Immer mehr Gerichte müssen sich mit der Zulässigkeit von Äußerungen und Notenvergabe in Bewertungssystemen beschäftigen. Das LG Kiel entschied nun, dass kein Anspruch auf Löschung von schlechten Noten in einem Bewertungsportal besteht, da dies immer zulässige Meinungsäußerungen sind.
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In dem Streit vor dem LG Kiel (Urt. v. 6.12.2013, 5 O 372/13) ging es um die Zulässigkeit einer Bewertung auf einem Bewertungsportal im Internet. Kläger in dem Fall war zwar ein Arzt, der sich gegen eine negative Bewertung zur Wehr setzte, das Urteil hat aber auch Bedeutung für Online-Händler, die negativ bewertet wurden.
In dem Portal musste sich ein User vor einer Bewertung registrieren und bei Abgabe der Bewertung ausdrücklich bestätigen, dass er von dem Arzt behandelt wurde. Außerdem musste man seine Bewertung im Rahmen einer Double-Opt-In Mail bestätigen.
Die Bewertungen selbst erfolgten in verschiedenen Kategorien (z.B. Behandlung, Aufklärung, Freundlichkeit, Wartezeit Praxis, Telefonische Erreichbarkeit) im Schulnoten-System. Der klagende Arzt erhielt dabei verschiedene Noten in den unterschiedlichen Kategorien (z.B. eine 1,0 in Wartezeit Praxis, eine 6,0 in Vertrauensverhältnis etc.). Außerdem ein Bewertungstext (diese ist im Urteil nicht widergegeben, sodass keine näheren Auskünfte zu dessen Inhalt gemacht werden können).
Auf die Beanstandungen des Arztes hin löschte das Portal den Bewertungstext. Die Noten allerdings nicht.
Der Arzt war der Meinung, dass seine schlechten Noten in den Punkten “Behandlung”, “Aufklärung”, “Praxisausstattung” und “telefonische Erreichbarkeit” unwahre Tatsachenbehauptungen dar und würden gar den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen.
Außerdem bestritt er, dass die Bewertung tatsächlich von einem Patienten stamme. Vielmehr könne jeder beliebige Dritte eine Bewertung abgeben und das Qualitätsmanagement des Bewertungsportals könne nicht sicherstellen, dass ausschließlich Patienten Bewertungen abgeben.
“Die Beklagte ist der Ansicht, weder Verletzerin noch Störerin zu sein. Die Beklagte treffe als Host-Provider nach der einschlägigen Rechtsprechung keine Haftung. Die Beklagte trägt weiter vor, dass der Autor der streitgegenständlichen Bewertung auf Rückfrage der Leiterin des Qualitätsmanagements der Beklagten eine ausdrückliche Bestätigung der Bewertung vorgelegt habe. Eine weitere Präzisierung der behaupteten Rechtsverletzung durch den Kläger sei nicht erfolgt.”
Kein Anspruch auf Löschung
Die Klage auf Löschung der Noten hatte keinen Erfolg.
Ein entsprechender Anspruch ergibt sich nicht aus § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BDSG, so das Gericht. Danach wären personenbezogene Daten zu löschen, wenn deren Speicherung unzulässig ist.
Die Bewertung enthielt zwar personenbezogene Daten, die Speicherung war jedoch zulässig.
“Die Speicherung der Bewertung ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BDSG dann zulässig, wenn ein Grund zur Annahme eines schutzwürdigen Interesses an dem Ausschluss der Datenerhebung und -speicherung nicht gegeben ist. Dies ist hier der Fall.
Der Anwendungsbereich des § 29 BDSG ist vorliegend eröffnet, da die gespeicherten Daten ungeachtet weiterer verfolgter Zwecke der Beklagten jedenfalls auch der Übermittlung dienen, nämlich der Information der interessierten Nutzer bzw. der Allgemeinheit.
