Kauft der Verbraucher online ein, steht ihm grundsätzlich ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu. Bei einigen Verträgen findet diese Regel aber keine Anwendung. Eine Ausnahme sind Verträge, die die Erbringung von Beförderungsleistungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zum Gegenstand haben. Aber fallen hierunter auch Einzelfahrscheine für eine Bahnfahrt?

Vor dem OLG Frankfurt (Urteil v. 15.04.2010 – 6 U 49/09) ging es um die Frage, ob auf Verträge über Bahntickets, welche über das Internet geschlossen wurden, die Vorschriften über Fernabsatzverträge Anwendung finden, wenn man mit diesen Tickets innerhalb eines genau vorgegebenen Zeitraumes von ca. 11 Wochen zwei einfache Fahrten angetreten werden dürfen.

Gesetzlicher Hintergrund

Gemäß § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB finden die Vorschriften über Fernabsatzverträge keine Anwendung auf Verträge

“über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen … Beförderung, … wenn sich der Unternehmer bei Vertragsschluss verpflichtet, die Dienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen”

Der Beklagte, der die Tickets vom 01.08.2008 bis 10.08.2008 im Wege einer Internetversteigerung mit optionalem Sofortkauf veräußerte, war der Auffassung, dass die von ihm angebotenen Tickets unter diese Ausnahme fallen und informierte daher nicht über das Bestehen des Widerrufsrechts.

Die Klägerin dagegen war der gegenteiligen Meinung und mahnte den Beklagten daher ab. Bereits vor dem LG Frankfurt am Main unterlag sie und legte Berufung ein.

Berufung vor dem OLG Frankfurt

Mit Ihrer Berufung wollte die Klägerin weiterhin erreichen, dass der Beklagte über das Bestehen eines Widerrufsrechtes informieren müsse. Das Gericht entschied aber im Sinne des Beklagten.

“Bei dem Verkauf der „X … Tickets“ handelte es sich um Fernabsatzgeschäfte gemäß § 312b Abs. 1 BGB, da diese Fahrkarten über das Internet vertrieben wurden. Die Vorschriften über Fernabsatzverträge finden indes gemäß § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB keine Anwendung auf Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung, Beförderung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Freizeitgestaltung, wenn sich der Unternehmer bei Vertragsschluss verpflichtet, die Dienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.”

Vertrag über Beförderungsdienstleistung

Da der Vertrag über das Internet geschlossen wurde, lag unstreitig ein Fernabsatzvertrag vor. Der jeweilige Käufer konnte nach dem Erwerb der Tickets die Reisestrecke und den Reisetag auf dem Ticket selbst näher bestimmen.

“Mithin handelt es sich um einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen in dem Bereich Beförderung. Unter die Bereichsausnahme nach § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB fallen zwar insbesondere touristische Dienstleistungen. Doch ist der Anwendungsbereich der Vorschrift hierauf nicht beschränkt.”

Erbringung der Dienstleistung

In § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB wird verlangt, dass der Unternehmer sich bei Vertragsschluss verpflichtet, die Dienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die zweite Alternative so zu verstehen sei, dass damit Dienstleistungen gemeint sind, die als Dauerdienstleistung den genau angegebenen Zeitraum ausfüllen. Würde man dieser Auffassung folgen, so das Gericht, wären die streitgegenständlichen Tickets nicht von dieser Ausnahmevorschrift erfasst, da man mit diesen lediglich zwei Einzelfahrten innerhalb des angegebenen Zeitraumes vornehmen darf.

“Eine restriktive Auslegung, wie von der Klägerin für richtig gehalten, wird jedoch weder durch den Wortlaut noch den Zweck der Regelung nahegelegt.”

Richtlinienkonforme Auslegung

Da auch diese Ausnahme ihren Ursprung in der Fernabsatzrichtlinie hat, musste das Gericht diese richtlinienkonform Auslegen.

“Art. 3 II der Richtlinie 97/7/EG ist darauf gerichtet, die Erbringer von Dienstleistungen in bestimmten Tätigkeitssektoren von den Regelungen über Fernabsatzverträge auszunehmen, weil die Anforderungen der Richtlinie diese Unternehmer in unverhältnismäßiger Weise belasten könnten, insbesondere in dem Fall, dass eine Dienstleistung bestellt worden ist und diese Bestellung kurz vor dem für die Erbringung der Dienstleistung vorgesehenen Zeitpunkt vom Verbraucher storniert wird. Die betreffenden Dienstleister sollen vor solchen Nachteilen geschützt werden, die sich daraus ergeben, dass sie Vorkehrungen für die Erbringung der vereinbarten Leistung zu dem bei der Bestellung festgelegten Zeitraum treffen müssen.

