der Hauptgrund, weshalb viele Unternehmer an einem Schlichtungsverfahren nicht teilnehmen möchten und werden.
Zum anderen ist immer eine Schlichtungsstelle in dem Land, in dem der Händler sitzt für die Beschwerde zuständig. Klagen des Verbrauchers könnten aber immer in seinem eigenen Mitgliedstaat eingereicht werden. In Klage-Fall würden sich dann also Leute mit dem Fall beschäftigen, die sich auch in der Rechtsordnung des Verbraucherstaates auskennen.
Händler und Verbraucher müssen ihren “Streit” im Schlichtungsverfahren aber von jemandem lösen lassen, der im Zweifel nicht weiß, welche gesetzlichen Regelungen dazu in dem Mitgliedstaat des Verbrauchers gelten.
Neue Informationspflichten geplant?
In der Pressemitteilung kündigt die Kommission weitere Schritte für 2017 an:
“Die Kommission wird gegen Ende 2017 einen ersten ausführlichen Bericht über die Funktionsweise der Plattform erstellen.
Sie plant für 2017 weitere Maßnahmen, um mehr Unternehmer zur Mitarbeit zu bewegen und die Plattform bei Verbrauchern bekannter zu machen.
Darüber hinaus wird die Kommission die Benutzerfreundlichkeit der Plattform verbessern und überwachen, ob die Händler sich an ihre Verpflichtung halten, einen Link zu der Plattform auf ihrer Website bereitzustellen.”
Die Kommission will die Plattform also noch bekannter machen. Das klingt bedrohlich nach neuen und weiteren Informationspflichten als ohnehin schon bestehen.
Fazit
Ob die Plattform ein Erfolg ist oder nicht, lässt sich der Pressemitteilung der EU-Kommission nicht entnehmen, weil die entscheidenden Zahlen fehlen. Jeder Unternehmer muss selbst entscheiden, ob er an Streitschlichtung mitmachen will. Er sollte dabei immer die Kosten des Verfahrens in die Entscheidung einfließen lassen. Sollte die Kommission bezüglich der Streitschlichtung neue Informationspflichten auf den Weg bringen, werden wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten. (mr)
[hubspotform whitepaper=”true” title=”Kostenloses Whitepaper – Streitschlichtung: Neue Infopflichten seit 1. Februar 2017″ image_path=”” image_text=”Seit 1. Februar 2017 sind neben dem Hinweis auf die OS-Plattform noch weitere Informationspflichten für Online-Händler hinzugekommen. Wer diese nicht erfüllt, begibt sich in das Risiko von Abmahnungen. In unserem Whitepaper haben wir nochmals alle Informationen zusammengefasst und Sie erhalten kostenlose Muster zum Einsatz in Ihrem Shop.” copy_text=”” portal_id=”603347″ form_id=”1cb2bb7e-616a-4db8-b390-0bc158d9902a” css=””]
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Über den Sinn und Unsinn der Schlichtung kann man sicherlich streiten. Gut klar wird in dem Beitrag aber wo das eigentliche Problem liegt. Nicht in der Schlichtungsregelung, nicht in der Informationspflicht, sondern in der Gefahr von Abmahnung. Und so ist das bei jeder neuen gesetzlichen Regelung. Kurzer Absatz über die Regelung und schon sind wir beim Thema Abmahnungen. Es muss langsam aufhören, dass Anwälte im Prinzip Schlag Mitternacht nachdem eine neue gesetzliche Regelung existiert auf Opfersuche gehen und dann Abmahnungen verteilt werden nur weil nicht genau klar ist ob der Text jetzt ins Impressum oder in die AGB soll oder ob ein Internetadresse anklickbar sein soll oder nicht. Da hat sich ja eine regelrechte Industrie drumherum gebildet. Auf der einen Seite die Abmahner, auf der anderen Seite die Anwälte die mit umgehend aktualisierten suchmaschinenoptimierten Texter die Abmahnopfer in Google abfangen.
Abenteuerlich, wie die Kommission die Plattform als “Erfolg” verkauft, ohne eine Kennzahl zu nennen. Bedeutet “benutzt” evtl. nur “geklickt”? Dinge, die man nicht greifen kann, können immer leicht als Erfolg verkauft werden, anders als z.B. die Fertigstellung eines Flughafens.
Es ist sicherlich eine feine Geschichte, wenn es vor einem juristischen Streit die Möglichkeit einer Streitbeilegung gibt. Ich frage mich nur, ob alle (möglichen) Beteiligten an einem solchen Verfahren damit verantwortungsvoll umgehen können. Wenn das System als vertrauensbildende Maßnahme wirklich funktioniert, dann kann ich mir vorstellen, dass wir auch daran teilnehmen werden.
Aber mit jeder Neuregelung gleich einem Abmahnrisiko ausgesetzt zu sein, ist auch nicht im Sinne des Verbraucherschutzes.
Damit auch Onlinehändler profitieren, wäre eine Schlichtung anstelle von Abmahnungen mal eine Alternative. Schon bei den aktuellen gesetzlichen Informationspflichten muss man schon mehr Rechtsanwalt als Kaufmann sein.
Wenn es so weiter geht, können kleine Shops bald schließen, da jeglicher Gewinn für Abmahnungen gespart werden muss. Ist es wirklich im Sinne der Gesetzgeber, dass Arbeitsplätze dafür verloren gehen?