Die Prüfung, ob ein schutzwürdiges Interesse vorliegt, verlangt eine Abwägung zwischen dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der einen Seite und dem Recht auf Meinungs- und Kommunikationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG auf der anderen Seite.
Die Abwägung ergibt, dass dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit der Vorrang einzuräumen ist, so dass ein schutzwürdiges Interesse des Klägers i.S.d. § 19 BDSG nicht besteht.”
Es stand für das Gericht außer Zweifel, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers betroffen war. Die Bewertung bezog sich aber auf die berufliche Tätigkeit des Klägers als Arzt, weshalb lediglich die sog. Sozialsphäre betroffen war, die im Verhältnis zur Intim- oder Privatsphäre nicht gleichermaßen geschützt ist.
“Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind.”
Notenbewertungen sind Meinungsäußerungen
Die Notenbewertungen konnten auch deswegen nicht gelöscht werden, weil es sich hierbei um Meinungsäußerungen handelte.
“Tatsachenbehauptungen unterscheiden sich von Meinungsäußerungen und Werturteilen dadurch, dass bei den Letztgenannten die subjektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund steht, während für Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch ist.
Für die Einstufung als Tatsachenbehauptung kommt es wesentlich darauf an, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen und Werturteilen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen.”
Werturteile und Meinungsäußerungen fallen grundsätzlich unter den Schutz des Art. 5 GG, sofern die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten ist.
Geschützt sind auch Äußerungen, die einen tatsächlichen Kern aufweisen, sich aber Tatsachen und Meinungen vermischen und insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind, so das Gericht weiter.
So lag der Fall hier.
Die bewerteten Kriterien knüpfen zwar an einen Tatsachenkern an.
“Die Bewertung dieses Tatsachenkerns in der Form von Noten stellt aber ein Werturteil dar, das von der Meinungsfreiheit geschützt ist.”
So wurde z.B. gerade nicht gesagt, dass der Kläger nicht über ein bekanntes Risiko einer von ihm empfohlenen Behandlungsmethode aufgeklärt habe. Vielmehr wurde der Punkt “Aufklärung” mit einer 5, also mit mangelhaft bewertet.
“Die Note 5 bringt eine persönliche Meinung zum Ausdruck, die auch irrational oder nicht nachvollziehbar sein kann, die aber gerade nicht objektiv ist und dies auch nicht sein muss. […]
Ob ein Dritter etwas für gut oder ausreichend oder schlecht befindet, ist stets der persönlichen Einschätzung und Überzeugung und damit der eigenen, subjektiven Meinung geschuldet. Nicht anders verhält es sich bei der Vergabe von Noten, die einem Äquivalent von “gut” oder auch “mangelhaft” entsprechen.
Dass diese Schulnoten ohne den ursprünglichen zugehörigen begleitenden Bewertungstext gänzlich isoliert wahrgenommen werden, unterstreicht den Charakter des persönlichen Werturteils zusätzlich.”
Anonyme Nutzung ist möglich
Das Argument des Arztes, dass jeder beliebige Dritte, der kein Patient war, eine Bewertung abgeben könne, akzeptierte das Gericht ebenfalls nicht.
Die Möglichkeit einer anonymen Bewertung sei zulässig, so das Gericht. Es folgte damit der Auffassung des OLG Frankfurt a.M.
“Zwar ist es auch nach dem von der Beklagten dargestellten System des Qualitätsmanagements aufgrund der dennoch gewährleisteten Anonymität ersichtlich nicht ausgeschlossen, dass das Bewertungssystem missbräuchlich verwendet werden kann, um einem Arzt zu schaden.
Dies muss aber letztlich hingenommen werden, um einen effektiven Schutz der Meinungsfreiheit zu garantieren. […]
Eine Beschränkung der Meinungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht vereinbar.
Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furch vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen eine Selbstzensur vornimmt und davon absieht, seine Meinung zu äußern.”