Eine derartige Belastung würde für den Unternehmer z.B. dann bestehen, wenn die betreffende Dienstleistung an Reservierungen gebunden ist. Auf diesen Beispielfall ist der Anwendungsbereich der Vorschrift der Richtlinie jedoch nicht beschränkt, was man schon daran sehen kann, so das Gericht, dass generell auch der Erwerb von Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel in den Anwendungsbereich einbezogen wird.

Nachteile für den Dienstleister

Es ist also maßgebend, dass die betreffenden Unternehmer vor Nachteilen geschützt werden sollen, die dadurch entstehen könnte, dass sie Vorkehrungen für die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung zu dem bei der Bestellung festgelegten Zeitraum treffen müssen.

“Diese Erwägung rechtfertigt keine Beschränkung der Alternative “innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums” auf Dienstleistungen, die den Zeitraum ausfüllen. Auch dann, wenn der Unternehmer sich in einem der in § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB genannten Dienstleistungssektoren zu einer punktuellen Leistung verpflichtet, die der Verbraucher innerhalb eines im Voraus festgelegten, zeitlich begrenzten, Zeitraums abrufen kann, wird der Unternehmer in der Regel Vorkehrungen treffen müssen, um zu gegebener Zeit leistungsfähig zu sein.”

Widerrufsrecht bei Einzelfahrscheinen?

Würde man der Auffassung der Klägerin folgen, so das Gericht, könnten sämtliche Einzelfahrscheine für öffentliche Verkehrsmittel, die für einen gewissen Zeitraum gültig sind, im Fernabsatz nur noch bei Einräumung eines Widerrufsrechts verkauft werden.

“Eine derartige Einengung des Anwendungsbereichs des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB wird vom Zweck der Vorschrift nicht getragen, zumal insoweit kein relevantes Schutzbedürfnis der Verbraucher gegeben ist. Bei Fernabsatzverträgen wird ein Widerrufsrecht deshalb für erforderlich gehalten, weil der Verbraucher in der Praxis keine Möglichkeit habe, vor Abschluss des Vertrages das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Diese Erwägung greift ersichtlich nicht, wenn es um die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel geht.”

Die Ansicht der Klägerin ist auch bisher nicht in Rechtsprechung oder in der juristischen Literatur vertreten worden.

Keine Vorlage an den EuGH

Der Senat am OLG Frankfurt beschäftigte sich auch mit der Frage, ob in diesem Fall eine Vorlagefrage an den EuGH notwendig sei, da die entsprechende deutsche Ausnahmevorschrift auf einer Richtlinie basiert. Allerdings verneinte der Senat diese Frage, da er keine Zweifel hinsichtlich der Auslegung dieser Vorschrift hatte.

Eingeschränkter Zeitraum von 11 Wochen

Das Gericht ging davon aus, dass der angegebene Zeitraum von rund 11 Wochen, in denen die Tickets genutzt werden konnten, noch dafür spreche, dass der Ausnahmetatbestand hier greift.

“Der damit vorgegebene Zeitraum von 11 Wochen hält sich in einem zeitlichen Rahmen, der die Anwendung des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB noch rechtfertigt. Denn dieser Zeitraum ist nicht so weit ausgedehnt, dass infolge der hierdurch bewirkten Entzerrung gezielte Vorkehrungen des Unternehmers zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit entbehrlich erschienen. Tatsächlich hat die Beklagte im Hinblick auf den Verkauf der “X … Tickets” – unstreitig – Vorkehrungen getroffen, indem sie Kapazitäten für die Einlösung dieser Tickets durch die Reduktion anderer Fahrkartenkontingente bereitgehalten hat. Ferner liegt gerade ein eher längerer Gültigkeitszeitraum im Interesse des Verbrauchers.”

Auch die Tatsache, dass der Reisende Datum und Strecke selbst bestimmen konnte, ändere daran nichts, so das Gericht, da die Vorkehrungen des Unternehmers zur Sicherstellung seiner Leistungsfähigkeit nicht obsolet werden. Denn auch, wenn die Reisestrecke vorab noch nicht feststeht, muss der Unternehmer Vorkehrungen zur Sicherstellung der Leistungserbringung treffen.

Weitere Ausnahmen

Mit diesem Urteil erweitert das OLG Frankfurt die Liste von Beispielen, die unter § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB fallen. Die juristische Literatur sieht die Voraussetzungen dieser Norm auch bei den folgenden Fällen erfüllt (aus: Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl. (2010), § 312b Rdnr. 16):

  • Pauschalreiseverträge
  • die Bestellung von Hotelzimmern
  • die Miete einer Ferienwohnung
  • die Lieferung von Speisen und Getränken
  • Automietverträge (EuGH-Urteil v. 10.03.2005 – Rs. C-C-336/03)
  • die Bestellung von Tickets für Konzerte und Sportveranstaltungen

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