Abschließend äußert das Gericht im Urteil noch Verständnis für die Sorge, Verärgerung und den Frust des Klägers über die negative Bewertung.
“Dennoch muss im Rahmen der Interessenabwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und dem Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit Letzterem der Vorrang eingeräumt werden, da das schützenswerte Interesse der Nutzer von Bewertungsportalen im Internet an Meinungs- und Informationsfreiheit überwiegt.
So sollen Internet-Bewertungsportale ihrem Sinn und Zweck nach Nutzern Gelegenheit bieten, sowohl positive als auch negative Meinungen zu äußern.
Das Interesse der Allgemeinheit an kritischen, unabhängigen Informationen, die über derartige Bewertungsportale im Internet erlangt werden können, ist als sehr hoch zu bewerten, weil solche Informationen für den Verbraucher unabdingbar sind, um gewerbliche Produkte und Dienstleistungen zu bewerten und sich insoweit eine Meinung bilden zu können.”
Auch ein Anspruch auf Löschung wegen der behaupteten üblen Nachrede besteht nicht, da es sich mangels Tatsachenbehauptung gar nicht um eine üble Nachrede handeln kann.
Fazit
Eine Bewertung in Form von Sternen, Noten oder Smileys ist immer eine Meinungsäußerung. Gegen diese kann niemals ein Löschungsanspruch bestehen, da diese Art der Bewertung von der Meinungsfreiheit geschützt ist. Ob man sich gegen einen Bewertungskommentar zur Wehr setzen kann, kommt immer auf den genauen Wortlaut an. Stellt sich dieser als unwahre Tatsachenbehauptung oder als Schmähkritik heraus, so kann der Kommentar gelöscht werden. Gegen eine evtl. zugehörige Noten-Bewertung besteht aber auch in diesen Fällen kein Löschungsanspruch. (mr)
Guten Tag!
Ich fand es auch immer etwas problematisch mit den Bewertungen online. Vor allem im hinblick auf böswillige Manipulationen. Aber auf der anderen Seite ist eine Bewertung von beruflichen Kompetenzen eben auch wichtig. Sofern würde dann der Meinungsfreiheit und dem öffentlichen Interesse daran dann doch auch den Vortritt geben. Aber ich denke es gibt auch viel Böswilligkeit dahinter. Gruss, Daniel
Vielen Dank für die Aufklärung. Grundsätzlich finde ich es gut, dass auch im www freie Meinungsäußerung duchsetzbar ist. Im Sinne des “Schlecht-Beurteilten” wäre es aber auf jeden Fall sinnvoll, wenn jedes Bewertungsportal die Möglichkeit bietet, eine Gegendarstellung (ähnlich der Presse) zu veröffentlichen. Dann sind auch die Interessen des Beurteilten gewahrt und der Leser kann sich ein eigenes Urteil machen.
Es ist aber echt mies, wenn Kunden Bewertungen abgeben, die eigentlich nicht der Wahrheit entsprechen, damit anderen das Geschäft versauen und dann die Bewertung so steht, sicherlich gibt es auf beiden Seiten schwarze Schafe, aber ich bin nicht, dass das Vewerungssystem gut und von Vorteil ist.
Nunja, aber die Idee mit der Gegendarstellung würde das Problem ja lösen. Es ist doch immer so, dass einseitig nunmal nicht gut ist und alles immer von beiden oder mehreren Seiten betrachtet werden sollte. Und bei Bewertungen gegenüber Ärzten finde ich das sogar noch schwieriger, weil die verärgerten Patienten oftmals gar nicht in der Materie drinstecken und sich Unmögliches erhoffen, das nunmal aber nicht umsetzbar ist.
Fakt ist, bei Bewertungsportalen kann sich jeder mit Fantasiedaten anmelden, ich selbst habe auch noch nie einen Ausweis vorlegen oder eine andere Art Plausibilitätsprüfung durchführen müssen bei solch einer Anmeldung. Double Opt-In bringt hier auch nichts, Emailadressen kann man sich wie Sand am Meer zulegen. Zudem glaube ich kaum, das die Bewertung, um die es in diesem Rechtsstreit ging, unter eidesstattlicher Erklärung abgegeben wurde, also wirklich sichergestellt ist, dass die bewertende Person real existiert und der Bewertungsinhalt der Wahrheit entspricht. Ist schon komisch, über dem Gewerbetreibenden schwingt ständig der Datenschutzhammer, Kunden können jedoch schreiben, was sie wollen, selbst wenn es eigentlich schuldeigene ist, beispielsweise widerruft Kunde eine Woche zu spät, Händler aktepziert den Widerruf nicht, gleich ist er im Netz der Böse, unkulante Abzocker. Für Kunden gilt also die Meinungsfreiheit, für Gewerbetreibende jedoch nicht. Klar ist der Vorschlag einer Möglichkeit zur Gegendarstellung sinnvoll, jedoch werden viele Bewertungen erst wesentlich später durch den Bewerteten im Netz entdeckt, so das sich evtl garkeine Verbindung zu einem bewerteten Vorkommnis mehr herstellen lässt. Alles in allem ein sehr schwieriges Thema.
Bewertungen schreien doch danach, daß damit beschissen wird. Sonst brauchen wir bald eine Schiedsstelle nur für Bewertungen von irgendeinem Kram. Zudem kann doch sowieso jeder subjektiv bewerten und das kann man nun wirklich niemandem absprechen.
LG Urteile sind nicht länderübergreifend. Sofern also der eigene Firmensitz nicht in S-H ist, braucht man das Urteil nicht zu beachten. Dafür wäre mindestens ein OLG Urteil notwendig!
Ein Urteil in einem Rechtsstreit bindet niemals ein Gericht in einem anderen Rechtstreit. Aber es hat schon gewisse Indizienwirkungen. Jedes Gericht wird die Grundsätze zur Meinungsfreiheit genauso anwenden, gerade weil hier die Rechtsprechung bis zum BGH und BVerfG eindeutig geklärt ist.
Ich würde mich sehr freuen wenn jemand endlich mal ein Bewertungsportal für Deutsche Gerichte eröffnet.
Das ist eben die Krux mit Bewertungsportalen. Auf der einen Seite möchte man diese als Werbung nutzen, muss aber andererseits mit unliebsamen Bewertungen rechnen. Dem Argument, dass man ja nicht nachvolkziehen kann, ob der Negativbewerter wirklich Kunde / Patient war, muss man sich aber entgegenhalten lassen, dass man das bei positiven Bewertungen eben auch nicht kann.
Die Möglichkeit, eine Bewertung als Betroffener zu kommentieren, erachte ich aber als Notwendigkeit, über die man eigentlich nicht diskutieren dürfte. Aber auch da besteht dann das Problem, dass man ja nicht verifizieren kann, ob es der Richtige ist, der seinen Senf dazugeben möchte.
Ein Teufelskreis… 😉
Das Urteil eröffnet die Möglichkeit zur jeglicher Form der Rufbeschädigung, Mobbing etc. Wenn man die Beiträge nur geschickt genug formuliert, sodass sie immer unter das Recht zur Meinungsfreiheit fallen. Ja sogar zur anonymen Meinungsfreihheit.
Mit welchen Repressalien muss das Individuum in einem Rechtsstaat rechnen, wenn er seine Identität im Zusammenhang mit seiner Meinung offenbart? Ist denn immer noch Stasi unterwegs?
Übrigens: Die Bewertungsportale im Internet mit den kritischen unabhängigen Medien gleich zu setzen, ist schlicht falsch. Es gibt so gut wie keine Schnittmengen zwischen Spiegel, Zeit & Co. und Bewertungsportalen. Umgekehrt, im Sinne des Verbraucherschutzes müsste man die Bewertungsportale stärker unter die Lupe nehmen.
Klaudia